Von Chemtrails bis 9/11
Seit Corona haben Verschwörungserzählungen Hochkonjunktur. Der Vater von Claude Hagen glaubt schon seit Jahren daran. Das hat auf unseren Autor abgefärbt. Deshalb hat er mit dem Sozialwissenschaftler Marko Kovic darüber geredet, was dagegen zu tun ist.
Claude Hagen — 07/27/22, 10:10 AM
Der Sozialwissenschaftler Marko Kovic erklärt, wie mit Menschen umzugehen ist, die an Verschwörungen glauben. (Foto: zvg)
Am Montag hat sich Claude Hagen eingehend mit dem narzisstischen Verhalten seines Vaters auseinandergesetzt. Dieses hat dem Hang zu Verschwörungstheorien Tür und Tor geöffnet. Was das zu bedeuten hat und wie man dagegen ankämpfen kann, liest du hier:
Bereits lange vor 2020 – eigentlich seit ich denken kann – war die Meinung meines Vaters entgegen jener der Gesellschaft. Und, wie ich erst später erkannte, somit auch häufig entgegen der Wissenschaft. Schliesslich gilt, wie er auch selber immer wieder äusserst von sich selbst amüsiert beteuerte: «Vertrau keiner Studie, die du nicht selber gefälscht hast.»
Es ist ein Verhalten, das über lange Zeit auf mich abgefärbt hat. Ich erinnere mich an Bücher von Erich von Däniken. Sie begleiteten meine ersten Schritte ins Verschwörungs-Milieu. Es folgten «eigene Recherchen» von, wie ich heute weiss, unzuverlässigen Quellen.
Chemtrails und Inside-Job
Gütige Mithilfe in der Meinungsbildung erhielt ich auch vom von meinem Vater abonnierten «Kopp-Verlag» und dessen verbalen Ausscheidungen, die gerne gesellschaftskritisch wären, aber eigentlich nur abgrundtiefste Verschwörungsliteratur ist. So glaubte ich an die konspirativen Klassiker: 9/11 war ganz klar ein Inside-Job, die Regierung vergiftet uns mit Chemtrails und die Mondlandung war ein Fake. Zusammenhänge fand ich in allem – Zufälle gibt es nicht. Getreu nach dem Motto: Wer sucht, der findet.
Heute sehe ich, wie absurd diese vermeintlichen «Zusammenhänge» sind. Und selbst wenn diese Mythen wahr wären, was könnte ich daran ändern? Ist es nicht viel wichtiger, sich um sein eigenes Wohlergehen und jenes seiner Liebsten zu kümmern und somit da Einfluss zu nehmen, wo man auch kann und sollte?
Darüber und was zu tun ist, wenn Familienangehörige ins Verschwörungs-Metier abdriften, habe ich mit dem Sozialwissenschaftler Marko Kovic gesprochen. Er ist Experte für Verschwörungsmythen und war selbst mal überzeugt von solchen Erzählungen.
Marko Kovic in seinem Büro. (Foto: Thomas Egli)
Marko Kovic, was ist Ihr Bezug zu Verschwörungserzählungen?
Als Kind der 90er-Jahre war ich stark geprägt von solchen. Ich hatte von UFOs über Loch Ness bis hin zu Big Foot alles geglaubt. Diese Themen können ja noch amüsant sein. Bei 9/11 war es aber nicht mehr so lustig, da es hier um Menschenleben ging. Ich glaubte damals aus Überzeugung an diese Verschwörungserzählung. Schliesslich kam ich aber wieder raus, da ich in Kontakt mit Informationen kam, die meiner damaligen Auffassung widersprachen.
Wie sind Sie denn überhaupt in diese Szene abgerutscht?
Der Auslöser war eine grosse Krise, auf die ich eine Antwort suchte. Viele Antworten, die man in den gängigen Medien findet, können manchmal wenig plausibel klingen. Verschwörungsmythen lieferten einfache Antworten, die mich beeindruckten. Auch das Wir-Gefühl der Community war äusserst relevant für mich. Dieser emotionale Aspekt ist wichtig. Er gibt dir das Gefühl, dass du selber am Steuer bist und weisst, was läuft. Fakten werden zweitrangig.
Wie sind Verschwörungsmystiker*innen zu erkennen?
Da gibt es mehrere Merkmale. Sie pauschalisieren, halten ihre Aussagen vage, glauben, dass die Mainstream-Medien unter einer Decke stecken. Sie glauben nicht an Zufälle, sehen überall Zusammenhänge, hinter denen jemand Böses steckt. Anstatt Antworten zu geben, werden viel lieber Fragen gestellt. Dadurch ziehen sie sich aus der Verantwortung.
«Diese Menschen haben in den journalistischen und politischen Mainstream kein Vertrauen mehr.»
Marko Kovic
Können sie vom sogenannten Mainstream überhaupt noch erreicht werden?
Kaum. Diese Menschen haben in den journalistischen und politischen Mainstream kein Vertrauen und glauben ihm pauschal nichts. Man setzt sich nicht mehr mit Inhalten auseinander, sondern glaubt nur noch, was mit der eigenen Meinung korreliert. Das ist sehr gefährlich und zeigt ganz klar, dass es bei Verschwörungsmythen nicht um Fakten geht. Es geht um Emotionen.
Mein Vater ist Verschwörungsmystiker und fühlt sich dadurch erhaben. Was hat dieses Gefühl für eine Funktion?
Das spielt eine grosse Rolle. Man sieht sich selber als Teil der Gruppe, welche die Wahrheit verstanden hat – und grenzt sich von der sogenannte Outgroup ab. Hierbei ist das Stammesdenken äusserst relevant, das gegenüber Aussenstehenden abschätzig wirken kann. Das sind aber normale psychologische Mechanismen, denen wir alle ausgesetzt sind.
Mein Vater beteuert, er sei ein kritischer Mensch. Das behaupten aber viele. Was unterscheidet eine gesellschaftskritische Person von Verschwörungsmystiker*innen?
Der grösste Unterschied ist meiner Meinung nach, dass Verschwörungsmystiker*innen ihr eigenes Denken zu wenig kritisch hinterfragen.
«Häufig sind Verschwörungsmystiker*innen politisch verdrossen und glauben, dass sowieso alles korrupt sei.»
Marko Kovic
Welchen Einfluss haben Eltern mit Hang zu Verschwörungsmythen auf Ihren Nachwuchs?
Eltern sind ein extrem wichtiger Bestandteil im Leben von Kindern und Jugendlichen. Kinder orientieren sich stark an ihren Vorbildern. So ist beispielsweise häufig die politische Gesinnung gleich, da man diese zu Hause aufgesogen hat. Dasselbe gilt auch für Verschwörungstheorien.
Wie gefährlich ist das?
Verschwörungsüberzeugungen können grosse Konsequenzen haben. Eine ideologische Radikalisierung ist sowohl für die Betroffenen als auch für ihre Mitmenschen sehr belastend. Häufig sind sie politisch verdrossen und glauben, dass sowieso alles korrupt sei und von Wenigen im Hintergrund kontrolliert werde. Die Gefahr zeigt sich auch darin, dass Verschwörungsmystiker*innen eher bereit sind, grössere Risiken einzugehen. Das hat sich beispielsweise wiederum während der Corona-Pandemie offenbart. Sie waren weniger bereit, Masken zu tragen und sich impfen zu lassen.
Wie geht man – insbesondere als nahestehende Person – damit um?
Diese Konstellation, die Sie selbst erleben, ist eigentlich die schwierigste. Schliesslich geht es um die eigene Familie und nicht einfach um eine Person auf Twitter, die man ignorieren kann. Es ist in solchen Situationen wichtig, das Thema auch beiseitelegen zu können, damit die familiäre Beziehung nicht zu stark darunter leidet. Wenn wie in Ihrem Fall mit Ihrem Vater eine Diskussion entfacht und Sie merken, Sie reden nur an eine Wand, ist das sicher auch frustrierend. In einer solchen Situation wird man häufig emotionaler. Eskaliert die Situation zum Konflikt, verlieren schliesslich beide Seiten. Ich persönlich versuche, mit viel Empathie meine Sicht zu schildern. Ich hatte erst letztens mit Verwandten Diskussionen über Covid-Impfungen. Ich erklärte ihnen, was mich bewegte und meine Motivation war – und beliess es dabei.
«Es braucht zwingend politische Regulierungen für Social Media.»
Marko Kovic
Mein Vater behauptete kürzlich, dass es Masernviren nicht gibt und er allgemein kritisch gegenüber der gängigen Auffassung von Viren gegenüber stehe. Was entgegnen Sie einer solchen Person?
Ich würde nicht gross über Fakten reden. Wenn man das macht, wirkt das aggressiv, und provoziert eine Abwehrhaltung. Man weiss sogar, dass sich dadurch deren bisherige Meinung nur noch verstärkt. Es ist wichtig, einen menschlichen Bezug herzustellen. Signalisiere: Ich bin nicht hier, um zu kritisieren, ich bin neugierig und möchte erfahren, wie du denkst. Wir sitzen im gleichen Boot. Nachher kommen Fakten – aber es braucht zuerst dieses Fundament.
Was spielen Social Media dabei für eine Rolle?
Eine problematische. Und wir sind da als Individuen machtlos. Es braucht zwingend politische Regulierungen. Algorithmen müssten transparent sein und die Plattformen in die Pflicht genommen werden, die Vitalität des Falschen zu unterbinden.
So kannst du dich gegen Verschwörungstheorien schützen. Folgende Tipps gibt Marko Kovic häufig zum Umgang mit Informationen:
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Zur Person: Marko Kovic schreibt schwerpunktmässig über Gesellschaftskritik für diverse Medien und ist Experte für Verschwörungsmythen sowie deren Anhänger*innen. Er doziert zudem an der Kalaidos-Fachhochschule in Zürich im Bereich Psychologie. Kovic ist 36 Jahre alt und wohnt in Zürich Altstetten. |