An der Frühlingsmesse
Wir haben Martin Erdmann an die Luga geschickt. Die Begeisterung unseres Redaktionsleiters hielt sich in Grenzen. Ein Erfahrungsbericht.
Martin Erdmann — 04/27/22, 06:07 AM
Eintritt zahlen, um Dinge zu kaufen: Luga.
Das Luga-Ticket kostet für den ausgewachsenen Menschen 15 Franken. Wer bezahlt, ist dazu berechtigt, sich in diverse Verkaufsgespräche verwickeln zu lassen und alles über die Schleudereffizienzklasse von marktüblichen Waschmaschinen zu erfahren. Es wird also Geld dafür ausgegeben, um über mehrere Stunden vom überregionalen Unternehmertum umgarnt zu werden. Für Menschen, die ihre zwischenmenschlichen Interaktionen mit grossem Bedacht auswählen, ist die Luga deshalb eine einzige Geisterbahn der Gefühle.
Das Standardmodell des typischen Messestandbetreuers ist an folgenden Merkmalen zu erkennen: Bürstenschnitt aus silbergrauem Haar, Modebewusstsein eines FDP-Wahlplakats, Hemd mit elastischer Strapazierbarkeit in der Bauchregion. Blickkontakt mit solchen Exemplaren sollte tunlichst vermieden werden. In Sekundenschnelle schätzen sie den Nettolohn ihres Gegenübers. Dadurch wissen sie genau, wie viele Duschsysteme mit rotierender Massagebürste, Aktivurlaube im österreichischen Nirgendwo oder organische Cookies aus einer Hundebäckerei dem chancenlosen Opfer aufgeschwatzt werden können.
Traurigster Ort der Welt: Unbesuchter Messestand.
Und dann gibt es noch das pure Gegenteil. Es sind Stände, die aussehen, als würden sie für den finanziellen Bankrott werben. Unter strikter Verachtung der Öffentlichkeit verhallt ihr wirtschaftlicher Brunftruf nach Kundschaft in einsamen Ecken der Messehallen. Auch hier gilt es jeglichen Augenkontakt zu unterbinden. Denn man blickt in erloschene Gesichter mit vor Verzweiflung zitternden Unterlippen und leeren Augen, aus denen sich Tränen der Hoffnungslosigkeit langsam über die Lider drängen. Ähnlich traurig sind die Produkte, die sie anbieten. Meist etwas aus der schwer vermittelbaren Schnittmenge von Bio, Esoterik und Körperhygiene. In das Etikettendesign scheint in den meisten Fällen Windows 95 involviert gewesen zu sein. Die Verpackungen sehen oft aus, als wäre das Produkt unter menschenunwürdigen Umständen in der ehemaligen Sowjetunion produziert worden.
Auch vor den Messehallen ist ganz schön was los. Da ist die Familie aus Doppleschwand, die sich nach einer langwierigen Inspektion eines Whirlpools mit Luftaromadüsen diverse Bratwürste zuführt. Oder das Teenager-Liebespaar, das verstohlen in Richtung Lunapark schleicht, um dort unter unüberhörbarer Beschallung schlimmer Grossraumdisco-Hits hemmungslos Speichelflüssigkeit auszutauschen. Oder das kleine Mädchen, das gerade von einer niedlichen Jungziege weggezerrt wird, um es in den weit weniger drolligen Schoss ihrer Familie zurückzuführen.
Besser als manche Eltern: Ziege.
All das überblickt der heimliche König der Luga. Er steht in direkter Blutlinie mit den begnadetsten Marktschreiern des Frühmittelalters. Er kennt alle Wörter, die es gibt und kann sie ungemein schnell aussprechen. Zwar sieht er aus, als hätte er den Grossteil seiner Lebenszeit in einem Wohnwagen in Beisammensein von Dosenbier verbracht, ist jedoch ein verbales Genie. Er ist der Gemüsehobel-Mann. Mit einem Plastikgerät, deren Existenz ausserhalb der Messe- und Teleshoppingwelt nicht bewiesen ist, zerstückelt der Gemüsehobel-Mann an einem durchschnittlichen Luga-Nachmittag genügend Grünzeug, um den Welthunger zu stillen. Per Headset-Mikrofon schmettert er gleichzeitig jegliche Vorzüge dieses Gerätes in die Köpfe der wehrlosen Laufkundschaft. Wie viele Gemüsehobel er pro Tag verkauft, ist allerdings das Einzige, worüber der Gemüsehobel-Mann kein Wort verliert.
Wäre wohl auch ein guter Dealer: Gemüsehobel-Mann.
An manchen Ständen will einem aber gar nichts verkauft werden. Es werden viel perfidere Pläne verfolgt. Die Verbreitung brutaler Weltbilder steht auf dem Programm. Zum Beispiel beim Treffpunkt Jagd. Da wird kindergerecht erklärt, weshalb Rehe und andere Waldtiere erschossen gehören. Wer weitere Stützpfeiler des autoritären Lebensstils besuchen will, wird bei der Luzerner Polizei oder dem Bibelstand fündig.
Jagdbar: Steinmarder.
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