Im Fördertaumel
Filme aus der Zentralschweiz haben eine starke Lobby. Nun soll sogar eine neue Stiftung gegründet werden, um den hiesigen Film zu fördern. Mehr Geld, bessere Filme? Fünf Gründe, die gegen diese einfache Rechnung sprechen.
Heinrich Weingartner — 07/06/21, 11:37 PM
Der Zentralschweizer Film ist nicht gerade als Publikumsmagnet bekannt. (Symbolbild: Denise Jans/Unsplash)
Der Zentralschweizer Film wird seit mehreren Jahren von keiner positiven Floskel verschont: Voller «vielversprechender Talente» und «am Puls der Zeit» sei er, «aufblühend», «hochwertig», «sinnstiftend». Die von Medien und Politikerinnen hartnäckig wiederholten Leerwörter verdanken sich vor allem der hartnäckigen Lobbyarbeit des Vereins «Film Zentralschweiz». Aber als gelegentlicher Kinogänger oder leidenschaftlicher Filmfan bekommt man vom ausgerufenen Neu-Hollywood wenig mit.
Momentan drängt «Film Zentralschweiz» die Politik, eine neue Stiftung zu gründen. Diese soll voraussichtlich mit privaten und staatlichen Geldern den Zentralschweizer Film fördern. Dadurch hätten die heute mager unterstützten Filme potenziell Anspruch auf Bundesgelder. Talente würden seltener in Richtung Filmhochburg Zürich abwandern und Zentralschweizer Filme könnten auf nationalem Niveau mitspielen.
Aber: Ist mehr Geld wirklich alles, was den Zentralschweizer Film besser macht? Nein. Fünf Aspekte müssen sich ändern, damit dies geschieht.
Die Bildungsdirektoren- und Kulturdirektoren-Konferenzen der Zentralschweiz, sehr männlich, wenig einig. (Symbolbild aus «12 Angry Men», Foto: United Artists)
In den Konferenzen der Zentralschweizer Bildungs- und Kulturdirektionen sitzen zwölf Menschen. Von diesen zwölf Menschen sind zwölf Männer, die über 45 Jahre alt sind. Diese zwölf Männer sind bis auf das Pflicht-Cüpli am Pflicht-Apéro und die Pflicht-Komplimente an die Filmschaffenden nach der Premiere wenig «am Puls» und können deshalb kaum «vielversprechende Talente» entdecken. Sie aber entscheiden darüber, wie sich die Filmförderung in der Zentralschweiz gestaltet und wohin sie sich entwickeln soll.
So überrascht es nicht, dass die Verhandlungen um eine neue Förderstiftung mehrmals in einer Sackgasse gelandet sind. Die Gründe: Einzelne Kantone wollten nicht mitziehen, man wurde sich nicht über die Statuten einig oder war nicht dazu bereit, den Umgang mit Fördergeldern komplett der Stiftung zu überlassen. Nehmen sich die zwölf Machthaber womöglich zu wichtig?
Die Fasnacht würde sich perfekt als Kulisse für einen Zombiefilm eignen. «Gewaltverherrlichende Filme» sind allerdings von der Förderung ausgeschlossen. (Foto: Luzern Tourismus)
Die kantonalen Förderrichtlinien – sie wurden kürzlich überarbeitet – haben Gleichförmigkeit institutionalisiert und Überraschungen ausgeschlossen: Es werden Filme von «professionellen Filmschaffenden» gefördert. Die Projekte müssen einen Bezug zum Kanton haben. Relevanz, Qualität, regionale Ausstrahlung und Innovation sind weitere Stichworte. Solche Richtlinien putzen jede noch so diverse und progressive Jury weich. Und transformieren jede noch so geniale Idee in ein bravgestutztes Förderdossierprojekt.
Stossend ist beispielsweise, dass laut den Innerschweizer Förderkriterien «gewaltverherrlichende Filme» von der Förderung ausgeschlossen sind. Die meisten Hollywood-Filme, an deren Prestige sich die lokale Filmlobby orientieren will, ästhetisieren Gewalt. Wieso nicht mal ein Zombiefilm aus der Urschweiz?
Ein HSLU-Student bei der Selbstverwirklichung. (Symbol-GIF aus «The Big Lebowski», Foto: Universal)
Die Film- und Video-Studiengänge unserer hochwohlgelobten Hochschule Luzern sind immer mehr zu Selbstverwirklichungs- und Selbsthilfekursen verkommen. Seit mehreren Jahren scheinen Dozent*innen ihren Studierenden keinen Sinn für gesellschaftliche Relevanz beibringen zu wollen. Sondern bloss, wie man das Innerste und Individuellste nach aussen kehrt und auf Video bannt.
Das geht dann so: Man holt die drogenabhängige Schwippschwagerin zweiten Grades aus der geschlossenen Klinik und filmt ein Tränendrüsendrückstück, das im Fernsehen gut ankommt, aber schon nach der zweiten Kukident-Werbung aus dem Gedächtnis des alten TV-Publikums verschwunden ist. Und meint, man habe eine wahnsinnig interessante, spezielle, individuelle Geschichte erzählt. Dabei hat man bloss genau das gemacht, was RTL 2 seit dreissig Jahren macht: Reality TV.
Im Film wie in der Tourismusbranche: Regionale Ausstrahlung, aber bitte nur positive. (Foto: Luzern Tourismus)
Der Zentralschweizer Film versucht entweder den internationalen Standard nachzuahmen oder vergräbt sich in individualistischem Mitfühlkitsch. Es getraut sich niemand, unsere traurige, geizige, rassistische, sexistische und bornierte Stock-im-Arsch-Region zu kritisieren, weil die Filme eben «regionale Ausstrahlung» haben müssen. Aber negative, kritische Ausstrahlung dann schon lieber nicht.
Bei Zentralschweizer Filmen hat man vielfach das Gefühl, dass jemand so richtig auf die Spassbremse gedrückt hat. Wagnisse, pointierte Witze und Experimente gehören nicht zum helvetischen Selbstverständnis. Auch Zentralschweizer Filme halten das urschweizerische Credo heilig: Man muss sich schlecht fühlen, egal, was man gerade tut.
Aber unsere Filme gewinnen doch auch Preise! Sind Preisverleihungen wirklich mehr als institutionalisierte Marketing-Maschinen, die im Bubble-Zeitalter nicht mehr greifen, immer öfter leer laufen und vor allem zu einer Selbstbeweihräucherung von Gleichgesinnten führen?
Laut Jim Wolanin von der FDP ist Film «das Zukunftsmedium schlechthin». Was sind für ihn dann Videospiele? Nanotechnologie? (Screenshot: YouTube-Kanal Kanton Luzern)
Die Zentralschweizer Filmförderung wird auch im Luzerner Kantonsparlament diskutiert – leider aber auf tiefem Niveau. Jim Wolanin von der FDP, der sich prominent für die Filmförderung einsetzt, meinte kürzlich, Film sei «das Zukunftsmedium schlechthin». Das klingt wie ein Satz von 1918. Und Stephan Schärli von der CVP meinte, wenn sich bald die Filmförderung verbessert, könnte es vielleicht heissen, «The oscar goes to Marcel Schwerzmann». The oscar goes heutzutage den meisten am Arsch vorbei – das Sexismus und Rassismus ermöglichende Hollywood liegt glücklicherweise auf dem Sterbebett.
Zentralschweizer Filme und eigentlich auch Schweizer Filme sind keine Konkurrenz mehr für die Schnellebigkeit von Netflix, YouTube und anderen Plattformen. Das liegt aber nicht am Talent der Filmschaffenden, sondern daran, dass man sich am Boomer-Standard orientiert und mit ernster Miene behauptet, Film sei das Zukunftsmedium schlechthin.
Zu oft diktiert das Geld kulturelle Inhalte.
Aus den obigen Gründen geschieht gerade etwas, was nicht nur die Filmförderung, sondern symptomatisch die gesamte Kulturförderung betrifft: In einem Endloskreislauf werden Menschen gefördert, die bereits gefördert wurden oder die sich an Menschen orientieren, die Kunst gemacht haben, die bereits gefördert wurde.
Das «Zukunftsmedium» Film wird mittels Fördergeldern am Leben erhalten, weil Politiker*innen und die Menschen in den Fördergremien den Anschluss an die moderne Technologie verpasst haben. Und weil sich die produzierte Kunst immer weiter von den Menschen entfernt, die nicht in Fördergremien oder in der Politik hocken, wird sie auch von niemandem mehr angeguckt. Und das wiederum führt dazu, dass staatlich geförderte Kunst immer mehr Fördergelder benötigt.
Dies soll nicht heissen, dass staatliche Kulturförderung nutzlos ist. Aber: Die Förder- und Ausbildungsstrukturen in der Zentralschweiz müssen angepasst werden. So, dass sich eine Filmszene entwickeln kann, die nicht bloss den Kriterien der Geldgebenden hinterher rennen muss.