Prime Time
Mit «Dr. Strange in the Multiverse of Madness» untertrifft sich Hollywood selbst. Eine Nierensteinoperation ist unterhaltsamer.
Heinrich Weingartner — 05/06/22, 09:00 AM
Viel Lärm, vor allem Langeweile. (Bild: Marvel Studios)
Die gute Nachricht: Bald schliessen die Blue Cinemas in der Stadt Luzern ihre Türen. Dann können diese Multiversen der Dummheit den Menschen nicht mehr den Hirnsaft aus der Nase ziehen. Die schlechte Nachricht: Nach der heutigen Vorführung im Kino Moderne glaube ich, dass es bereits zu spät ist. Während lieblos gefilmten Actionsequenzen ploppen die Bügelbräu-Biere unter jauchzendem Gejohle. Und wenn Jim Krasinski aus The Office auftaucht, der hier seinen Charakter mit der emotionalen Beteiligung einer Kartonschachtel spielt, wird freudig getuschelt, als ob man im Kino Moderne gerade einer cinematischen Offenbarung beiwohnt.
Im 28igsten Film des Marvel Cinematic Universe geht es um den Mann im Titel: Dr. Strange, gespielt von Benedict Cumberbatch. Der Magier slash Superhero träumt von einer Begegnung mit Miss America, die ihm am nächsten Tag bei einer alltäglichen Strassenschlacht mit Tentakel- und Zyklopenmonstern begegnet. Dort teilt sie ihm mit, dass er gar nicht von ihr geträumt habe, sondern dass Träume eigentlich alternative Realitäten sind. Dann suchen sie zusammen das Buch Vishanti und das Darkhold. Und werden von Wanda «Scarlet Witch» Maximoff gejagt. Multiverse-Motive gehören eigentlich zu den besten Einträgen von Filmreihen, in «Multiverse of Madness» wurde mit Millionen ein Multiversum der Einfallslosigkeit kreiert.
Dr. Strange wäre nicht einmal seinem schlimmsten Erzfeind zu empfehlen.
Richtig ungeduldig wird man von Szene zu Szene gezerrt, damit die offensichtlichsten Schwächen nicht auffallen: 1. Die Dialoge hätte ein Neunjähriger lebensechter geschrieben. 2. Das Tempo, das der Film anschlägt, gibt einem das Gefühl, möglichst schnell mit Reizen durchgefüttert zu werden, damit man auch sicher keine einzige Sekunde das Hirn einschalten muss. 3. Es ist alles so furchtbar langweilig und man hat es tausende Male zu Tode geritten gesehen. Fast Food Kino Gaga. Nicht mal die paar coolen Splatterszenen – Regie: Sam Raimi («Tanz der Teufel», «A Simple Plan») – schaffen es, etwas Drive in den Film zu bringen. Doch: In einer Szene pulverisiert die böse Wanda ein paar Helden und deshalb hofft man, dass der Film schneller zu Ende ist. Aber es hat keinen Zweck, das Gute triumphiert und verlängert die Qual.
Das Marvel Cinematic Universe, auch MCU genannt, ist natürlich ein Nerdding. Diese Filme schauen Menschen, die bereits die 27 vorherigen gesehen haben und das World Building weiterverfolgen wollen. Das rechtfertigt es jedoch nicht, einen Film zu drehen, der eine dramaturgische Katastrophe ist und zu dem ein Normalsterblicher keinen Zugang findet. Eine zufällig ausgewählte Friends-Episode, ein Star-Wars- oder James Bond-Film befriedigt Fans, funktioniert aber auch als alleinstehendes Produkt. Dr. Strange wäre nicht einmal seinem schlimmsten Erzfeind zu empfehlen.
Prime Time ist das Kultz-Format für Kino, Fernsehen und Streaming. Jeden zweiten Freitag schreiben Sarah Stutte und Heinrich Weingartner über die neuesten Blockbuster, Arthouse-Streifen und gehypten Serien. |