Bildbetrachtung
Monika mit Bolzen und ich mit Hubi gleichzeitig im Eingang zur Spedition, das ist definitiv kein guter Betriebsablauf.
Christov Rolla — 05/21/21, 04:16 AM
Heute war ein schlechter Tag. Mir sind fünf Schachteln vom Hubwagen gefallen.
Kurt hat gemeint, ist nicht schlimm, sind nur Seifen. Aber ich finde es trotzdem schlimm, richtig schlimm. Ich musste abrupt bremsen, weil plötzlich Monika mit einer Kiste Bolzen um die Ecke gekommen ist, und da sind mir die Schachteln heruntergeschlittert. Normalerweise kommt niemand um Viertel nach zwei bei der Spedition um die Ecke! Und schon gar nicht Monika.
Kurt konnte mir auch nicht sagen, warum Monika um Viertel nach zwei bei der Spedition um die Ecke gekommen ist. Er hat nur gesagt: Ist nicht schlimm, sind nur Seifen. Aber ich verstehe nicht, was Monika mit den Bolzen bei der Spedition gewollt hat. Das macht überhaupt keinen Sinn! Monika gehört zur Montage, und die Bolzen auch.
Kurt hat mich dann gefragt, warum ich Monika nicht gefragt habe, wenn ich das unbedingt wissen will, aber ich hatte keine Zeit, weil ich die Seifenschachteln auflesen musste, und Monika konnte mir nicht helfen, logisch, mit einer Kiste Bolzen in der Hand, und dann war sie weg, und ich konnte sie nicht mehr fragen, und dann kam schon Kurt.
Ich finde, das müsste Kurt als Werkgruppenleiter mir erklären können, und nicht Monika muss das.
Der Chefchef würde jetzt sagen, wo gehobelt wird, da fallen Späne. Das kann man nämlich auch im übertragenen Sinn sagen.
Nicht falsch verstehen, ich habe kein Problem mit Monika! Wir kommen gut miteinander aus. Am Weihnachtsanlass haben wir sogar einmal zusammen getanzt. Obwohl ich normalerweise überhaupt nicht gerne tanze. Und ich gebe ihr auch nicht die Schuld am Unfall! Wir waren beide ziemlich im Schuss. Der Chefchef würde jetzt sagen, wo gehobelt wird, da fallen Späne. Das kann man nämlich auch im übertragenen Sinn sagen, also nicht nur in einer Holzwerkstatt, sondern zum Beispiel auch wie letztes Jahr, als Pirmin in der Küche einen offenen Rapsölkanister hat fallen lassen und im gleichen Moment Nadine mit einem Tablett voller Suppenschäleli durch die Küche gegangen ist. Da hat man auch sagen müssen: Kann passieren. Aber man hat nicht sagen können, ist nicht schlimm, sind nur Suppenschäleli, denn Nadine hat sich beim Ausrutschen auf dem Rapsöl ziemlich an den Suppen verbrannt.
Insofern, einverstanden, waren es heute wirklich nur Seifen.
Aber ich verstehe trotzdem nicht, was Monika mit den Bolzen bei der Spedition gewollt hat. Und dann noch um Viertel nach zwei, genau dann, wenn ich mit dem Hubi um die Ecke komme.
Kurt hat mir dann beim Überprüfen der Seifen geholfen, war alles okay. Aber ich bin trotzdem unzufrieden. Ich rege mich auf, ich rege mich fürchterlich auf. Mir ist noch nie etwas vom Hubi gefallen! Naturtalent, hat Kurt gesagt, als ich von der Reinigung in die Spedition gewechselt habe, ein Naturtalent! Das hat mich sehr gefreut, und es stimmt ja auch: Bis heute war ich unfallfrei mit dem Hubi und zufrieden mit der Arbeit. Ich möchte jedenfalls nicht zur Reinigung zurück.
Also, mir ist schon klar, dass ich wegen den Seifenkartons jetzt nicht grad aufhören muss bei der Spedition. Erstens hat es den Seifen wirklich überhaupt nichts gemacht, und dass Fehler passieren, wo gearbeitet wird, das sieht zum Glück ja auch der Chefchef so. Wenn es nicht zu viele Fehler werden, wohlgemerkt! Aber davon bin ich ja noch weit entfernt.
Ausserdem ist Pirmin nach dem Rapsölunfalll ja auch nicht entlassen worden. Noch nicht einmal zum Rüsten und Abräumen hat man ihn versetzt, dabei waren die Folgen viel schlimmer als bei meinem Unfall! Neun Suppenschäleli sind damals kaputtgegangen, und Nadine musste mit einem verbrannten Unterarm und einer kleinen Platzwunde am Ellbogen auf die Permanence. Und die Suppe haben sie auch wegleeren können!
Da ist mein Malheur mit dem Hubi ja wirklich fast nichts dagegen. Ein Nasewässerli, würde Paul sagen. Und da gebe ich ihm an und für sich auch völlig recht! Aber wenn du gerade einen Unfall gehabt hast mit dem Hubi und nächste Woche Mitarbeitergespräch, dann kannst du vielleicht Nasewässerli denken, aber sagen tust du das besser nicht zum Chef. Weil dann bist du wahrscheinlich wirklich schneller wieder bei der Reinigung, als du Bapp sagen kannst. Und man darf nicht vergessen: Der Chef ist viel weniger entspannt als der Chefchef! Er ist halt auch näher dran am Geschehen. Dem Chefchef geht es mehr um die Mitarbeiterzufriedenheit und das Arbeitsklima, aber dem Chef geht es darum, dass die Arbeit gemacht wird. Und dass sie gut gemacht wird.
Ich glaube, am besten frage ich nicht Kurt, sondern den Chef, warum Monika an einem Mittwoch um Viertel nach zwei mit einer Kiste Bolzen bei der Spedition war. Das lenkt ihn erstens ein bisschen vom Unfall ab, und zweitens weiss er es vielleicht sogar wirklich, und dann weiss ich es endlich auch. Und drittens kann ich ihm auf diese Weise zeigen, dass ich ein motivierter Mitarbeiter bin, der sogar über die Optimierung der Betriebsabläufe nachdenkt! Weil Monika mit Bolzen und ich mit Hubi gleichzeitig im Eingang zur Spedition, das ist definitiv kein guter Betriebsablauf.
So mache ich’s! Vielleicht kommt dann alles gut. Und wenn ich mir dann weiterhin Mühe gebe und keinen Unfall mehr mache, dann lässt er mich eines Tages vielleicht sogar vom Hubi auf den Gabi wechseln. Das ist nämlich immer noch mein allergrösstes Ziel!
# Christov Rolla ist eigentlich Musiker. Für diese Kolumne aber versetzt er sich in Menschen und an Orte. Manche bezeichnen dies als Rollenprosa, andere als redselige, ausschweifende und komplett herbeifabulierte Selbstgespräche. Wir nennen es: Bildbetrachtung. Mit freundlicher Unterstützung der Kulturförderung des Kantons Luzern.