Mann ärgere dich nicht
Mutter, bleib daheim – offenbar sind viele noch nicht ganz über diese Vorstellung aus den Nachkriegsjahren hinweggekommen.
Jana Avanzini — 10/04/21, 06:23 AM
Gefangen in der Mutterrolle. (Illustration: Line Rime)
«Wo ist dein Kind?», fragte mich mein Mitarbeiter, und ich glaube meine Antwort war in ungefähr: «Halt einfach deine Schnauze!» Und nein, ich antworte normalerweise nicht so auf diese Frage. Normalerweise sagt ich etwas wie: «Jesses, wo hab ich das denn wieder vergessen!»
Doch hier antwortete ich so auf diese Frage, da derselbe Typ sie mir jede einzelne Woche stellte. Seit ich aus dem Mutterschaftsurlaub zurück war, jede Woche, jeden Freitag.
All diese Verehrer*innen der aufopfernden Mutter würden jedoch niemals mehr Mutterschaftsurlaub gutheissen.
Jeden Freitag, wenn wir beide im Büro waren, fragte er mich: «Wo ist denn dein Kind heute?» Und ich antwortete jedes Mal freundlich, dass es, wie immer freitags, in der Kita sei. Worauf diese Ausgeburt von Selbstgefälligkeit jedes Mal einen wissenden, mitleidigen Gesichtsausdruck aufsetzte und sagte: «Der Arme!». Worauf ich, wieder freundlich – innerlich tief ein- und ausatmend – erklärte, dass es ihm dort sehr gut gehe. Dieses Spiel spielten wir ein paar Wochen, bis ich die Nase voll hatte. Und ich frage mich heute, weshalb das so lange gedauert hat.
Denn zwischen den Zeilen sagte mein Mitarbeiter jeden Freitag: «Dein Kind leidet in der Kita. Du bist eine schlechte Mutter, solltest zuhause sein.» Das ist zwar antiquiert, aber leider keine Seltenheit. Und wahrscheinlich ist das alles nicht mal böse gemeint: Dass die Tauschbörse für Kinderartikel «Mamibörse» heisst, dass Wickeltische oft noch immer nur auf dem Frauenklo zu finden sind, dass Väter für einen «Papitag» in den Himmel gelobt werden, während ich oft erstaunt gefragt werde, wie sich um alles in der Welt ein 80 Prozent-Pensum und ein Kind vereinbaren lassen.
All diese Verehrer*innen der aufopfernden Mutter würden jedoch niemals mehr Mutterschaftsurlaub gutheissen. Oder gar drei Wochen Schwangerschaftsurlaub vor der Geburt, was die Luzerner SP gerade unter riesigem Aufschrei und viel Unverständnis zu fordern wagte.
Wir sollen uns gefälligst für die Kinder aufopfern, aber bitte nicht auf Kosten der Wirtschaft.
Man beachte: Studien des Bundesamtes für Sozialversicherungen zeigen, dass es in 80 Prozent der Schwangerschaften zu Erwerbsunterbrüchen kommt, 70 Prozent der Gebärenden werden in den letzten zwei Wochen vor der Geburt krankgeschrieben. Und nur 16 Prozent arbeiten beinahe bis zur Geburt.
Nach vierzehn Wochen Mutterschaftsurlaub ist nur eine kleine Minderheit der Mütter bereits wieder erwerbstätig, 18 Prozent genau genommen. Nach 22 Wochen ist erst die Hälfte der erwerbstätigen Mütter wieder zurück im Erwerbsalltag. Auch in meinem Umfeld nehmen praktisch alle Eltern zusätzlich «unbezahlten Urlaub».
Das heisst also: Wir sollen uns gefälligst für die Kinder aufopfern, aber bitte nicht auf Kosten der Wirtschaft. Sondern auf die eigenen, oder besser noch, auf die des hart arbeitenden, und deshalb abwesenden Göttergatten. Der soll dann halt auf dem Sterbebett bereuen, eine so lausige Beziehung zu seinen Kindern gehabt zu haben, nachdem ihn die Frau nochmals um etwas Sackgeld angebettelt hat. So hat es Tradition. Und so geht’s auch den KMUs gut. Oder so.
P.S.: Rabenmutter ist ein deutscher Begriff, der in den meisten Sprachen keine begriffliche Entsprechung hat.
Jana Avanzini wurde schon auf dem Schulhausplatz mit dem Spitznamen «Avanze» bedacht. Sie ist Co-Redaktionsleiterin bei Kultz, doch in dieser Kolumne lässt sie sich alle zwei Wochen über die alltäglichen K(r)ämpfe einer Feministin aus. Einer Feministin in der Zentralschweiz, wo man(n) sich noch gerne über aufmüpfige Frauen und Genderwahnsinn ärgert.