Projekt Nachtleben
Die einen jagen das kurze Glück, die anderen suchen die Liebe ihres Lebens. Das Nachtleben ist ein geeigneter Ort für beides. Vier Luzerner:innen erzählen von ihren Erfahrungen.
Yasmin Billeter — 10/23/22, 12:39 PM
Das Nachtleben ist ein geeigneter Ort für erste Küsse. (Foto: Unsplash)
Das Nachtleben ist vieles. Vor allem aber auch Balzplatz. Jedes Wochenende ziehen Menschen los, in der Hoffnung, nicht alleine nach Hause zurückzukehren. Manchen geht es dabei um schnellen Sex, anderen um den Beginn von etwas Ernsthaftem. Wir haben mit Luzerner:innen über ihre Erlebnisse gesprochen.
Steffi Boo verliebte sich, als sie gar nicht mehr so richtig danach gesucht hat. (Foto: zvg)
Ich habe überall und unbedingt gesucht. Verbissen. Irgendwann war ich auf drei Dating-Apps, gefühlt 1000 Möglichkeiten in der Tasche. Auch der Club war mein Revier. Nacht für Nacht. Nur damit mich jemand anmacht. Geschminkt, gepimpt, verstimmt. Von meinen Trieben getrieben.
Eine Zeit lang dachte ich ernsthaft, mich in einem rauchigen Club zu verlieben. Ich bin oft alleine nachhause und habe das extrem auf mich bezogen. Ich glaube, dass viele in den Ausgang gehen, um sich selbst verlieren und jemand Anderes zu suchen. Ich bezweifle, dass man sehr oft fündig wird.
Warum? Wenn du suchend gehst, findest du nicht, weil du nicht bei dir bist. Vielleicht findest du für einen kurzen Moment, aber nichts das langfristig hält. Trotzdem bin ich dankbar für die Erfahrungen. Körperliche zwar und keine Herzens-Offenbarungen. Das hat mich deprimiert, weil ich eigentlich emotionale Nähe suchte.
Gesehen im Kind, gematcht auf Tinder, gesprochen im Krienbrüggli, geküsst in der Kegi.
Steffi Boo
Was mich auch frustriert: Das Stigma der Gesellschaft. Es ist immer noch angesehener, wenn ein Mann sowas macht. In dieser Zeit des Tinderdrusses und Suchens bin ich auf die Idee gekommen, Anstecker für analoges Dating zu kreieren.
Und als ich aufgehört habe zu beissen, ist es dann passiert: Ich habe mich verliebt. Gesehen im Kind, gematcht auf Tinder, gesprochen im Krienbrüggli, geküsst in der Kegi. Für mich war schnell klar, dass er anders war. Wir haben vieles gemeinsam, sind Sammler:innen und nicht mehr einsam: Chrütli, Kastanien, Reussmuscheln. Plattenladen und Secondhand. Wir haben viele Ideen für unsere Welt.
Heute wohnen wir zusammen in einer 4er-WG. Es fühlt sich einfach richtig an.
Steffi Boo, 31, studiert an der Hochschule Luzern Soziokulturelle Animation und arbeitet in der Gastronomie. Mit «chn.opf» entwickelt sie Buttons für analoges Dating. «Ein Herzensgeschäft», sagt sie. Schon über 1200 Chnöpfe hat sie verkauft. Am 28. Oktober organisiert sie die erste chn.opf-Disco im Neubad Klub.
Lara fragt sich, was denn nun ein «bizeli Sex» ist. (Foto: zvg)
Wir sahen Gaby an einer Geburtstagsfeier. Sie, über 40, kurze, blaue Samthöschen, arty, intellektuell und taff: «Ihr habt eine schöne Ausstrahlung», tönte sie die ganze Nacht. Nach dem Fest gings in den Club. Wir feierten auf dem Technofloor. Es wurde spät. Mein Freund und ich machten Pause an der frischen Luft. Zurück auf der Tanzfläche war Gaby nicht mehr da.
Wir dachten schon, sie wäre nachhause, da tauchte sie plötzlich wieder auf. Etwas zerzaust und verlegen, wie ein kleines Mädchen, das am Süssigkeitenschrank war, sagte sie: «Hihi, ich war kurz im Gebüsch und hatte es bizeli Sex». Ok, dachte ich. Fair enough, ein bisschen Spass muss sein.
Eigentlich blickte ich zu ihr hoch. Schliesslich war sie Dozentin an meiner Schule.
Lara
Nur wollte sie eigentlich mit dem Sexgspändli heim. Das blieb aber spurlos verschwunden. Gaby bekam einen Lachanfall. «25 war der», sagt sie. Sie hatte sich eigentlich nach gestern mit dem 28-Jährigen geschworen, nicht mehr mit so jungen anzubandeln. Ich dachte: Ok, das ist also ihr Ausgangsverhalten.
Sie sagte, sie wäre froh, bei uns auf dem Sofa zu pennen. Wir landeten doch zu dritt im Bett. Dazu muss ich sagen, sie war echt nett, aber absolut nicht mein Typ und etwas selbstüberschätzt. Sie lag in der Mitte, versuchte links und rechts etwas zu starten.
Ich musste immer an das «bizeli Sex» denken und wie man denn so etwas hatte? Es bizeli bizeli? Eigentlich blickte ich zu ihr hoch. Schliesslich war sie Dozentin an meiner Schule. Dann musste sie sich übergeben. Was sie nicht davon abhielt, es weiter zu versuchen. Eine Nymphe, sagte mein Freund. Am nächsten Morgen schickten wir sie heim.
Werde ich je so selbstbewusst sein?
Lara*, 32 aus Luzern, musste oft noch an ihre Begegnung mit Gaby denken. Sie hofft, dass sie mit über 40 nicht ganz so selbstüberschätzt unterwegs ist.
An Bartresen startet so manches nächtliche Abenteuer. (Foto: Unsplash)
Ein Crush fühlt sich an wie MDMA. Auftrieb im Hirn, ein grosser Seufzer, der durch die Gassen geht und mich mitzieht. Starkes Verliebtsein ist unglaublich anstrengend. Ich lasse dann alles mit mir machen. Wie damals, als die Güterhalle noch stand.
Ich traf sie, fand sie interessant. Hätte sie am liebsten aufgefressen. In der Kegelbahn fragte ich, ob sie mit mir rummacht und war überrascht: Wir landeten bei ihr zuhause. Am nächsten Morgen redeten wir über Dinge, die man redet, wenn man verkatert ist und gleichzeitig trunken vom Verliebtheitsgefühl.
Wir schliefen nochmals miteinander. Dann raus ans Tageslicht. Ich war völlig gaga, verballert. Nicht wegen der Drogen, sondern wegen des Crushgefühls, dem vielen Sex, fast unangenehm. Dann war es vorbei. Wochenende für Wochenende ging ich aus, um an den einen Abend anzuknüpfen. Ich blieb bis zum Schluss oder solange sie blieb. Habe über meinen Verhältnissen gelebt. Immer gehofft, wenn das Licht angeht, kann ich mit ihr heim.
Eine Seite von mir rief: Geil, jetzt gibt’s Sex zu dritt!
Marcel
Eines Tages erfuhr ich, sie sei mit einem anderen nach Hause. Aus. Zerstört, am Ende. Ich war in der Falle. Fühlte mich zurückgewiesen, wertlos, verletzt. In dieser Zeit war ich sehr vernetzt. Erfuhr ich, dass sie irgendwo war, so war ich bald auch schon da. Versuchte, speziell zu reden, speziell zu tanzen. Doch ich war nicht mehr ich. Trotzdem habe ich es irgendwann geschafft, sie zu daten. Ein Film lief ab: Haus, Familie, Auto, Hund. Dann kam das Panikgefühl.
Zur selben Zeit wie schwarz und weiss, tauchte eine andere Frau auf. Hier kam die Liebe und das Verliebtsein ganz langsam. Nie so stürmisch und crushig. Doch ich bin froh. Ich traf sie mit ihrer Freundin im Kind. Die Freundin hatte ich auch schon am Start. «Kommst du zu uns an die Bar?», hat sie gefragt.
Marie sass dort mit roter Bluse, roten Lippen. Sie hat mir sofort gefallen. Wir führten spitzfindige Unterhaltungen über Worte. Irgendwann ging es um einen Midnightsnack. Kommst du mit? Eine Seite von mir rief: Geil, jetzt gibt’s Sex zu dritt! Doch weit gefehlt. Wir haben in der Stube zu dritt etwas gesessen. Komplett absurd.
Die Freundin ging schlafen. Dann kam Marie mit Bettzeug für mich auf dem Sofa. War's das jetzt? «Kann ich in dein Bett?» Und so schliefen wir zusammen. Ich fand es schön, mit ihr zu erwachen. Und der Zauber hält an und nährt mein Herz. Liebe, wie die Tanzmusik im Auf und Ab. Durchwegs lebendig und sie hält mich in Bewegung.
Marcel*, 35, weiss, warum es heisst, auf Wolke sieben zu schweben. Er kann dann eine gesendete Nachricht locker 14-mal durchlesen, bevor sie zurückschreibt.
Yves ist schon seit Kindstagen häufig verliebt. (Foto: zvg)
Liebe im Nachleben? Nicht ganz real, dafür magic. Auch weil man etwas drunk ist. So ist es oft sogar ehrlicher und offener. Ich spreche häufig Frauen an und werde angesprochen. Wenn Sympathie und Anziehung bestehen, steht's fifty-fifty, dass eine Bettgeschichte oder mehr daraus wird.
Ich öffne mich meist schnell, bin dann ganz on. Zeige meine Gefühle unverblümt. Bei den Frauen ist das ähnlich. Wobei – so sicher bin ich nicht. Letztens sind wir in der Kegelbahn gelandet, das war recht nice. Obwohl ich kein Kegifan bin, weil zu laut und zu heiss. Morgens um vier habe ich eine Frau kennengelernt, sie kam noch zu mir.
Die Wellenlänge schien für mich stimmig. Wir hatten eine heisse Nacht. Verzaubert, Nummern ausgetauscht, abgemacht. Dort habe ich mich fast ein wenig verliebt. Ich lud sie ein zum Abendessen. Kurzfristig hat sie abgesagt. Das hat schon ein bisschen weh getan.
Wenn ich ein Gentleman bin, kommt das im linken Spektrum oft nicht positiv an.
Yves
War es, weil ich zu aufmerksam war und mich zu oft meldete? Ich bin Romantiker, kein Aufreissertyp. Und so fühle ich mich manchmal verkehrt. Denn eins schien sich zu bestätigen: Wenn ich ein Gentleman bin, kommt das im linken Spektrum oft nicht positiv an. Warum? Fühlt Frau sich kleiner? Muss ich mich andersrum emanzipieren?
So bin ich halt, das gehört zu mir. Fuck it, sag ich mir. Schon als Boy war ich sensibel und mochte auch meine femininen Seiten. Diese lassen mich auch romantisch sein – mit Feingefühl und Empathie. Wertvorstellungen? Ich habe sie. Die grosse Liebe kann ich überall finden. Auch im Nachtleben, na klar. Das Setting spielt keine Rolle. Nur von Friends with Benefits halte ich nichts mehr.
In einem Zürcher Café habe ich vor ein paar Wochen eine Frau mit ukrainischen Wurzeln kennengelernt. Sie nimmt meine Art an, das finde ich schön. Ich muss nicht überlegen, ob mein Verhalten angebracht ist. Wir hatten schon drei Dates und noch keinen Sex. Die Spannung bleibt. Es fühlt sich echt und einfach an.
Yves*, 31, aus Luzern, wurde schon oft im Nachtleben verzaubert. Auch als Kind war er häufig verliebt und seit jeher fasziniert von Frauen. Als Jugendlicher hat er die «Girls dann komplett überfordert». Er ist schon eine Weile single und wünscht sich eigentlich eine Beziehung.
*Die Namen wurden auf Wunsch der Protagonist:innen anonymisiert.