Gegen modische Zwänge
Johann bricht mit der gendertypischen Kleiderordnung. Anstatt Hose trägt er seit Jahren Strumpfhosen und Röcke. Wieso er das tut und wie er mit irritierten Blicken umgeht.
Caroline Mohnke — 07/21/21, 07:53 AM
Rock, Strumpfhosen, Sneakers: Etwas anderes trägt Johann nur selten. (Fotos: Caroline Mohnke)
Wenn Johann an einem sonnigen Tag am Luzernerquai spazieren geht, kann er sich den Blicken der Passanten sicher sein. Denn der gelernte Sanitärinstallateur ist eine Ausnahmeerscheinung. Mode hat für ihn keine geschlechtsspezifische Grenze. Der 61-Jährige ist überzeugter Strumpfhosen- und Rockträger. Wie ist es dazu gekommen?
Johann, Du bist ohne Zweifel ein Blickfang. Wie lange trägst Du schon Röcke mit Strumpfhosen?
Vor vier Jahren wagte ich es, statt Hose Rock zu tragen. Strumpfhosen trug ich schon als Bub. Früher freute ich mich im Sommer auf den Winter. Dann durfte ich statt den verhassten Kniesocken, die überall zwackten und herunterrutschten, endlich wieder Strumpfhosen tragen. Am liebsten trug ich die Rote mit dem Zopfmuster meiner Schwester nach, für Buben gab es immer nur dunkelblaue. Es war Tradition in unserer Familie, dass die jüngeren Kinder die Kleider der älteren nachtragen. Mit vier älteren Schwestern kam ich in Sachen Strumpfhosen voll zum Zug.
Du scheinst mit den vielen verdutzten, teils verstörten Blicken der Leute gut umzugehen. War das schon immer so?
Nein, zu Beginn meiner Rockzeit brauchte es eine gewisse Überwindung. Doch die verblüfften Blicke kümmern mich heute nicht mehr. Das Leben ist zu kurz, um sich öde zu kleiden und es ist mir ein Gräuel mich trist anzuziehen. Ein Rock ist einfach angenehmer zu tragen als eine Hose. Das ist der eigentliche Grund, warum ich mit Rock herumlaufe. Und es geht mir vor allem darum, mich von modischen Zwängen, die es eigentlich gar nicht gibt, zu befreien. Ich trage, was mir gefällt und was ich praktisch finde. Diese Freiheit nehme ich mir heraus.
«Hosen trage ich höchstens mal für eine Beerdigung.»
Bleibt es nur bei irritierten Blicken oder gibt es auch noch andere Reaktionen?
In meinem Umfeld gab es Leute, die sich von mir zurückzogen. Aber damit kann ich gut leben. Das ist ihr gutes Recht, genauso wie es mein Recht ist, mich nicht nullachtfünfzehn kleiden zu müssen. Im Winter fragte mich auch schon mal eine ältere Dame, ob ich nicht an den Beinen friere. Früher war es ein Privileg für Männer Bein zu zeigen. Schon die alten Ägypter trugen Kilts: Ein Rock, der nur aus einer Stoffbahn besteht und gewickelt wird. Im Barock- und Rokoko-Zeitalter kleideten sich die Herren aufwendig und apart: Kniebundhose mit Seidenstrümpfen und zur Krönung gehörte ein Schuh mit Absatz.
Was trägst Du zu einem Rock?
Ausschliesslich Sneakers, ich habe sie in verschiedenen Farben. Und im Sommer wie Winter Strumpfhosen. Ein Rock und Strumpfhose sind nicht immer praktisch, aber bequem und im Sommer schützt die feine Beinbekleidung sogar vor der Sonne. In jeder Jackentasche oder Rucksack habe ich eine Ersatzstrumpfhose, denn keiner ist vor Laufmaschen gefeit. Früher bewahrte man die kostbaren, edlen Modelle in wunderschönen Strumpfmäppchen auf.
Johann bezeichnet sich nicht als geselligen Menschen und scheut den Rummel.
Befinden sich in Deinem Kleiderschrank noch Hosen?
Die kann ich an einer Hand abzählen. Ich trage sie zum Arbeiten und höchstens mal für eine Beerdigung. Für eine Wanderung oder Radtour bevorzuge ich Shorts mit Strumpfhose oder ein Wanderrock mit integrierter Strumpfhose. Übrigens habe ich keinen Kleiderschrank: Eine einzige Kleiderstange reicht. Diese habe ich in der Decke montiert in meinem Winterzimmer.
Winterzimmer?
Ja, ich wohne in einem Altbau und habe ein Winterzimmer und ein Frühlingszimmer. Ich heize sowieso nur, wenn ich Zuhause bin. Da kann es schon mal vorkommen, dass wenn ich von der Arbeit komme, ich nur einstellige Plusgrade im Haus vorfinde. Ich stehe immer frühmorgens auf. Meistens um 4.30, spätestens aber um 5 Uhr. Die Morgenstunden sind die schönsten Stunden. Man ist frisch im Kopf und Geist. Bei mir muss alles seinen Platz haben. Das, was nicht an der Kleiderstange hängt, liegt in den Schubladen: Strumpfhosen.
In vier Jahren wirst Du pensioniert. Machst Du Dir Gedanken darüber?
Aber sicher. Da soll man nicht einfach blind reinlaufen. Was ich weiss ist, dass Mode kein Alter kennt. Ich werde sicher noch Röcke tragen. Ich bin kein geselliger Mensch und ziehe die Ruhe vor dem Rummel vor. Etwas vom erholsamsten ist eine Bergwanderung oder eine Radtour. Am liebsten frühmorgens. Wenn ich Zuhause bin, schaue ich am liebsten Filme, oder recherchiere über Themen wie Mode oder Geschichte. Ich könnte mir auch vorstellen später Sterbebegleitung zu machen.