Mann ärgere dich nicht
Als sich die Autorin öffentlich gegen Gewalt an Frauen einsetzte, stellte ein wütender Mann ihre Beziehungsfähigkeit in Frage. Eine Kolumne über verweigerte Auseinandersetzung.
Jana Avanzini — 05/17/21, 04:26 AM
Klappe zu! (Illustration: Line Rime)
Ein Mann hat sich sehr, sehr doll über mich geärgert. Richtig doll. Ich habe es leider nicht mitbekommen. Oder vielleicht zum Glück? Er liess sich jedenfalls bei einer gemeinsamen Bekannten über mich aus. Und es geht mir seither nicht mehr aus dem Kopf. Aus ihrer Erzählung fasse ich seine Aussagen folgendermassen zusammen: «Jesses. Der Mann von der tut mir richtig leid. Stell dir vor, du hast so eine zuhause. So ein Rääf. Das hält ja keiner aus. Der arme Mann trennt sich sicher bald.»
Nun. Dieser Herr war nicht der erste, und bestimmt nicht der letzte Mensch, der sich in seinem Leben über mich geärgert hat. Und ich will nicht abstreiten, dass dieser Ärger in einer ganzen Reihe an Situationen bestimmt angebracht war. Ich sehe Partner und Kind, Mutter und Freundin schon ganz beflissen Nicken.
Bei dem Herrn jedoch ging es darum, dass ich bei Tele 1 ein kurzes Interview gegeben hatte. Das war im Rahmen der Aktion «16 Tage gegen Gewalt an Frauen*». Wir haben dabei Zitate von Luzernerinnen, die Gewalt durch Partner oder Ex-Partner erlebt haben, im öffentlichen Raum sichtbar gemacht. Und diese Zitate waren heftig. Sie lösten Wut aus, vor allem aber Hilflosigkeit.
Diese Gefühle sollten nicht nur die Betroffenen – und in vielen Fällen auch deren Kinder – erleben müssen, fanden wir. Diese sollte auch die betroffene Gesellschaft spüren. Damit uns klar wird, dass definitiv mehr getan werden muss. Denn: Mindestens einmal täglich rückt die Luzerner Polizei wegen häuslicher Gewalt aus. Jeden Monat werden in der Schweiz zwei Frauen* von ihrem Partner oder Ex-Partner getötet. Jede 10. Frau* in der Schweiz wird mindestens einmal im Leben zum Geschlechtsverkehr gezwungen. Und über die Hälfte der Frauen* erleiden im Verlauf ihres Lebens sexuelle Übergriffe.
Und das sind nur die Zahlen, die wir kennen. Man geht davon aus, dass lediglich 20 Prozent der Fälle häuslicher Gewalt zur Anzeige kommen, nur 10 Prozent der Vergewaltigungen und sexuellen Übergriffen – von welchen übrigens der Grossteil im privaten Umfeld passieren. Die Dunkelziffer ist riesig. Darauf wollten wir aufmerksam machen – auf diese Gewalt, die strukturell ist.
Doch anstatt diese Fakten einfach mal anzuerkennen, die Aussagen der misshandelten Frauen anzunehmen, machte dieser Herr etwas anderes. Er macht einen Mann zum Opfer. Aber nicht etwa mit einem der grössten Dauerbrenner der Kommentar-Hitparade bei häuslicher Gewalt oder Vergewaltigung: «Aber auch Männer sind Opfer! Reden wir darüber!!!». Ou, ou, oder den hier: «Vielleicht lügt die Frau ja??? Solche Aussagen können das Leben eines Mannes zerstören!»
Will der Herr sich nicht eingestehen, dass das eigene Geschlecht nicht die unfehlbare Krone der Schöpfung ist?
Nein, der Herr aus unserer Geschichte ignoriert die Thematik geflissentlich und geht lieber gleich persönlich rein. Er nimmt die Beziehungs(un)fähigkeit dieser Emanze in den Fokus. Vielleicht weil er sich eigene Fehler nicht eingestehen will? Oder er ist wirklich überzeugt, kein Teil des Problems zu sein? Dies während er von der strukturellen Gewalt gegen Frauen ablenkt, indem er eine Frau abwertet.
Will der Herr sich nicht eingestehen, dass das eigene Geschlecht nicht die unfehlbare Krone der Schöpfung ist? Nein. Denn natürlich muss man davon ausgehen, dass eine Frau, die sich gegen Gewalt an Frauen einsetzt, ihren Mann zuhause ständig plagt. Falls sie denn überhaupt einen halten kann. Bestimmt kann sie nicht kochen. Und trägt keine Spitzenwäsche. Allenfalls darf er sie nicht mal schlagen.
Und dann hat sie beim Interview, in welchem sie von Gewalt erzählt, nicht einmal hübsch gelächelt.
Jana Avanzini wurde schon auf dem Schulhausplatz mit dem Spitznamen «Avanze» bedacht. Sie ist Co-Redaktionsleiterin bei Kultz, doch in dieser Kolumne lässt sie sich alle zwei Wochen über die alltäglichen K(r)ämpfe einer Feministin aus. Einer Feministin in der Zentralschweiz, wo man(n) sich noch gerne über aufmüpfige Frauen und Genderwahnsinn ärgert.