Prime Time
Mit Preisen überhäuft, aber eigentlich recht banal: «Das Mädchen und die Spinne» verspricht Drama-Horror aus Schweizer Produktion, doch nur wegen den furchtbaren Dialogen wird man vom Grauen gepackt.
Sarah Stutte — 05/14/21, 10:25 AM
Willkürliche Dialoge, vorgegaukelte Tiefsinnigkeit: «Das Mädchen und die Spinne» ist Artsy-fartsy par excellence.
Mit manchen Filmen ist es wie mit Familientreffen – sie sind einfach furchtbar anstrengend. Am Abend kehrst du todmüde heim, total überfahren von den vielen gleichzeitig auf dich einquatschenden Menschen, den verstörenden Sandkastenstorys deiner Eltern über dich oder ihren unterschwelligen Vorwürfen. Und dann ist da auch immer noch dieses Mitglied des Clans, das sich schon immer seltsamer benommen hat als alle anderen und das eigentlich niemand so richtig mag.
Im Groben erklärt das eigentlich schon die Handlung des Films «Das Mädchen und die Spinne». Mara, eine uns nicht sonderlich sympathische junge Frau, steht während des Auszugs ihrer ehemaligen Mitbewohnerin Lisa in der alten wie in der neuen Wohnung stets im Weg rum und hilft kein Stück, während um sie herum alle am Wuseln sind. Sie lächelt dafür die meiste Zeit über wissend und irgendwie bekloppt in sich hinein, sinniert über PDFs, die plötzlich ihre Form verloren haben, spuckt heimlich ins Klo oder kippt Kaffee über den Nachbarshund, was sie mit den Worten «Auch Hunde haben Durst» begründet.
Von der Kritikerbubble mit Preisen überschüttet: Das neueste Machwerk der Berner Zürcher-Brüder.
Und nein, das ist weder eine Satire noch eine Komödie und ergibt alles in allem gar keinen Sinn. Überhaupt sind die Dialoge nicht nur willkürlich, sondern haben auch den Anspruch, bemüht tief und bedeutungsschwanger zu sein. Dass niemand so redet und die Figuren einem seltsam entrückt und gleichgültig bleiben, scheinen die beiden Filmemacher – die Berner Brüder Ramon und Silvan Zürcher – in Kauf zu nehmen. Hauptsache, man hat etwas Irritierendes gemacht, was nicht Mainstream ist. Darüber wird dann auch noch ein Guss fehlplatzierter sexueller Andeutungen gekippt und alles gewürzt mit einer Endlosschleife von Desireless' Hit «Voyage, voyage».
Ach ja, nicht zu vergessen: die besagte Spinne, die Lisa unbemerkt über den Rücken kriecht und eines von vielen Mitteln zum Zweck ist, um das Unbequeme an diesem Film voranzutreiben. Unbequem ist das Gesehene tatsächlich: Mich schüttelt schon nach 30 Minuten die gähnende Langeweile und Frustration, trotzdem quäle ich mich tapfer bis zum Schluss.
Der Film schwingt mit auf der momentanen Welle schweizerischer Artsy-fartsy-Werke.
An der diesjährigen Berlinale heimste das Werk gleich zwei Preise ein: den für die beste Regie und den Filmkritikerpreis. Das macht Sinn. Denn der Film schwingt mit auf der momentanen Welle schweizerischer Artsy-fartsy-Werke mit Beteiligung deutscher Schauspieler (bspw. «Schwesterlein»), die an Festivals hochdekoriert werden und aufgrund ihres gewollt künstlerischen Anspruchs nur ebensolche Kritiker und Filmstudenten wirklich begeistern können. Ein zahlendes Publikum wird damit nicht hinter dem Ofen hervorgelockt.
«Das Mädchen und die Spinne», ab jetzt im Kino Bourbaki in Luzern.
Regie: Ramon und Silvan Zürcher, mit: Henriette Confurius, Liliane Amuat, Ursina Lardi.
Prime Time ist das neue Kultz-Format für Film und Fernsehen. Jeden Freitag schreiben Sarah Stutte und Heinrich Weingartner über die neuesten Blockbuster, Arthouse-Streifen und gehypten Serien. |