Mann ärgere dich nicht
Von der Lokalzeitung bis Netflix: Es scheint ein neues Männerhobby zu sein, «starke Frauen» zu küren. Wieso das problematisch ist.
Jana Avanzini — 11/22/21, 10:39 AM
Hier sehen Sie eine Frau. Eine starke vielleicht sogar? (Illustration: Line Rime)
Überall tauchen sie in den letzten Jahren auf, die starken Frauen: Es sind die, die es geschafft, sich durchgesetzt haben, die Karriere und Familie unter einen Hut bringen, oder zumindest Karriere in einer sogenannten Männerbranche machten. Oder manchmal sind es auch die, die Schlimmes erlebten und daran nicht zerbrochen sind. Oder nur zeitlich beschränkt zerbrochen. Jedenfalls sind keine Gewichtheberinnen gemeint, sondern die neuen «Fräuleinwunder».
Nun darf in einer hiesigen Lokalzeitung ein alter weisser Mann sogar eine ganze Reihe «starker Frauen aus der Region» vorstellen. Seltsamerweise fehlt die Reihe, in welcher Männer mit Karrieren von älteren Damen gönnerhaft als «starke Männer» präsentiert werden.
Selbst auf Netflix werden mir neuerdings Filme «mit starken weiblichen Hauptrollen» empfohlen. Was übersetzt wohl bedeuten soll, dass Frauen in diesen Filmen mehr als nur Deko sein dürfen (Dazu spannend: der Bechdel-Test). Und was im Wording von Netflix bestimmt supernett gemeint war, ist schlicht abwertend: Als müssten Frauen besonders (stark) sein, wenn sie dasselbe tun, was sonst Männer tun. Eine Hauptrolle spielen, zum Beispiel.
Hier wird aus männlicher Sicht beurteilt, welche Frauen stark sind.
Und das ist genau, was nicht ganz aufgeht an diesem vermeintlichen Lob an die «starken Frauen»: Hier wird aus männlicher Sicht beurteilt, welche Frauen stark sind und welche nicht. Und dass sie eine Ausnahme darstellen, dass es alle anderen offenbar nicht sind, die nicht Karriere in der sogenannten Männerwelt machen. Dass die Frau, die zum Beispiel täglich in der Pflege physisch und psychisch zehrende Arbeit tut, aus der Sicht der beurteilenden Herren in der Glückspost-Redaktion halt einfach nicht stark genug ist. Aber die Chirurgin, na die dann schon.
Die ist eine «starke Frau». Und dabei bleibt sie aber nur eine «echte Frau», wenn sie trotz Karriere auf keinen Fall «vermännlicht». Und wieder sind wir bei den beliebten und sich aufbäumenden Stereotypen. Die «echten Männer» und die «echten Frauen».
Ein Freund machte sich vor einigen Jahren auf in den Wald, um in einem Kurs gemeinsam mit anderen Männern die Männlichkeit zu suchen. Ich fand das komisch. Ich fand die Überlegung komisch, dass man sich als Cis-Mann auf die Suche nach der Männlichkeit begibt. Als wäre diese an dreckige Outdoor-Hobbys und strammen Bartwuchs geknüpft.
Ich fühle mich tatsächlich auch beim Holzhacken weiblich. In groben Jeans genauso wie im Seidenkleidchen, geschminkt und ungeschminkt. Ich fühle mich als Frau, wenn ich wütend bin, wenn ich fluche, mit Achselhaaren und ohne. Ist das bei Männern anders?
Wann ist ein Mann ein «richtiger Mann»? Was soll es bedeuten, wenn ein Polizist dem Opfer einer Stalkerin, die gerade vor seiner Türe Terror schiebt, sagt: «Stellen sie sich nicht so an. Regeln sie das wie ein richtiger Mann!» Soll er Gewalt anwenden? Einen Baum fällen? Und wie würde das eine richtige Frau regeln?
Oder eine «starke Frau»?
Die erlaubte Anzahl an Anführungs- und Schlusszeichen ist nun aufgebraucht.
Jana Avanzini wurde schon auf dem Schulhausplatz mit dem Spitznamen «Avanze» bedacht. Sie lässt sich hier über die alltäglichen K(r)ämpfe einer Feministin aus. Einer Feministin in der Zentralschweiz, wo man(n) sich noch gerne über aufmüpfige Frauen und Genderwahnsinn ärgert.