Kalte Kulturen, heisse Spiele
Wieso hat die Fasnacht in der Kulturszene einen schweren Stand? Und wie viele Kafi Luz braucht es, um sie ertragen zu können? Wir haben eine Nicht-Fasnächtlerin ins närrische Treiben geschickt.
Anja Nora Schulthess — 02/27/22, 10:05 PM
Fasnacht: Nichts für elitäre Vernissage-Gänger:innen. (Foto: zvg)
Ich bin in einem protestantischen Kaff aufgewachsen, wo man Fasnacht maximal mit ein paar Kostümen ab Stange verbindet, die bei den Sujets «Sexy Hexe», «Engel-Teufel», «Cowboy-Pocahontas» haltmachen. Für jemanden, der ausserdem die letzten 12 Jahre vor der Pandemie in Zürich verbrachte, ist das, was in Luzern zwischen dem Schmutzigen Donnerstag und den Tagen darauf passiert, schon eine Grenzerfahrung. Was es per definitionem ja auch sein soll. Man schwankt zwischen Faszination und Irritation.
Nun ist es ein weit verbreitetes Phänomen, dass sich gerade die urbane Kulturszene gerne über jene (Un-)Kultur mokiert: Primitiv – toxische Männlichkeit – ein einziges Saufgelage. Das stimmt natürlich zum Teil. Interessant ist aber, dass dieses Sich-Erheben nicht selten von jenen kommt, die sich gerne Montag bis Donnerstag (oder auch allabendlich) an Vernissagen und Premieren mit Prosecco oder Riesling Silvaner betrinken und einer Art verschworenen Gemeinschaft angehören, die nicht selten ebenfalls mit Bro-Culture und Übergriffigkeiten einhergeht. Aber es geht dort schliesslich um (Hoch-)Kultur.
Alkohol in rauen Mengen
Man kann nun über Neid am lustvollen Exzess der anderen spekulieren, ausgeprägte Über-Ichs vermuten oder eine narzisstische Tendenz, abwerten zu müssen, was nicht ich-konform ist. Oder auf Zugehörigkeitsdynamiken schliessen, die dezidiert über Abgrenzung funktionieren. So oder so: Kultur ist ein sehr breites Spektrum und seit jeher traditionell mit Drogen – mal bewusstseinserweiternden, mal bewusstseinslimitierenden – verbunden. Dass die Fasnacht relativ konsequent auf letzteres in Form von Alkohol in rauen Mengen setzt, spricht für sich und ist zumindest mitverantwortlich dafür, dass die sonst doch eher verhaltenen und verschlossenen Zentralschweizer:innen eine Woche lang etwas aus sich herauskommen.
Der Fasnachts-Exzess ist soziologisch gesehen durchaus interessant, weil vor allem divers und widersprüchlich.
Nur ist es immer auch aussagekräftig, wenn es dazu eine abgesteckte Woche braucht. Kalte Kulturen brauchen bekanntlich heisse Spiele. Und so erstaunt es nicht, dass die doch eher konservativ geprägte Zentralschweiz und vor allem das selbstgenügsame beschauliche Luzern zum Epizentrum für den Fasnachts-Exzess wird. Dieser ist soziologisch gesehen durchaus interessant, weil vor allem divers und widersprüchlich.
Omnipräsentes Militär
Und ja: auch wenn es etwas Überwindung kostete, mir das selbstgebastelte Kindergarten-Drachenkostüm meiner Tochter anzuziehen und mich als gruppenscheuer Mensch unter eine ungeheure Menschenmasse zu mischen, macht es auch ein wenig Spass. Denn: Wo sonst kann man sich in Luzern unbeobachtet nachmittags um drei ein wenig «wegtätschen»? Wo sonst sieht man selbstgemachte Masken und Kostüme, die einen tatsächlich das Fürchten lehren? Und wo sonst gehen Leute als Facebook oder als Gefahrenmelder verkleidet auf die Strasse oder als Blitzkasten – mit einem, der aus einer Kiste heraus heimlich Leute fotografiert.
Fasnacht bedeutet auch alkoholisches Aufrüsten in den Läden.
Es gibt eben auch das Subversive, das Politische, das Anarchische und Kreative an dieser Fasnacht. Genauso wie es natürlich das andere gibt – sinnbildlich verkörpert etwa durch jenen Mann, der meinte, er könne mal kurz unter mein Karton-Kostüm fassen, um zu «schauen», ob sich dort allenfalls ein paar Brüste befinden.
Warum überhaupt hat es so viele Militärler und Bewaffnete an der Fasnacht?
Nach ein paar Stunden als Karton-Drache und immerhin dem Versuch nach zwei Lagerbieren einen Kafi Luz bis zum Zuckersatz herunterzubringen, wurde es gegen 20 Uhr bereits ungemütlich. Geblieben sind mir vor allem Fragen: Ist es hochgradig unbedarft oder pervers oder schon wieder subversiv, wenn sich vier Männer in Vollmontur mit einem selbstgebastelten immensen Panzerfahrzeug auf Rädern – zwei Tage nach dem Grossangriff Russlands auf die Ukraine – unter die Feierenden mischen? Warum überhaupt hat es so viele Militärler und Bewaffnete? Macht das Pink-Panther-Pärchen wie ich die Assoziation zum Nationalsozialistischen Untergrund um Uwe Mundlos und Beate Zschäpe? Und wenn ja – würde ich das wissen wollen oder doch lieber nicht? Warum ist der Applaus bei schlechten Guggen-Covers von noch schlechteren Songs am grössten? Gibt es ein richtiges Spielen im Falschen? Und wenn ja, wie viele Kafi Luz muss man trinken, um es zu fühlen, wenn man älter als 5 Jahre ist? Die Antwort ist: einige.
Bären, Wodka und Protest
Ein richtiges Spielen im Falschen gibt es natürlich auch. Das verhält sich ähnlich wie mit Tom Cruise in Eyes Wide Shut – eigentlich schlecht, aber irgendwie wieder passend. Mit dem Unterschied von Stanley Kubrick natürlich und der hatte einen Plan. Wohingegen es hier keinen zu geben scheint, lässt man einmal ausser Acht, dass die ganze Fasnacht zum grossen Teil von dubiosen Zünften organisiert wird, die nach wie vor geschäftstüchtigen Männern vorbehalten sind. Im Übrigen eine Tatsache, die selbstredend zu einem ganzen Arsenal an weiteren Fragen führt.
Und wenn sich dann mit russischem Wodka ausgestattete, ausgewachsene Bären für einen kurzen Moment mit einer überschaubaren Gruppe von Demonstrant:innen gegen den Ukrainekrieg auf dem Helvetia-Platz vermischen, ist das wahrhaftig ein Bild für ein Massacre du printemps!