Luzerns «Grande Dame»
Kunsthändlerin, Galeristin, Stifterin, Museumsdirektorin – diese Frau hat Ungewöhnliches geleistet. Doch einige Figuren ihrer Vergangenheit werfen noch immer einen Schatten auf Rosengarts Leben.
Emilia Sulek — 04/26/21, 04:26 AM
Angela Rosengart, gemalt von Pablo Picasso. (Bild: Sammlung Rosengart)
Kartoffeln und Käse bringe ich Angela Rosengart. Ihre Leidenschaft für Gschwelti ist mir aus der Literatur bekannt, ein Zeichen für Bescheidenheit und Vorliebe für das Einfache. Alpkäse von der Rigi und Vacherin aus dem Jura. Bei Käse sei sie nicht wählerisch, sagt die Leiterin des Museums Sammlung Rosengart und strahlt unter der blauen Gesichtsmaske.
Es ist ein angenehmer Moment, nach einer doch eher seltsamen ersten Begegnung. Im Museumfoyer erscheint Angela Rosengart kurz vorher in Begleitung ihres Assistenten. «Passen Sie auf.» Sagt er und schaut mich durchdringend an. «Verstehen wir uns?». Fragt er. «Passen sie gut auf sie auf.» Seine Kommentare stehen quer im Raum. So schnell merke ich, dass die Museumsleiterin ein Schatz ist, nicht kleiner als die Gemälde, die ihr Museum zeigt.
Wir treffen uns am Vormittag, als die Museumräume nahezu leer sind. Zierlich wie ein Vogel sitzt die 89-jährige Angela Rosengart unter den Grossformat-Picassos, deren raue Farben und grobe Striche aus der Wand schreien. Mittendrin sie: mit einem Chignon, blauen Pullover und einer Spiralenkette, die zu ihrem Markenzeichen geworden ist. Langsam ziehen die ersten Besucher*innen an uns vorbei. Sie schauen uns neugierig an, einige nicken zu. Angela Rosengart verteilt grosszügig ihr Lächeln.
Eine Männer-Menagerie
Picasso, Miró, Leger, Braque, Klee. Diese einschlägigen Namen zieren die Fassade des neoklassizistischen Gebäudes in Luzern, das die Sammlung Rosengart beherbergt. Der Vater von Angela Rosengart, Siegfried, ein bekannter Kunsthändler, hat die Sammlung begonnen. Angela hat sie aufgebaut und leitet sie bis heute. Berühmt sind die Rosengarts vor allem für ihre Freundschaft mit Picasso, dessen Werke die Räume im ersten und zweiten Stock dominieren. Paul Klee – den die Familie auch leidenschaftlich sammelte – versteckt sich im Keller. Man muss nahe herankommen, um seine zarten Linien nicht zu übersehen und den subtilen Witz zu erkennen.
«Ich habe einfach Männer lieber.»
Es ist eine Sammlung männlicher Künstler, die von einer Frau verwaltet wird. Es ist zwecklos, in dieser Menagerie nach Künstlerinnen zu suchen. Frauen als Sujets erscheinen auf der Leinwand, manche bekleidet, andere nackt, erkennbar oder kubistisch deformiert. Aber vor der Leinwand, mit einem Pinsel und einer Palette in der Hand, stand immer ein Mann. Ist es Zufall, dass sich in der Sammlung nur Männer befinden? Angela Rosengart lacht. «Nein. Ich habe einfach Männer lieber.»
Selbst die Position der Museumsleiterin innehabend, freut sich Angela Rosengart jedoch, immer mehr Frauen in Führungspositionen in Schweizer Museen zu sehen. Ihre fröhliche Natur weicht einem nachdenklichen Blick, wenn sie über die Zweifel spricht, die ihr entgegengebracht wurden.
Im Schatten
Bereits als Teenager stieg Angela in den Kunsthandel ein, um ihren Vater zu unterstützen als er sich beim Skifahren das Bein brach. Für die junge Frau war die Arbeit in der männerdominierten Kunstwelt alles andere als ein Beinbruch – sie liebte es und fand sich schnell zurecht. Vater und Tochter wurden zu einem unzertrennlichen Geschäftspaar. Sie reisten um die Welt, trafen sich mit Künstlern, kauften und verkauften Kunst.
Doch egal wie harmonisch sie in der Öffentlichkeit agierten, stand Angela stets im Schatten ihres Vaters. «Er hat mich das nie spüren lassen. Für viele war ich aber nur die Tochter». Das wurde ihr 1985 besonders klar: Nach Siegfrieds Tod ging die Galerie vollständig in Angelas Hände über. Seit Jahren war sie schon ihre offizielle Teilhaberin. Trotzdem zweifelten einige an ihrem Knowhow. An eine Szene erinnert sie sich bis heute: «Unser guter Kunde kam zu mir, um mir zu kondolieren. Ganz nebenbei fragte er: Was werden Sie denn jetzt machen? Die Galerie weiterführen. Die Antwort war doch klar.» Sagt sie. «Aber können Sie das?» Erwiderte der Mann.
«Heute bin ich akzeptiert. Aber es war ein Kampf.»
Hier verstummt die Museumsleiterin. Sie schaut auf den Picasso, als suchte sie bei ihm nach den richtigen Worten. «Da war ich fast 30 Jahre im Geschäft. Ich war am Boden zerstört. Da dachte ich: Jetzt werde ich es ihm zeigen.» Sie schaut mich an: «Heute bin ich akzeptiert. Aber es war ein Kampf.»
Das Wort «akzeptiert» kommt in unserem Gespräch mehrfach vor. Vielleicht liegt hier der Schlüssel zur Freundschaft zwischen ihr und Picasso. Die junge Angela begegnet ihm zum ersten Mal, als sie 22 Jahre alt ist. Picasso wird sofort auf sie aufmerksam und will gleich ein Porträt anfertigen. Eines von insgesamt fünf, die er von Angela gemalt hat. «Picasso war der erste, der mich wahrgenommen hat.»
Selbstständig und frei
Das spätere Schicksal der Sammlung zeigt, dass es Angela Rosengart keinesfalls an Entschlossenheit mangelte. 1992 gründet sie die Stiftung Rosengart und begibt sich auf die Suche nach einem passenden Gebäude. In den Räumlichkeiten der Schweizerischen Nationalbank an der Pilatusstrasse wird sie fündig. Sie kauft das Haus und lässt es umbauen. 2002 findet die festliche Eröffnung statt.
«Ich hab’s geschafft.» Sagt sie, die Museumswände anhimmelnd. Bis heute gibt es aber Menschen, die behaupten, die Sammlung sei einfach bloss Siegfrieds Erbschaft. Dabei stammt nur ein Drittel von ihm. Den Rest hat sie gesammelt oder später für die Sammlung angeschafft.
Selbständig und frei: so handelt Angela Rosengart am liebsten. «Es fällt mir nicht immer leicht, aber ich möchte Dinge selbst gestalten. Ich habe auch viel Widerspruchsgeist.» Bedeutet das, dass sie sich schwer damit tut, Autorität zu akzeptieren? Die Museumsleiterin schaut mich entschlossen an. «Ja. Wenn Autorität mich unterdrücken will, dann habe ich ein Problem damit und zeige es auch.»
«Grande Dame» wird sie oft genannt. Es passt auch einfach sehr gut. (Bild: Sammlung Rosengart)
Liebe und Geld
Für die Rosengart Familie habe Kunst vor allem ästhetischen und emotionalen Wert. Kunsthandel mache nur dann Sinn, wenn man ihn mit Herz betreibe, sagt Angela Rosengart. «Wenn ein Kunde fragte, ob sich dieses oder jenes Bild als Kapitalanlage lohnen würde, antwortete mein Vater: Kaufen Sie lieber Aktien.»
Doch Geld spielt ja trotzdem eine grosse Rolle? Frage ich nach. «Wir waren eigentlich nicht übermässig reich», sagt sie. Zudem sind die Preise in der Kunst inzwischen in die Höhe geschossen. «Ich könnte mir jetzt meine eigenen Bilder nicht mehr leisten», sagt die Museumsleiterin lachend und auf den Picasso deutend: «Er wäre mir zu teuer.»
Die Sammlung wuchs innert eines Jahrhunderts, das Weltkriege, politische Umbrüche, aber auch Wirtschaftskrisen mit sich brachte. Mag sein, dass aufgrund dieser Erfahrungen, der Covid-Lockdown Angela Rosengart kein bisschen in Panik versetzte. Für das Museum aber ist es alles andere als einfach, eine kollektive Erfahrung der Kulturbranche im vergangenen Jahr: Die Kosten laufen weiter, aber die Einkünfte sind gleich null. Trotzdem freute sie sich, als sie wieder öffnen durften, denn «Kunst braucht Publikum, und Publikum braucht Kunst», sagt sie.
Kaum erwähnte Mutter
Angela Rosengart ist unermüdlich. Bis heute handelt sie mit Kunst, auch wenn ihr die Museumsarbeit wenig Zeit übriglässt. «Mein Vater hatte auch diesen Drive», sagt sie. Bei fast jedem Thema führt sie ihren Vater an. Ideen zu haben und sie zu verwirklichen war für ihn wichtig, erzählt sie. «Niemand anders wird das für dich tun», hat ihr Vater oft gesagt. Sie halte sich bis heute daran.
Doch egal wie enthusiastisch Angela Rosengart von ihrem Vater erzählt, ich möchte auch über ihre Mutter, Sybil, erfahren. Dieses scheinbar unsichtbare Familienmitglied fasziniert durch ihre Abwesenheit im Gespräch. Auf einem alten Foto sieht Sybil aus wie die junge Angela. Hat die Tochter neben den Gesichtszügen auch etwas anderes von Sybil geerbt? Angela Rosengart schaut den Picasso still an. «Wenig. Meine Mutter hat Kunst geliebt, ins Geschäft wollte sie aber nie einsteigen.» Sagt sie. «Es war mein Vater, der mich geprägt hat.»
Ein Blick hinter die Maske
«Sind Sie fertig?» fällt mir der Assistent von Frau Rosengart ins Wort, gerade als ich die letzte Frage, eine über die Zukunft, stellen will. Er blickt vorwurfsvoll auf die Uhr, obwohl ich das Museum erst vor einer Dreiviertelstunde betreten habe.
«Ich habe Feste nicht gerne.»
Nächstes Jahr steht ein dreifaches Jubiläum an: 20 Jahre seit der Museumseröffnung, 30 Jahre seit der Gründung der Stiftung. Angela wird ihren 90. Geburtstag feiern «Wahrscheinlich werde ich etwas machen müssen... Ich habe Feste nicht gerne», sagt sie. Was meint der Assistent dazu? «Eine Fest mit Tanzen, am liebsten». Er beendet das Interview. Bevor er Angela Rosengart ins Büro leitet, zieht sie kurz ihre Gesichtsmaske aus: «Sie sollen doch wissen, wie ich aussehe.»
Ich bleibe unter den Grossformat-Picassos sitzen. Im leeren Raum starren mich die Bilder an. Erst in der Stille bemerke ich, dass einige Personen, die uns so aufmerksam beäugt haben, vermutlich keine Museumsbesucher sind. Als der letzte Mann, der uns um die Ecke beobachtete, mein Blickfeld verlässt, weiss ich: Jetzt ist das Treffen vorbei.
Angela Rosengart ist eine Frau mit Format, die viel zu bescheiden wirkt für ihre Grösse. Der Picasso zwinkert mir von der Wand her zu: er sieht das ganz genauso.