Landei versus Stadthuhn
Ernüchtert stellt unsere Kolumnistin fest, dass sie ihre ländlichen Kompetenzen überschätzt hat und kommt zur Einsicht: So geht das nicht mit der Kunst.
Christine Weber — 09/27/21, 09:12 AM
Es ist zum zweiten Mal Herbst, seit ich im hintersten Teil von Obwalden lebe. Und ich gebe zu: Meine Kräfte sind erschöpft, die Euphorie ist von vorgestern und meine Motivation den Bach, beziehungsweise Wasserfall runter. Zerknirscht stelle ich fest, dass ich meine ländlichen Kompetenzen überschätzt habe. Jedenfalls jene, die den Garten betreffen.
Letztes Jahr wucherte es: Schneeweisse Köpfe, kugelrunde Kohlrabi, fette Maiskolben und knallrote Tomaten landeten auf dem Tisch, im Tiefkühler und in allerlei Einmachgläsern. Dieses Jahr stehen nur ein paar gestrupfte Kabisköpfe herum, winken ausgefranste Salatblätter, und winzige Kohlrabi balancieren auf angefressenen Stängeln. Schon klar: Dieser Sommer war lausig, insbesondere für zarte Pflänzchen. Das sagen alle, ist aber kein Trost. Tief im Innern weiss ich nämlich: Das Wetter ist nicht schuld an der Misere, sondern meine Verkennung der Kunst im Allgemeinen, und jener des Gemüseanbaus im Besonderen.
Im ersten Jahr auf dem Land, kannte meine Begeisterung keine Grenzen: Ich machte mich schlau über Permakultur, legte ausgeklügelte Beete an, beobachtete jedes Hälmchen, das aus dem Boden spross. Abgebrochene Tomatenzweige verarztete ich mit Brennnesseln-Verbänden, unschlüssige Sprösslinge feuerte ich zum Wachsen an und nachts machte ich mich auf Schneckenjagd.
Bereits im zweiten Jahr verzichtete ich auf Fachliteratur und Pflanzentabellen oder den Einbezug des Mondzyklus.
Ich wurde reichlich belohnt. Und reichlich arrogant: Bereits im zweiten Jahr verzichtete ich auf Fachliteratur und Pflanzentabellen oder den Einbezug des Mondzyklus. Wozu auch? Ich kenne mich ja aus! Die Zeit für Brennnessel-Verbände fehlte mir genauso wie die Musse, meine Pflanzen zu besingen. Bestraft bin ich jetzt mit einer kläglichen Ernte.
Gut so! Das zeigt einmal mehr: Mit einer guten Idee, viel Einsatz und etwas Glück kann es zwar gelingen, einen guten Wurf zu machen und eine reiche Ernte einzufahren. Damit das erfolgreiche Projekt jedoch kein einmaliger Zufallstreffer bleibt, braucht es viel mehr als einen engagierten Schnellschuss. Wer nicht dranbleibt, kommt nirgends hin – weder mit dem Kabis noch mit der Kunst.
Meine Freundin aus Luzern sagt dazu: Kauf dein Gemüse doch einfach in der Migros – dann hast du mehr Musse für die Kunst, und weniger Ärger mit dem Kabis.
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