Regisseur Oliver Rihs
Wer Filme macht, produziert Dreck, sagt «Stürm»-Regisseur Oliver Rihs im Interview mit der WOZ. Und er meint damit nicht den kurzen Porno, mit dem er einst an einen philosophischen Kongress eingeladen war.
11/30/21, 08:30 AM
«Wir sind alle nur mit dem Zug gereist, das schon», sagt Oliver Rihs. «Aber der Verschleiss ist bei einem solchen Film trotzdem enorm.» (Foto: Florian Bachmann)
WOZ: Oliver Rihs, die Schweiz will künftig Streamingdienste verpflichten, in hiesige Produktionen zu investieren, wie das in vielen Ländern schon üblich ist. Gegen diese «Lex Netflix» haben jetzt die bürgerlichen Jungparteien das Referendum ergriffen.
Oliver Rihs: Nein! Crazy, wieso das denn?
Wegen der Abogebühren: Netflix und Konsorten würden dann einfach die Preise erhöhen.
Aha. (Pause.) Hier in Europa ist es ja lächerlich, wie wenig wir fürs Streaming ausgeben. Die Amerikaner sind da viel eher bereit, mehr zu zahlen. Bei uns haben die Leute das Gefühl, dass sie für fünf Stutz alle Filme der Welt bekommen können und dass das so sein müsse. Ich finde, die sollten sich daran gewöhnen, dass das auch etwas kostet.
«Die Auflagen dafür sind oft auch etwas lächerlich.»
Oliver Rihs über «Green Producing»
Bei einem deutschen Streamingdienst ist gerade Ihre Miniserie «Blackout» angelaufen: ein Katastrophenthriller mit Moritz Bleibtreu und Marie Leuenberger. Sie haben drei der sechs Folgen inszeniert. Lichter aus in Europa: Bei diesem Thema haben Sie sicher klimaneutral und nur mit Ökostrom gedreht?
Natürlich lief das unter dem Label «Green Producing». Aber die Auflagen dafür sind oft auch etwas lächerlich – etwa dass man nicht mehr mit ausgedruckten Drehbüchern arbeiten darf. Klar, wir sind alle nur mit dem Zug gereist, das schon. Aber der Verschleiss ist bei einem solchen Film trotzdem enorm: Man macht einfach Dreck, wenn man Filme produziert. Der Dreh war auch eine richtige Müllschlacht – wegen des Settings musste immer alles zugemüllt werden. Natürlich ist das nicht wirklich «green».
Wenn Sie in Deutschland oder in der Schweiz drehen: Spüren Sie Unterschiede, was die Arbeitskultur am Set angeht?
In Deutschland ist das hierarchische Gefälle viel grösser. In der Schweiz kann der zweite Beleuchter ganz normal mit dem Regisseur reden und auch mal sagen, wenn ihm etwas nicht passt. Ich würde nicht sagen, dass es in Deutschland professioneller wäre. Aber was man schon merkt, vor allem bei den Technikern auf dem Set: In Deutschland produzieren sie einfach viel mehr. Die Leute sind auch dauernd ausgebucht.
Die Arbeit an «Blackout» war also ganz anders als etwa bei «Stürm: Bis wir tot sind oder frei»?
Der Unterschied war schon enorm. Aber bei «Stürm» hatten wir auch einfach ein wahnsinnig herzliches Team. Alle haben auf Augenhöhe miteinander gearbeitet, und ich hatte den Eindruck, dass alle wirklich daran interessiert waren, dass das ein guter Film wird. Bei «Blackout» war das anders. Der Druck war aber auch wahnsinnig hoch, da wurde wenig gelacht – gut, das hatte vielleicht auch mit dem düsteren Thema zu tun. Wir haben mitten im Winter gedreht, während Corona, mussten auch unterbrechen wegen Coronafällen am Set.
Sie haben ursprünglich Grafiker gelernt, waren nie auf einer Filmschule. Gab es später Momente, wo Ihnen das gefehlt hat?
Ja, die gab es schon. Das Problem, wenn du als Autodidakt anfängst: Es braucht lange, bis dich überhaupt jemand ernst nimmt. Das änderte sich erst, als ich in Locarno einen Preis gewann, für den Kurzfilm «Lilien». Aber meine Vorbilder waren fast lauter Regisseure, die nie eine Filmschule besucht haben. Rainer Werner Fassbinder zum Beispiel war ganz wichtig für mich.
Mir ist aufgefallen, dass «Stürm» Ihr erster Film mit einer weiblichen Hauptfigur ist.
Ja, ich hatte genug von Männerfiguren.
«Die haben den Film gehasst, auch die Studenten, das wurde fast handgreiflich.»
Oliver Rihs über die Reaktionen auf seinen philosophischen Porno an einem Kongress
Was ist mit den Bunnys in «Hasenhimmel», dem kurzen philosophischen Porno, den Sie vor bald zehn Jahren zusammen mit dem Dramaturgen Carl Hegemann gemacht haben?
(Lacht.) Oh Gott. Die würde ich nicht als weibliche Hauptfiguren ansehen. Das waren ja nicht wirklich Menschen, sondern Figuren aus einer hyperrealistischen Puppenwelt. Ich wollte damals schon lange mal Pornografie und Philosophie zusammenbringen. Bei beidem geht es darum, irgendetwas aufzudecken, und beide gehen gerne immer noch akribischer ins Detail – letztlich ist beides unsinnlich. Dass während eines sexuellen Akts philosophiert wird: Das fand ich spannend, das mal zu inszenieren. Wir wurden dann sogar an einen philosophischen Kongress eingeladen, an der Kunstakademie in Stuttgart.
Und?
Der Film war als Abschlussveranstaltung programmiert, ich bin mit Carl hingefahren. Natürlich war ich ungeheuer stolz – nie studiert, und jetzt endlich in diesen Akademikerkreisen! Aber die haben den Film gehasst, auch die Studenten, das wurde fast handgreiflich. Die fanden das blasphemisch: Da werden ihre Denker diesen Pornopuppen in den Mund gelegt! Aber der Film ist viel herumgekommen. Er hat sogar Geld verdient, weil ich ihn an viele Pornochannels verkaufen konnte. Mia Magma, eine der zwei Darstellerinnen, war ein richtiger Star in Deutschland. Wer zu Hause Mia Magma schauen wollte, hat also diesen Film gekauft – und dort hat dann eigentlich das Kunstwerk stattgefunden: Alle diese Männer, die schon den Gürtel offen haben – und dann fängt die an zu philosophieren! Ich wäre manchmal gerne in diesen Stuben dabei gewesen.
Dieser Artikel ist zuerst in Die Wochenzeitung WOZ erschienen. Die WOZ gehört wie Kultz zu den verlagsunabhängigen Medien der Schweiz.