Mann ärgere dich nicht
«Ein Mädchen!», ruft die Familie auf, und stürzt sich in die die rosaroten Abteilungen. Schleifen und Rüschen und süsse kleine Puppen. Warum trennen wir Kinder, ihr Äusseres und ihre Interessen immer stärker nach Geschlecht?
Jana Avanzini — 11/01/21, 05:38 PM
Sollte die Welt der Kinder nicht irgendwie… farbiger sein? (Illustration: Line Rime)
Es war ein netter Ausflug nach Sörenberg, und doch war ich zweimal nahe dran, ältere Frauen anzuschreien.
Wir hatten einen Pulli gesehen. Gestreift in braun, beige und rot, ein äusserst angenehmer feiner Strick, richtige Grösse, und ich war gerade dabei, ihn meinem Sohn schmackhaft zu machen, als die Verkäuferin sich neben mich stellte. «Aber der ist für Mädchen!», sagte sie bestimmt und wies uns zum blau-schwarzen Regal herüber.
Nachdem ich sie mit meinem Todesblick bedacht, den Pulli hingeworfen und mit dem Kind unterm Arm den Laden verlassen hatte, gingen mir alle möglichen Fragen durch den Kopf. Was wollte diese sexistische alte Schachtel? Wollte sie nichts verkaufen in dem Laden, wo sie arbeitet? Wollte sie mich darauf hinweisen, dass Farben ein Geschlecht haben? Mein Kind davor bewahren, dass ihm sein Penis abfällt in diesem feinen Strick? Ihn vor der unfassbaren Peinlichkeit beschützen, etwas zu tragen, das nicht von kapitalistischen Marketingstrategen spezifisch für ihr Klischee-Bild eines Jungen aus den 50er Jahren konzipiert worden ist?
Ich hätte allenfalls weniger radikal reagiert, wenn meinem Kind nicht eine halbe Stunde vorher gesagt worden wäre: «Du bist ein Junge? Aber mit diesen langen Haaren!». Wohlgemerkt: Die Frau, die von der Frisur dieses Kindes in ihrem Weltbild so erschüttert war, trug ihr Haar kurz. Und ich war nahe dran, sie zu fragen, ob sie denn auch ein Typ sei.
Immer schön rein in die vorgelegten Schienen. Erst das Lillifee-Schreibzeug, später der Venus-Rasierer.
Allenfalls bin ich da etwas empfindlich. Aber ich würde jeweils auch gerne ganze Spielzeug-Design-Abteilungen und Kinderkleider-Designer*innen durchschütteln. Wie schwer kann es sein, ein grösseres Angebot als Rosa-Rüschen-Prinzessin und dunkelblaues Depro-Fahrzeug herzustellen. Eigentlich sind wir doch dabei, als Gesellschaft von diesen Klischees wegzukommen – oder täusche ich mich da?
Doch weist man die Leute darauf hin, hört man noch immer, dass Mädchen Rosa und Tutus und all die Riesenaugen-Puppen einfach lieben mögen. Und Jungs halt Bagger.
Natürlich mag mein Sohn Bagger. Genauso wie das Nachbarsmädchen – wie alle Kinder in seinem Alter, die ich bisher getroffen habe. Doch er mag auch Kühe. Und Staubsauger und Vögel und Bass-Gitarren.
Egal wie oft man es von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern zu hören bekommt, dass es kein Bagger-Gen gibt, keine hormonellen Unterschiede bei Kleinkindern, oder dass Mädchen nicht automatisch rosa lieben (und wenn, dann erst seit Hitler – lest nach!), die Leute wollen es einfach nicht hören. Lieber decken sie sich mit irgendwelchen gegendertem Mist ein. Pappen dem noch praktisch glatzköpfigem Mädchen eine Schleife auf den Schädel und rügen den Jungen von nebenan für den fröhlich-farbigen Nagellack.
Mir geht es mit diesen Klischee-Produkten wie mit SUVs – es wurde schon so viel Böses darüber gesagt und geschrieben, doch die Mehrheit der Bevölkerung scheint diese Dinge schaurig cool zu finden. Vermissen sie die Stereotype, die einfachen Schubladen im Alter? Vielleicht sollen deshalb wenigstens die Kinder noch so funktionieren, wie es früher mal war: Mädchen süss, Jungs heldenhaft. Bitte nicht mit dem Menschen auseinandersetzen, mit der Welt. Alles hat seinen Platz, schon vor der Geburt ist klar, was das Kind wird, wie es wird und wohin der Weg geht. Immer schön rein in die vorgelegten Schienen – erst mit Lilifee-Schreibzeug, später mit rosa Venus-Rasierer.
P.S. Das pinke Ding kostet mehr als das exakt gleiche Produkt in blau. Das nennt sich Pink Tax und zieht sich vom süssen Mädchenzeugs hin bis zum hübschen Frauenzeugs.
Jana Avanzini wurde schon auf dem Schulhausplatz mit dem Spitznamen «Avanze» bedacht. Sie lässt sich hier über die alltäglichen K(r)ämpfe einer Feministin aus. Einer Feministin in der Zentralschweiz, wo man(n) sich noch gerne über aufmüpfige Frauen und Genderwahnsinn ärgert.