Hitler, Wagner und die Oper
Wenn man die Vergangenheit aufarbeiten will, muss man genau hinsehen. Auch in der Kunst, sagt Anno Mungen. Der Musikwissenschaftler hat eine Buch verfasst, das aufzeigt, wie Hitler das moderne Bühnengeschehen prägte.
Jana Avanzini — 10/10/21, 07:55 PM
Der junge Wieland Wagner mit Adolf Hitler.
Richard Wagner war ein grosser Komponist, und auch ein glühender Antisemit und Nationalist. Seine Nachfahren, die in Bayreuth die Wagner-Festspiele mit eigenem Opernhaus weiter führten, spielten nochmals in einer anderen Liga. Die Familie war Feuer und Flamme für das NS-Regime. Der Enkel Wieland Wagner, der Hiltler liebevoll «Onkel Wolf» nannte, stand dem Führer besonders nahe.
Der Musik- und Theaterwissenschaftler Anno Mungen zeigt in seinem Buch «Hier gilts der Kunst» die Entwicklung Wieland Wagners zur NS-Zeit chronologisch auf. Und damit auch, wie der verhinderte Künstler Hitler den damals aufstrebenden Regisseur und Bühnenbildner Wieland Wagner in seiner Arbeit beinflusste. Und damit das moderne Regietheater.
Wieso ist es wichtig, die Nähe von Wieland Wagner und Hitler genau zu betrachten?
Es geht um die Aufarbeitung der NS-Zeit in Kunst und Kultur. Die Kunst kann sich nicht unter dem Deckmantel des Unpolitischen verstecken. Kunst ist nicht unpolitisch. Sie tut oft nur so. Wenn man sich das Dritte Reich ansieht, dann zeigt sich das in seinen Extremen. Wie hoch Kunst gewichtet und gewertet wurde, im positiven wie auch im negativen. Und wie man die Zerstörung und Vernichtung über Kunst stützte und rechtfertigte.
«Wir müssen einen Teil der Theatermoderne in die NS-Zeit zurückdatieren.»
Anno Mungen
Seit dem 2002 erschienen Buch «Winifred Wagner oder Hitlers Bayreuth» sei die Nähe der Wagners zu Hitler Allgemeinwissen – nichts Neues – wirft dir ein Kritiker vor. Was sagst du dazu?
Brigitte Hamann hat mit «Winifred Wagner oder Hitlers Bayreuth» ein äusserst relevantes Buch geschrieben, das auch ich in meiner Arbeit verwendet habe. Der Fokus darin liegt jedoch bei der Leitung der Bayreuther Festspiele und bei Wielands Mutter, Winifred Wagner. Ich habe mich jedoch vertieft mit der Beziehung von Wieland Wagner zu Hitler beschäftigt, und damit, wie Hitler Wagners Arbeit auch offensichtlich beeinflusst – wenn man den Quellen Glauben schenken will.
Das heisst konkret?
Da sind die Tagebücher von Gertrud Strobel, eine enge Vertraute der Wagners. Sie liefert Aussagen und Beobachtungen, die Hitlers Einfluss auf Wieland Wagners Inszenierungen zeigen. Eine sehr wichtige Notiz von ihr ist dabei, als sie das Schlussbild der «Götterdämmerung» beschreibt, das die spätere Ästhetik Wieland Wagners bereits vorwegnimmt. Zur Beschreibung hatte sie «Idee des Führers» vermerkt.
Weshalb ist das relevant?
Später, in den 1950er und 1960er-Jahren hat Wieland Wagner sehr stark mit der Scheibe und dem abstrakten, reduzierten Regiestil als Markenzeichen gearbeitet. Er prägte damit viele Regisseur*innen nach ihm, und oft wurde behauptet, diese Ästhetik sei eine Abkehr von der Vergangenheit. Sie beziehe sich auf die Jahre vor der NS-Zeit und habe sich danach entwickelt. Doch sie war offenbar bereits in Inszenierungen 1943 und 1944 in wesentlichen Ansätzen vorhanden.
Jetzt könnte man fragen: Ist das denn wichtig? Ob er diese Ästhetik vor, nach oder während des NS-Regimes entwickelt hat?
Das kann man auf jeden Fall in Frage stellen. Doch es ist Fakt, dass wir damit einen Teil der Theatermoderne in die NS-Zeit zurückdatieren müssen. Und in diesem Zusammenhang ist die These des Politikwissenschaftlers Samuel Salzborn interessant, der sagt: Die NS-Kultur ist gerade in den Künsten noch immer sehr stark präsent, ohne dass wir dies wahrnehmen. Sei es in Film, in der Architektur, der bildenden Kunst. Und anscheinend ebenfalls beim heute dominierenden Regietheater, das in grossen Teilen auch auf Wieland Wagner zurückgeht. Ich will Wieland Wagner und seine Arbeit damit auch nicht «beschädigen», ich will bloss aufzeigen, wie sie beeinflusst wurde und sich entwickelte.
«Richard Wagner war ein Nationalist und ein strammer Antisemit. Wie viele seiner Zeitgenossen.»
Anno Mungen
Weshalb sollte Luzern diese Verbindungen interessieren?
In Luzern ist vor allem Richard Wagner relevant. Und selbstverständlich kann man die Verbindung der Wagners im Dritten Reich mit Richard Wagners Haltungen in Verbindung bringen. Er war ja auch ein Nationalist und ein strammer Antisemit. Wie viele seiner Zeitgenossen. Doch das Mass ist nicht im geringsten vergleichbar mit dem NS-Regime und der Zeit danach.
Dennoch ist Richard Wagner gerne Thema, wenn von der Beziehung der Wagners zu Hitler die Rede ist.
Aus meiner Sicht wird diese Rückprojektion ins 19. Jahrhundert gemacht, um von den 1930er-Jahren bis heute abzulenken. Doch die Auseinandersetzungen damit sind wichtig, und die Diskussionen sind es wert, geführt zu werden. Da würde ich auch die Schweiz nicht ausschliessen, obwohl ich zum Mass der Verdrängung hier wenig sagen kann. Das wird sich jedoch hoffentlich durch den Austausch mit Luzerns Wagner-Community ändern.
Wie kam es überhaupt , dass du dich so intensiv mit der Beziehung Wieland Wagners mit Hitler auseinandergesetzt hast?
Das kam über ein paar Umwege zustande. Am Anfang stand ein Projekt in Bayreuth, bei welchem wir die Aufarbeitung der Jahre 1933-1945 des Staatstheaters Nürnberg übernahmen. Und untersucht man die Oper dieser Zeit, stösst man unweigerlich auf Wieland Wagner.
Warum bist du an ihm hängengeblieben?
Erstmal blieb ich an einem Datum hängen, dem 31. August 1944, höchstwahrscheinlich die letzte Aufführung einer Oper im Dritten Reich. Diese Aufführung ist einerseits bemerkenswert, da sie so spät stattfand. Man kann sich kaum vorstellen, dass mitten im Krieg noch der Aufwand betrieben wurde, Opern zu inszenieren. Und dann ist da die Wahl der Oper selbst, «Die Götterdämmerung» von Richard Wagner. Auch diese Wahl ist aussergewöhnlich, da in der «Götterdämmerung» der Weltuntergang regelrecht zelebriert wird – das, was dem NS-Regime recht offensichtlich bevorstand. Und die Inszenierung verantwortete Wieland Wagner in einem Stil, der überraschte.
Inwiefern?
Es ist hier eine moderate Moderne sichtbar, weit entfernt von der erwarteten germanisierenden Inszenierung mit «Bärenfell-Romantik». Diese Beobachtung motivierte mich dazu, mich stärker mit Wieland Wagner und seinem Stil zu befassen. Denn er war, und ist bis heute, eine der prägendsten Figuren für das Regietheater in der Oper und die moderne Oper überhaupt. Ich begann also eine Chronologie anzulegen, um zu verstehen, wie er sich entwickelt hat und wodurch er beeinflusst wurde.
Wie waren die Reaktionen aus Bayreuth?
Von Seiten der Festspiele oder der Familie habe ich keine Rückmeldungen auf mein Buch erhalten. Bei einer Lesung, die ich in Bayreuth hielt, wurde es sehr wohlwollend aufgenommen und offenbar auf dem Hügel (Anm. der Red.: Die Bayreuther Anhöhe, auf welcher das Richard-Wagner-Festspielhaus steht, wird «Grüner Hügel» genannt.) ganz gut verkauft.
Anno Mungen, geboren 1961 in Köln, ist Musik und Theaterwissenschaftler an der Universität Bayreuth und Leiter des Forschungsinstituts für Musiktheater in Thurnau. Seine Arbeitsschwerpunkte sind das Musiktheater vom 18.–20. Jahrhundert, Musik und Film sowie Oper und Politik. Mungen lebt in Köln und Bayreuth, lässt sich aber gelegentlich auch in Luzern blicken.