Landei versus Stadthuhn
Die letzte Abstimmung zeigte den Graben zwischen Stadt und Land auf. Unsere Kolumnistin zweifelt daran, ob eine Kulturvermittlung möglich ist.
Christine Weber — 07/04/21, 07:45 PM
Foto: Hansjörg Keller/Unsplash
Spätestens seit das CO2-Gesetz und die Agrarinitiativen bachab geschickt wurden, ist klar: Es hat sich ein tiefer Graben aufgetan zwischen urbanen und ländlichen Gefilden. In diesem «Chrachen» stapeln sich Biodiversität und Pestizid, Permakultur und Bewässerung, Benzin und CO2, Veganismus und Fleischlust. Und von hüben wie drüben wird der Graben kräftig mit Mist gefüllt.
In meinen Anfängen als Landei dachte ich, es könnte eine Art Kulturvermittlung möglich sein, wenn Leute aus der Stadt aufs Land ziehen. Oder umgekehrt, was ja viel öfters geschieht: Wenn Landeier losziehen in die grosse Welt. Unterdessen bin ich nicht mehr so zuversichtlich, dass ein solcher Austausch an Werten und Erfahrungen stattfinden, beziehungsweise transferiert werden kann – eine (Teil-)Anpassung an die Lebensumstände passiert schneller, als einem lieb ist. Jedenfalls bei mir.
Unterdessen gehöre nämlich auch ich zur autofahrenden Spezies, verstehe auch ich den Einsatz von Laubbläsern, nehme auch ich Gülle in Kauf und spiele auch ich mit dem Gedanken, die Schneckenschar mit Gift einzudämmen. Das heisst noch lange nicht, dass ich – und das trifft bestimmt auf die meisten Landeier zu – darum gegen Umweltschutz bin. Aber die Umsetzung ist in manchen Bereichen komplizierter denn in der urbanen Szene, wo vom ÖV bis zum Bioladen mehr oder weniger alles Umweltfreundliche vor der Haustür steht.
Wenn Stadtleute nicht über den Rand des eigenen Urban-Gardening-Balkonkistchens schauen, haben sie logischerweise auch kein Gehör für heublasende Landwirtschaftsmenschen.
Hier im hintersten Obwalden gibt es zum Beispiel statt Kehrichtabfuhr nur die zwei Kilometer entfernte Müllstation (mit dem Velo? nein), statt schneckenfreies Bioladen-Gemüse das selbst Gepflanzte (Gift? ein bisschen), statt Rock’n’Roll Kuhglocken (Tierquälerei? jein) und als Zugabe Heubläser-Sound im Steilhang (Bequemlichkeit? … ich möchte dort auch nicht rechen). Dass sich Stadt-Touristinnen und Ferienhäuschen-Besitzer bei ihren temporären Besuchen über solche Sachen nerven, nervt wiederum die Landmenschen.
Natürlich sind das nur kleine Beispiele, doch bei den grossen Fragen verhält es sich gleich: Beide Seiten haben ihre Argumente, aber die Meinungen links und rechts vom gut gefüllten Stadt-Land-Chrachen sind häufig gemacht. Wenn Stadtleute nicht über den Rand des eigenen Urban-Gardening-Balkonkistchens schauen, haben sie logischerweise auch kein Gehör für heublasende Landwirtschaftsmenschen. Umgekehrt gilt das natürlich auch: Wer auf dem Land noch immer nicht gecheckt hat, dass PflanzenSCHUTZmittel häufig das Gegenteil bedeuten oder dass Ökoflächen ein Muss sind, hat auch kein Gehör für die Forderung nach Biodiversität.
Meine Freundin aus Luzern sagt: Dass sich Stadt und Land bei keiner der drei Umwelt-Abstimmungen zusammenraufen konnten, ist genau das: Ein Mist!
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