Es ist eine der meisterwarteten Videospielfortsetzungen der letzten Jahre – und momentan auch eine der meistgehassten: «The Last of Us: Part II».
Federico Gagliano — 10/06/20, 09:14 AM
Neil Druckmann, der israelisch-amerikanische Schöpfer von «The Last of Us», muss seit Monaten beleidigende und teilweise antisemitische Kommentare erdulden, in denen er dazu aufgefordert wird, seine «politische Agenda» aus der Fortsetzung des Spiels zu halten. Siehe Zitate (aus dem Online-Forum Reddit): Während normalerweise freudig News, Fanart und Theorien über unveröffentlichte Games ausgetauscht werden, liefert das «Last of Us 2»-Subreddit genau das Gegenteil: Seit Wochen wird die Fortsetzung dort mit spottenden und manchmal auch transphoben Kommentaren als «Enttäuschung» und «gescheitert» abgestempelt, bevor es überhaupt jemand spielen konnte. Steine des Anstosses: eine angeblich zu muskulöse Frau und ein Kulturkrieg, der seit Jahren im Hintergrund der Videospielszene tobt.
Spulen wir zurück: Das erste «The Last of Us» erschien 2013 und wurde von Spielenden und Gamekritik zugleich in höchsten Tönen gelobt. Die Handlung spielt in einer postapokalyptischen Welt, in der Pilzsporen Menschen in tollwütige Ungeheuer verwandeln. Im Zentrum steht der Schmuggler Joel und die Teenagerin Ellie, die zusammen quer durch die USA reisen müssen. Obwohl sich die Story einiger gängiger Klischees aus dem Zombie-Film-Genre bedient, überzeugt das Game noch heute dank glaubhafter Charaktere, einer detailliert ausgestalteten Welt und einigen emotionalen Höhepunkten, wie man sie sonst eher aus hochwertigen TV-Serien kennt. Kein Wunder, soll «Last of Us» bald als HBO-Serie erscheinen. Gekrönt wurde das Ganze von einem Finale, das Spocks Worte aus Star Trek «Die Bedürfnisse vieler sind wichtiger als die Bedürfnisse weniger» in Frage stellte.
«That means he knew he would screw up and ruin 2 of the best video game characters ever with WOKE bullshit. If you want people to actually hate your creation then that simply means you’re deluded. No-one makes anything for ppl to hate. Tlou («The Last of Us», Anm. der Red.) should have remained untouched»
Known Stranger, Twitter
Die Mehrdeutigkeit des Finales liess Fans hoffen, dass es bei einem Spiel bleiben würde. Als im Dezember 2016 die Entwicklerfirma Naughty Dog eine Fortsetzung ankündigte, meldeten sich erste besorgte Stimmen. Der Weg zur Veröffentlichung war auch ohne die Zweifel der Fans nicht einfach für Druckmann: Der ursprüngliche Release im Februar dieses Jahrs wurde auf April verschoben, da die Entwicklung des Spiels mehr Zeit in Anspruch nahm. Dann der nächste Rückschlag: Das Videospiel über eine erfundene Pandemie wurde von einer echten eingeholt. Damit physische und digitale Editionen des Spiels gleichzeitig ankommen würden, wurde der Release nochmals verschoben. Das Game war aber zu diesem Zeitpunkt bereits fertig, die Fans wurden immer ungeduldiger. Ein Hackerangriff auf Naughty Dog brachte erste Spoiler in Umlauf. Aus den Clips wird deutlich, dass eine neue Figur, eine muskulöse Frau namens Abby, eine deutlich wichtigere Rolle spielen wird als bislang angenommen.
Diese Clips reichten für einige bereits, das Spiel als Reinfall abzustempeln. Dabei gehen sie von völlig falschen Annahmen aus – zum Beispiel wird Abby wegen ihres Körperbaus als Transfrau bezeichnet, was komplett erfunden ist. Ein Youtuber betitelte sein Video zu den Leaks gar mit «Last of Us 2 Could DAMAGE Gaming For Years». Das Video erreichte innerhalb kurzer Zeit 900’000 Views. Druckmann wird vorgeworfen, mit seinem Spiel eine «progressive politische Agenda» vorwärtstreiben zu wollen.
Virtuelle Bewegung mit realen Gefahren
«Last of Us» ist nicht das einzige Opfer solcher Kontroversen, bei der eine kleine, aber laute Minderheit sich über vermeintliche Zensuren oder «aufgezwungene Diversität» in Videospielen beschwert. Erst vergangenen März wurde das Remake des japanischen Rollenspiel-Klassikers «Final Fantasy 7» kritisiert, weil die Brüste einer Figur verkleinert worden seien. Wurden sie nicht: Sie trägt nur einen bequemeren Sport-BH.
Diese Entwicklungen gehen auf die «Gamergate»-Bewegung von 2014 zurück, die unter dem Deckmantel einer «Kritik der Ethik von Gamejournalismus» seit Jahren gegen jede Veränderung «ihrer» Videospiele kämpft. Dabei wird alles angefeindet, was Videospiele für mehr Leute zugänglich machen würde – sei es eine ausgewogenere Vertretung von verschiedenen Ethnien oder Sexualitäten, oder bereits nur die Möglichkeit, ein Spiel zu vereinfachen, damit auch weniger begabte Spieler und Spielerinnen in den Genuss der Story kommen können. «Political Correctness» ruiniere Videospiele, lautet die Parole. Während Gamergate von Anfang an frauenfeindliche und antifeministische Züge trug, kamen inzwischen rassistische, homo- und transphobe Züge hinzu.
«might wanna fire neil shitfuckhead…..as he is not the perosn (sic!) you want in charge of anything more valuable than a ziplock bag.»
Mr. Nemo, Oneangrygamer.net
Es ist ein Kulturkrieg, den man leicht als belanglos abstempeln könnte. Wen interessiert es schon, wenn sich eine Handvoll Nerds aufregen? Die virtuelle Bewegung birgt aber reale Gefahren: Koordinierte Onlinebelästigungen bis hin zu Mord- und Bombendrohungen sind für prominente Persönlichkeiten in der Videospielindustrie, die sich für progressive Themen einsetzen, keine Seltenheit. Es ist auch kein Geheimnis, dass die Gamergate-Bewegung dazu genutzt wurde, junge Männer für die Alt-Right zu rekrutieren. Die toxische Stimmung in Videospieldiskussionen schreckt deshalb viele Entwickler davon ab, mit der Game-Community zu interagieren. Denn als Schutzmittel bleiben meistens nur zwei Dinge: Blockieren und Ignorieren. Die Folge ist ein ewig weiterdrehendes Hass-Karussell. Brendan Greene, Schöpfer des beliebten Shooters mit dem unmöglichen Namen «Playerunknown’s Battlegrounds» sagte einst über dieses Thema: «Es ist verrückt, wie ich gehasst werde. Ich muss es einfach ignorieren. (…) Wieso tun die Leute das? Wieso denken sie, dass das ok ist?»
«Akzeptiert es oder kauft es nicht»
Damit ist er nicht alleine. Man muss nicht an einem Kassenschlager mitwirken, um in solche Anfeindungen involviert zu werden. Es reicht, sich offen an Genderdebatten zu beteiligen – wie die selbstständige Videospielentwicklerin Tabea Iseli weiss. Die Bernerin hat bereits für mehrere Entwickler gearbeitet und gründete im vergangenen Jahr ihr eigenes Studio namens «Stardust» in Zürich. Beim Umgang mit Kommentaren im Netz sei es wichtig, verschiedene Typen zu unterscheiden, sagt sie. Es gehöre zum Beispiel dazu, dass man negative Rückmeldungen zu eigenen Games erhalte: «Das kennt jeder Künstlerin und jeder Künstler.» Immerhin zeige dies, dass sich jemand dafür interessiert. Anders sei es aber zum Beispiel bei sexistischen Bemerkungen: «Da bin ich radikal und blocke alles. Es hat keinen Sinn, darauf einzugehen.»
«and i’m fucking mad again, was going soft a bit there and actually thinking of buying the game but nope. fuck cuckman and his agenda. wamen no sexy wamen muscles wamen strong fuck off»
fambruhh2288, Reddit
Eines ihrer letzten Projekte, das Puzzle-Spiel «Ava», ziele auf ein Nischenpublikum ab und liefere deshalb keine grosse Zielscheibe für solche Attacken. Die Kontroverse um «Last of Us» sei für sie nicht überraschend – in den letzten Jahren habe sich, trotz einiger Fortschritte, noch zu wenig in der Industrie bewegt. Es gebe aber auch löbliche Beispiele wie «Battlefield V». Der Zweite-Weltkrieg-Shooter wurde kritisiert, weil erstmals Frauen spielbar waren. EA-Chef Patrick Söderlund blockte die Kritik sofort ab: «Ihr habt zwei Optionen: Akzeptiert es oder kauft das Spiel halt nicht. Ich kann mit beidem leben.»
Auch Neil Druckmann will lieber das Spiel für sich sprechen lassen. In einem Interview mit Wired sagte er kürzlich: «Manche werden das Spiel hassen. Aber das ist mir lieber, als wenn sie es bloss ok finden.» Der Onlinehass bringt ihn nicht aus dem Konzept, denn er hat das Ganze schon einmal erlebt. Als 2014 ein Zusatzkapitel zu «The Last of Us» erschien, wurde enthüllt, was viele bereits vermutet hatten: Ellie ist homosexuell. Auch da hagelte es Kritik aus denselben Kreisen. Und das Karussell dreht seither.
Review
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Federico Gagliano ist seit 2016 Redaktor und Seitenproduzent bei der Luzerner Zeitung. Zuvor schrieb er als Videospiel- und Filmjournalist für verschiedene Webseiten, Radio- und Fernsehsender. Twitter: @Consolero788