Projekt Nachtleben
Zwischen Clubsterben, Neueröffnungen und wechselnden Trends: Das Luzerner Nachtleben ist immer im Wandel. Doch wie sieht seine Zukunft aus? Darüber haben wir mit wichtigen Playern aus der Clubszene gesprochen.
01/17/23, 05:46 PM
Sie alle haben viele Erfahrungen im Nachtleben gesammelt: Milo Grüter, Marcel Mathieu, Nathalie Brunner, Rene Brunner und Dario Arnold (v.l.n.r)
Milo Grüter hat mit dem Uferlos die Luzerner Clubszene über Jahre mitgeprägt. (Foto: zvg)
Ich bin nicht mehr so oft im Ausgang. Jedoch habe ich das Gefühl, es gibt weniger Orte, die ich persönlich interessant finde. Ich weiss nicht, ob Clubnächte später beginnen als auch schon. Auf jeden Fall gehen sie manchmal ziemlich lang. Eine gelungene Clubnacht? Die ist vielseitig, laut, lange und mit nur guten Menschen. Und ohne super Musikanlage geht sowieso nix.
Mit dem Neubad-Club und der MOLO-Bar sind zwei Orte geschaffen worden, die ähnliche Möglichkeiten bieten wie das Uferlos dazumals. Dazu kommen der Südpol und die Kegelbahn, die ebenfalls zu einem vielseitigen Nachtleben beitragen. Leider ist die MOLO-Bar nun geschlossen worden.
«Ich find’s in der Stadt nicht mehr sehr spannend. Es braucht neue, kreative Initiativen.»
Milo Grüter, ehemaliger Uferlos-Betreiber
Es fehlt der Stadt an Freiraum, wo weitere Nischenangebote entstehen können. Ich find’s in der Stadt nicht mehr sehr spannend. Es braucht neue, kreative Initiativen. Zudem Freiraum und ein Haufen motivierter, kreativer Menschen – diese sind nämlich der Nährboden für ein gutes Nachtleben.
Das Uferlos war für mich ein Ort, wo man immer wieder überrascht wurde und sehr gut ungezwungen gefeiert werden konnte. Mir auf jeden Fall fehlt es immer und immer wieder. Aber es gibt stets eine neue, hungrige Generation, die sich nicht nur bedienen lassen will, sondern selber etwas Eigenes schaffen möchte.
Milo Grüter hat das Luzerner Nachtleben auf mehreren Ebenen und während etlichen Jahren wesentlich mitgeprägt. Sei es als DJ (Dietrich & Strolch), Labelgründer (Neustadt Musik) oder Mitinhaber und Betreiber des alternativen Kulturlokals «Uferlos».
Nathalie Brunner sieht Luzern als kreative Kulturstadt. (Foto: Cyrill Matter)
Clubnächte sollen später beginnen und länger dauern? Das sind Fake News! Nächte im Club sind seit jeher lang, weil eben kein Tageslicht reinkommt. «Früher» wurde einfach nach Ladenschluss hinter verschlossener Türe weitergefeiert. Längere Öffnungszeiten haben sich aus bestehenden Bedürfnissen der Nachtmenschen und der voranschreitenden Überzeugung, dass der hier gelebte Monotheismus, Nonsens ist, ergeben. Neue Tempel für mehr Götterspeise a.k.a. Wackelpudding kommen immer mehr in Mode.
«Leerstand vermeiden, dann kommt das gut!»
Nathalie Brunner, Leiterin Neubad
Ich engagiere mich in der Nacht, weil die Sonne hier nicht scheint, die für meinen Geschmack überschätzt wird. Bei all den leer stehenden Kirchen sollten wir uns keine allzu grossen Sorgen wegen Clubschliessungen machen. Ich glaube Luzern hat grosses Potential. Klubkultur ist wie ein Pilzschwamm. Schneide einen ab und drei weitere wachsen innert kürzester Zeit nach. Ausserdem tut sich doch immer was im Untergrund und der will sich ja auch nicht publiziert wissen.
pssssst: sagt es nicht weiter, aber…
ich habe gehört, dass es in der Krypta – nein, keine neue Alternative zu Bitcoins – der Mariahilf-Kirche einen geheimen Eingang zur illegalen Luzerner Klubwelt gibt. Ein unterirdisches Netzwerk aus umgenutzten Technobunkern, betrieben von der Internationalen Bar- und Klubkommission, um die Weltmacht zu ergreifen.
pssssst: Von mir habt ihr das nicht!
Für ein gesundes Nachtleben braucht es generationsübergreifendes Networking. Günstige Bedingungen und freie Räume. Neue Definition von Lärm und Lärmbelästigung. Anerkennung der Klubkultur mit all ihren Disziplinen als eigenständiger und förderwürdiger Kunst- und Kulturzweig. Luzern: Leerstand vermeiden, dann kommt das gut!
Luzern ist offen und wahnsinnig herzlich. Sehr engagiert, mit viel Liebe zum Detail. Ich schätze seit jeher die einzigartige Willkommenskultur, nicht nur im Nachtleben. Es kommt offensichtlich nicht auf die Grösse an und hängt immer von den Menschen ab, die Kultur kreativ mitgestalten. Ein guter Club ist für mich, wenn die Gäste Teil des Programms, der Deko und der Achtsamkeit sind, und nicht nur kommen, um zu konsumieren. Rave On!
Nathalie Brunner Brunner ist gebürtige Wienerin und hat einen MAS-Abschluss in Management der Universität Basel. Nach ihrer Ausbildung zur Kauffrau für audiovisuelle Medien in München, war sie in unterschiedlichen Rollen für viele Kulturprojekte und Festivals tätig. Nachtleben-Konsument:innen ist sie auch als DJ Playlove bekannt. Seit 2021 leitet sie das Kulturhaus Neubad in Luzern.
Marcel Mathieu hat bereits in Clubs veranstaltet, welche die heutige Jugend nur noch vom Namen her kennt. (Foto: zvg)
Das Clubleben in Luzern ist sehr unterschiedlich und trotzdem gleichförmig: Es läuft immer was in Luzern, aber manchmal vier Techno-Partys an einem Abend. Zu viele Crews und DJs spielen dieselbe (Techno-)Musik. La-Fourmi-Parties oder Boa-Bar-Parties starteten um 21 Uhr und waren um 2 Uhr fertig. Heute geht vor 1 Uhr nicht viel. Dies wird sich glaube ich nicht ändern… Es dürfte aber nach meinem Geschmack wieder etwas früher abgehen und enden. Daydances sind schön und ein Trend – dass sie noch lange funktionieren werden, glaube ich nicht. DJ-Kultur stirbt meines Erachtens aus. Jeder ist und will DJ sein, dadurch geht das Handwerk verloren.
Ich bedaure die vielen Schliessungen in Luzern sehr. Dieses Szenario gab es leider schon mehrmals: Boa, Fourmi, Tamilenschule usw. Aber es wird sich alles wieder ordnen und etwas Neues geht auf… Langweilig wird es nie!
«Die Gagen der internationalen DJs sind zum Teil ins Unermessliche gestiegen.»
Marcel Mathieu, Veranstalter
Was ich als Veranstalter noch nie verstanden habe und immer wieder vorkommt, ist, dass man mehrmals voll hat und super Stimmung und dann die nächste Party nicht läuft … keine Ahnung wieso! Eine wichtige Frage aus Sicht des Veranstalter: Geld einnehmen oder Clubkultur für die Leute machen oder einzigartige Acts nach Luzern bringen? Jeder Veranstaltende hat seine eigene Absicht und setzt es so um… Alles hat seinen Platz. Man braucht Ausdauer, wenn man nicht 08/15 veranstaltet.
Alles wird teurer, auch die DJ-Gagen. Die Gagen der internationalen DJs sind zum Teil ins Unermessliche gestiegen, dies macht die Arbeit für unsere Ausrichtung schwieriger. Waren DJs aus England oder der EU im Uferlos noch bezahlbar, ist es heute fast unmöglich, diese in einen kleinen Klub einladen zu können. Man muss sie vor dem grossen Durchbruch buchen, dann klappt’s. Dies gelang uns zum Beispiel mit DJ Boring in die Kegelbahn. Sein nächster Schweiz Gig war am Jazz Festival Montreux! Mit meiner Arbeit möchte ich dem Pubikum spezielle Acts und ein bisschen andere elektronische Musik zeigen.
Marcel Mathieu aus Horw, Veranstalter und DJ in Luzern seit 1999. Grosser Vinylliebhaber. Hat die Liebe zur elektronischen Tanzmusik durch Detroit / Chicago entdeckt. Veranstaltete in der Boa, Sedel, La Fourmi, KKL, Uferlos, Südpol, Kegelbahn, mehrere Bootspartys und viele mehr.
Bis Ende 2022 hat Rene Brunner die Molo-Bar in der Baselstrasse geführt. (Foto: zvg)
Als ich vor zehn Jahren die ersten Parties im damaligen Uferlos mit dem Schwulen- und Lesbenverein veranstaltete, waren andere Partylabels angesagt. Einige dieser Veranstalter dieser Zeit schienen mir unnahbar, abgehoben. Das gefiel mir nicht und ich wollte das anders machen. Und ich wollte einer Frau Eindruck machen.
Ein guter Club entsteht für mich dann, wenn Angestellte, Inhaber und Gäste auf Augenhöhe miteinander kommunizieren. Gutes Licht und eine potente Soundanlage sind ein Muss. Wenn man dem Club noch einen persönlichen Touch verleihen kann, er nicht zu vollgestopft wird und die Geschlechterstruktur ausgewogen ist, gute Musik gespielt wird, Bartender mit Flair hinter der Bar stehen, ist der Club gut. Eine gute Clubnacht sieht etwa so aus: Freund:innen treffen, Apéro, rein in den Club, sich ein bisschen verlieren, tanzen, sich wiederfinden, ein paar Leute vor den Kopf stossen, lachen und am besten mit jemandem den Morgen ausklingen lassen. Dann schlafen und bloss nichts los haben.
«Eine nach aussen geschlossene Bubble stirbt eher früher als später.»
Rene Brunner, Molo-Bar
Für ein interessantes Nachtleben braucht es Langeweile und Schöpferkraft. So vielfältig die Menschen sind, so vielfältig drücken sie sich aus. Im weiteren Sinne braucht es auch tolerante Nachbar:innen, umsichtige Betreiber und konfliktfähige Eigentümer. Toleranz und eine ständige Durchmischung des Publikums ist auch wichtig. Eine nach aussen geschlossene Bubble stirbt eher früher als später.
Mit dem Verschwinden der MOLO-Bar geht leider ein toller Begegnungsort in der Baselstrasse verloren. Aber alles ist in einem Prozess begriffen. Ein Ende ist auch ein Neuanfang. Vor unserer Zeit wurde in diesem Raum nicht nur Alkohol verkauft – das hat wahrscheinlich den Mietpreis in die Höhe getrieben. Und fürs Bierverkaufen waren die dadurch entstandenen Fixkosten einfach zu hoch.
Zudem waren unser Businessplan und die Umsetzung unprofessionell. Und wir sind mit der MOLO-Bar an der Peripherie der Stadt. Wir konnten nicht auf Laufkundschaft zählen. Aber das wussten wir ja. Dumm waren wir nicht, einfach sehr mutig, voller Tatendrang. Zum Schluss waren wir alle ausgelaugt, mit den Coronakrediten finanziell nicht mehr nachhaltig und die Nachbarn wütend. Nur die Krassesten schaffen das länger als zwei Jahre.
Rene Brunner war einer der Mitgründer der MOLO-Bar, die auf Ende 2022 leider schliessen musste. Er ist in Kriens aufgewachsen und hauptberuflich Berufsschullehrer.
Dario Arnold ist mit 22 Jahren bereits Clubbesitzer. (Foto: zvg)
Für mich ist das Luzerner Nachtleben ein bisschen immer das Gleiche. Die Diversität und Qualität fehlen für richtig gute Clubnächte. Für eine gute Clubnacht gibt es für mich drei wichtige Faktoren: Gutes Licht, guter Sound und gute Leute. Erfüllt man einen dieser drei Punkte nicht, ist es schwierig, auf Dauer ein guter Club zu sein. Leider wird das Clubleben in Luzern immer weniger divers. Aber dafür eröffnen wir ja den Kopfklang-Club in Emmenbrücke, so dass wir wieder ein breiteres Angebot bieten können. Es ist in meinen Augen wichtig, dass Luzern mehrere Clubs hat.
Eine neuere Entwicklung des Clublebens scheint zu sein, dass das Publikum immer jünger wird. Und diese Jugendlichen gehen heutzutage um zwei Uhr in der Nacht an eine Party, dafür bis sieben Uhr. Wir von Kopfklang verstehen das junge Publikum besser, da wir ja selber noch in diesem Ausgangsalter sind. Erfahrung ist wichtig, aber man kann viel besser spüren, was die Jungen wollen, wenn man bei den Interessen auf Augenhöhe ist.
«Ein Club darf nicht zu teuer sein.»
Dario Arnold, Kopfklang
Soviel ich weiss, sind wir jetzt die Jüngsten im Luzerner Nachtleben, was Clubs anbelangt. Natürlich ist das sicher ein Vorteil, aber auch nur, da wir ja auch von unseren Vorfahren oder den «Älteren» viel lernen konnten. Ich glaube, das Wichtigste ist, zu spüren, was die Leute wollen. Was in der heutigen Zeit auch eine Rolle spielt, ist der Preis. Ein Club darf nicht zu teuer sein.
Beim Organisieren von Veranstaltungen gefällt mir vor allem der Austausch. Man ist immer unter Leuten und lernt stets neue Menschen kennen. Den Jungen etwas zurückzugeben nach so einer langen und schwierigen Zeit war sicher auch ein Punkt, weshalb wir uns überhaupt an die Organisation von Technoveranstaltungen gemacht haben. Auf der einen Seite wollen wir der Luzerner Clubkultur eine Bühne bieten, wo die Leute eine tolle Nacht haben, auf der anderen Seite ist das unser Job und wir wollen mit diesem auch unser Geld verdienen.
Kopfklang ist ein junges Veranstaltungskollektiv, das auf der Allmend auch schon Techno-Megaevents durchgeführt hat. Dario Arnold ist 22 Jahre alt/jung und ist einer der vier führenden Köpfe von Kopfklang, 2Klang und Verve.
Mehr Stimmen zur Zukunft der Luzerner Clubkultur gibt es nächste Woche.