Verpönte Küche
Wer kein Hirn isst, dem sollte das Recht auf Fleischkonsum entzogen werden, meint Sylvan Müller. Er macht sich in der Zentralschweiz auf die Suche nach verpönter Küche. Teil 5: Die Leber.
Sylvan Müller — 08/03/22, 09:18 AM
Die Leber befreit den Körper von giftigen Stoffen. (Fotos: Sylvan Müller)
Dass der kleine Thomas etwas anders tickt als seine Altersgenossen, wurde offensichtlich, als er erstmals an Kindergeburtstage eingeladen wurde. Da gab es Spaghetti an Tomatensauce und alle Kleinen jubelten. Ausser Thomas, der verstand die Welt nicht mehr. Der sechsjährige wünschte sich zu seinem Geburtstag Filet Mignon an Morchelsauce. Oder eben an «sauce aux morilles». Aufgewachsen im Aargau wurden nun die engen Banden zu seinen Grosseltern in Genf eindrücklich untermauert. Kulinarisch war er wohl eindeutig und unwiderruflich ein «Welsch».
Seine Westschweizer Grossmutter empfing ihn immer in Schürze gekleidet. Das Kleidungsstück schien ihm ihr einziges und an den Leib gewachsen, bereit um ohne Unterbruch Leckereien aus der Küche zu zaubern, für die es in der deutschen Sprache keine Namen gab. Und Thomas merkte, dass er im Genfer Supermarkt Dinge fand, die er daheim in Brugg noch nie gesehen hatte: Gänsestopfleber, Schnecken und ganze Nieren, die eingepackt im eigenen Fett am Spiess gebraten werden wollten.
Auch sein Grossvater verbrachte viel Zeit in der Küche, um seine Gäste aus der Deutschschweiz zu beglücken. Der Postbeamte hatte ursprünglich Bäcker-Konditor gelernt, und alleine deswegen der Mann fürs Spezielle, Aufwendige, fürs Getüftel in der Küche. Stunden konnte er vor der neu gekauften Mikrowelle verbringen, um herauszufinden, wie man das Pochieren mit der neuen technischen Errungenschaft vereinfachen konnte. Am Schluss seiner Recherche, wusste er bis er aufs Watt und die Sekunde genau, wie lange eine Foie Gras darin zu bleiben hatte, um in Perfektion auf den Tisch zu gelangen.
Thomas Pollet wirtet im Magdi in der Luzerner Eisengasse.
Das gefiel dem kleinen Thomas, und er assistierte seinem Grossvater wann immer möglich, vor allem wenn dieser mit Teigen hantierte, Farcen erstellte, und alles sorgsam zu Terrinen und Pâté en croûte-Kunstwerken verarbeitete. Seine Begeisterung für alles, was diese Fleisch-Teig-Gebilde ausmachten war geweckt, im Speziellen für die dazu unverzichtbare Leber, und er war sich sicher: auch wollte Bäcker-Konditor werden, genau wie sein Grosssvater.
Teenager Thomas entschied sich später auf Grund der Arbeitszeiten eine Koch-Lehre zu beginnen. Der Start verlief etwas ernüchternd: Sein erster Lehrmeister lief nicht nur mit einer Knorr Regenjacke durch die Welt, die ganze Küche war voll mit Produkten des Glutamat-Riesen. Päckliküche eben. Erst nach einem Besitzerwechsel ging es aufwärts. Nun wurde alles vom Tier verwertet und die Leber stand regelmässig auf der Karte. Nicht in der Terrine, dafür mit Röschti. Thomas war angekommen.
Ein gründliches Filtersystem
Weniger frankophile Menschen begegnen der Leber tendenziell mit etwas Argwohn. Von vielen wird sie auf Grund ihrer Konsistenz gemieden. Auf dem Lande wurde sie den Kindern nicht selten unter einer Panade versteckt und als Schnitzel getarnt serviert. Aber was auf den Tisch kam, musste schliesslich gegessen werden. Die grösste Hoffnung ans Erwachsensein war daher für viele, niemals mehr Leber essen zu müssen.
Oft wird sie als Klärwerk des Körpers verschrien. Zu unrecht, und meist von Menschen, in deren Küchenschränken mehr Putzmittel als Gewürze zu finden sind. Natürlich ist die Leber zusammen mit der Niere ein wichtiges Filtersystem, sie nimmt Stoffwechselnebenprodukte auf, wandelt diese um und scheidet sie aus. Eben: sie scheidet sie aus. Ansonsten würde sie sich auf Dauer selbst vergiften. Kranke Ausnahmen wie Trinker – oder Fettleber sind bei den meisten Tieren nicht wirklich üblich.
Sogar im Sprachgebrauch ist die Leber meist negativ besetzt: Im Altertum ging man von der Leber als Sitz der grossen Emotionen aus, vor allem der Zorn wurde da vermutet. Nur die geringste Reizung des Organs würde deren Säfte austreten lassen, und die Stimmung des Betroffenen sich unweigerlich und sofort verschlechtern. Dem Opfer wäre somit etwas über die Leber gekrochen.
Das Anschneiden der ersten selbst kreierten Pâté en croûte sei wohl ein so spektakulärer Moment, wie die Geburt des ersten Kindes.
Sowohl der kleine, wie auch der etwas grösser gewordene Thomas aber mochten die Leber, ob kurz gebraten oder in Terrinen verarbeitet. Zwar verheimlichte er der Freundin lange beim Besuch der Grosseltern den Inhalt der hausgemachten Terrinen. Aber dass sie Gefallen fand an der gebotenen welschen Küche war für ihn trotzdem so etwas wie ein Lackmus-Test für die Beziehung.
Viele Jahre hatte er Terrinen und Pâtés vernachlässigt, sie waren im Kochalltag untergegangen. Erst die geschenkte Zeit während des Corona Lockdown brachten ihn wieder auf den Geschmack und ans tüfteln in die Küche. Es war Ehrensache, dass im Magdi in der Eisengasse, von Thomas Pollet und seine Partnerin Martina Odermatt vor etwas mehr als einem Jahr übernommen, Pâté en croûte, Alpsteingeflügelterrine und eben auch die Leberterrine eine grosse Rolle spielen würden.
Seit kurzem werden sie auch in der hauseigenen Charcuterie im Erdgeschoss der altehrwürdigen Kneipe kredenzt. Die Kreationen seines Grossvaters haben den Weg nach Luzern gefunden. Jede Terrine sei für ihn wie ein kleines Wunder, meint Thomas. Immer noch. Und Anfängern macht er Mut: Das Anschneiden der ersten selbst kreierten Pâté en croûte sei wohl ein so spektakulärer Moment, wie die Geburt des ersten Kindes. Sage man in der Westschweiz. Sagt Thomas. Allez les Welsches!
Eine Paté en Croute mit Lamm-Leber herzustellen, ist ein Aufwand, der sich lohnt.
Zutaten:
1 Pastetenform (Es funktioniert auch mit einer kleinen Cakeform)
TEIG
250g Mehl
5g Salz
50g kleines Ei
50g Wasser
60g Schweineschmalz
60g Butter
BLUMENKOHL-EINLAGE
1 Blumenkohl
100g Apfelessig
100g Wasser
1 Kurkuma
5g Salz
20g Zucker
LEBERFÜLLUNG
200g Lammleber
50g Zwiebel
1 Knoblauchzehe
1 Eiweiss
1 Scheibe Brioche
1EL Sauerrahm
100g Butterwürfel
3 Salbeiblatt
Salz/Pfeffer/Zucker
LAMMFARCE
1dl Rapsöl
80g Zwiebel
2 Knoblauchzehen
50g Rüebli geraffelt
Salz/Pfeffer/Chilli/Paprikapulver/Korianderpulver/
1dl Brandy
1dl Weisswein trocken oder Apfelmost
300g Lammhack 20 -30 % Fettanteil
2 Eier
1 Eigelb
1 Salz, Pfeffer, Rosmarin
SULZE
1 Sulzpulver
2dl Wasser
0.5dl Brandy
Zubereitung:
Vortag
Teig (am besten mit einer Küchenmaschine, geht aber auch von Hand):
Mehl und Salz in eine Schüssel geben und in der Küchenmaschine mit dem Teighaken 1 Minute auf kleiner Stufe kneten.
Beide Fette würfeln, beigeben und 2 Minuten auf mittlerer Stufe weiterkneten.
Ei und Wasser beigeben und auf mittlerer Stufe weiterkneten, bis der Teig schön glatt ist.
Teig von Hand nachkneten, zu einem Quader formen, in Klarsichtfolie wickeln und über Nacht in den Kühlschrank stellen.
Blumenkohl marinieren:
Blumenkohl in Röschen schneiden, Stiel halbieren.
Essig, Wasser, Salz, Kurkuma und Zucker in ein Stielkasserolle geben und gur verrühren.
Blumenkohl beigeben eventuell Kurkuma nachgeben so, dass man die gewünschte Färbung erhält (wer kein Kurkuma mag, kein Problem, der Blumenkohl kann auch gut weiss gelassen werden).
Deckel aufsetzen und 2 Minuten leicht sieden.
In ein Einmachglas geben, verschliessen und zur Seite stellen.
Lammfarce 1.0:
Rapsöl in eine breite, flache Pfanne geben
Zwiebel, Knoblauch und Rüebli andünsten
Salz, Pfeffer, Chili, Paprika, Koriander beigeben mit Brandy ablöschen zur Hälfte einreduzieren.
Weisswein beigeben einmal durchrühren.
Herd abstellen, Paniermehl beigeben und gut verrühren. Die Masse sollte leicht trocken sein, bei Bedarf etwas Paniermehl nachgeben.
In Kühler stellen und durchkühlen lassen.
Am Produktionstag
Leberfüllung 1.0
Lammleber in 2 cm Würfel schneiden
Brioche würfeln
Zwiebel und Knoblauch fein schneiden
Leber mit Salz und Pfeffer würzen, in wenig Rapsöl scharf und kurz anbraten.
In eine Schüssel geben.
Zwiebel und Knoblauch in derselben Pfanne anrösten, zur Leber geben und sofort kühl stellen.
Lammfarce 2.0
Brotmischung aus dem Kühler nehmen
Lammhack, Rosmarin und Eier beigeben mit sauberen Händen gut durchkneten.
Wenig Farce probieren, evtl. nachwürzen.
Kalt stellen
Leberfüllung 2.0
Durchgekühlte Leber in einem Mixbecher geben. Es geht auch mit einem Pürierstab.
Brotwürfel, Butterwürfel, Creme fraiche, Portwein, Salz, Pfeffer, Zucker, Eiweiss, und Portwein beigeben. Fein pürieren.
Kalt stellen
Montage:
Teig 1 cm dick auswallen.
Einen Streifen vom Teig wegschneiden der später als Deckel dienen wird.
Den Teig in die Form geben so, dass alle Wände bedeckt sind und der Teig leicht über den Rand lappt.
Den Teig gut an die Wänden drücken.
Die Lammfarce aus dem Kühlschrank nehmen.
Den Boden 1 cm dick mit der Farce belegen sowie auch die Wände der Form.
Den Blumenkohl gut abtropfen und schön in die Mitte der Form geben.
Mit der Leber die Farce übergiessen.
Vorsichtig mit der Farce alles abdecken.
Im Teig der als Deckel dient mit einer runden Ausstechform drei kleine Kreise anstechen. Wichtig: nicht durchstechen!
Den Teigdeckel auf die Terrine geben. Auch da darauf achten, dass der Teig leicht überlappt.
Mit einem kleinen Küchenmesserrücken den überschüssigen Teig wegschneiden.
Mitthilfe der beiden Zeigefinger und Daumen den Teigrand vorsichtig einrollen und so die Seiten versiegeln.
Die Terrine in die Kühler stellen.
Den Backofen auf 200 g vorheizen
Wenn der Ofen heiss ist, die Terrine mit Eigelb bepinseln und für 12 Minuten in den Ofen schieben.
Die Terrine aus dem Ofen nehmen und mit dem kleinen Küchenmesser die angestochenen Ringe rausschneiden.
Die Ofentemperatur auf 180° reduzieren.
Terrine in den Ofengeben bis die Kerntemperatur 65 Grad beträgt.
Wenn die Temperatur erreicht ist, die Terrine aus dem Ofen nehmen, 10 Minuten stehen lassen und danach in den Kühlschrank stellen.
Gelieren:
Die Sulze nach Packungsvorgabe zubereiten wobei man ½ dl des Wassers mit Brandy ersetzt.
Die Sulze in die Löcher nach und nach eingiessen.
Hart werden lassen
Geniessen
Infos Frische Lamm-Leber gibt’s auf Bestellung beim Uelihof, 041 310 71 15 Thomas Pollet kocht im Magdi in der Luzerner Eisengasse, seine Partnerin Martina Odermatt empfängt die Gäste mit viel Herz und Charme. Im Erdgeschoss sind Pâtés und Terrinen in der hauseigenen Charcuterie zu geniessen. Telefon: 041 410 42 78 |
Sylvan Müller fotografiert, schreibt, macht Wein, backt Brot, importiert Austern und teilt seine Leidenschaft für grossartige Lebensmittel in der Jazzkantine Luzern.