Mann ärgere dich nicht
Unserer Kolumnistin wurden auf der Strassen Avancen gemacht und es war richtig nett. Wieso das leider eine Seltenheit ist.
Jana Avanzini — 05/31/21, 07:34 AM
Danke für die Blumen! (Illustration: Line Rime)
Letztens wurde ich auf der Strasse angesprochen. Das war auch kein Wunder, denn ich schwebte geradezu vorbei an historischen Fassaden, mein Haar flog glänzend durch die Lüfte, ich strahlte. Es war so ein bisschen wie in einer alten Always-Ultra-Werbung – jedenfalls vom Gefühl her.
Da traf mich sein Blick, als wir aneinander vorübergingen. Er lächelte. Ich lächelte. Vorbei. Ich ging weiter, bestätigt in meiner tagesaktuellen Zuckerwatte-Weltwahrnehmung. Dann sah ich ihn im Augenwinkel, wie er auf mich zu rannte. Vor mir blieb er stehen, etwas ausser Atem, und fragte, ob wir gelegentlich ausgehen wollten. Er fände mich sympathisch und hübsch und ich wurde ein klein bisschen rot. Denn auch er war sympathisch und definitiv attraktiv. Ich bedankte mich also erstmal und gab das Kompliment zurück. Dann führte ich aus, dass ich Partner und Kind zuhause habe – nicht in einer offenen Beziehung – und falls er mit seiner Anfrage auf eine romantische Verbindung zwischen uns beiden hinauswolle, ich dafür nicht unbedingt zu haben sei.
Seine Reaktion? Er bedankte sich für die nette Abfuhr, meinte, es wäre wohl eher auf die romantische Richtung hinausgelaufen und verabschiedete sich. Nicht ohne mir noch einen bezaubernden Tag zu wünschen. Was ich natürlich zurückgab.
Eine nette Geschichte. Doch weshalb erzähl ich sie?
Weil sie leider eine absolute Ausnahme darstellt. Zumindest in meiner Welt. Üblicherweise war es eher so das klassische Prinzip: Ein Typ spricht dich an, sagt sowas wie «Hey Tschau». Du sagst sowas wie «Nei Merci». Und just in dem Moment wird die begehrenswerte, potentielle Bett- oder gar Lebenspartnerin, die vor ihm steht, entweder
a) frigide.
b) eine Schlampe.
c) unfassbar eingebildet.
d) brutal hässlich.
Das ist nicht besonders kreativ, ganz leicht widersprüchlich, aber es hat leider System. «Hast du das Gefühl, du bist etwas besseres als ich?», motzte mich ein Typ an, als ich das zweite Mal ablehnte, mir von ihm ein Bier zahlen zu lassen. Und ehrlich gesagt: Ja, das hatte ich tatsächlich. Erstens, weil ich noch nie so sturzbeleidigt auf eine Abfuhr reagiert habe, und zweitens, weil ich nicht einsehe, weshalb so einige dieser Typen das Gefühl haben, sie hätten mit ihrer reinen Existenz auf diesem Planeten eine Frau* «zu Gute». Als müsse jede Frau* vor lauter Ehre einen Knicks machen, weil man sich ihrer mit seiner Aufmerksamkeit erbarmt.
Hat denn niemand was gelernt aus all den Man-darf-Frauen-nicht-mehr-Ansprechen-Diskussionen nach #metoo?
Es muss doch auch einiges passen, dass eine Anmache ein positives Feedback bekommt: Die andere Person ist Single, hat Lust auf neue Menschen, hat Zeit, gute Laune und findet das Gegenüber auf den ersten Blick ebenfalls ansprechend.
Aber ja es stimmt, viele Frauen* reagieren auf Annäherungen abweisend, abgelöscht. Was allenfalls daran liegen könnte, dass wir oft genug angeschnalzt werden, angemiaut, uns anzüglich zugezwinkert oder «Geil» zugemurmelt wird, während die Blicke überall kleben, aber ganz bestimmt nicht am Gesicht. (auf feministisch: Catcalling)
Die Player-Schiene kann auch mal okay sein, aber definitiv nur, wenn vorher schon ein Aufbau stattgefunden hat. Ein paar Blicke, irgendwas. Aber springen wir uns doch bitte nicht komplett unangekündigt an.
Doch weshalb tun das Typen überhaupt noch? (Hat denn niemand was gelernt aus all den Man-darf-Frauen-nicht-mehr-Ansprechen-Diskussionen nach #metoo?) Weil sie sich die Blösse nicht geben wollen, jemandem ehrliches Interesse zu zeigen? Weil es gar kein ehrliches Interesse ist? Vielleicht weil aufrichtig und offen auf jemanden zuzugehen verletzlich macht? Und sie auf keinen Fall verletzlich sein wollen?
Nein. Denn natürlich muss man davon ausgehen, dass eine Frau ohne Interesse einen massiven Schaden hat. Frigide eben, oder sonstwie frustriert.
Jana Avanzini wurde schon auf dem Schulhausplatz mit dem Spitznamen «Avanze» bedacht. Sie ist Co-Redaktionsleiterin bei Kultz, doch in dieser Kolumne lässt sie sich alle zwei Wochen über die alltäglichen K(r)ämpfe einer Feministin aus. Einer Feministin in der Zentralschweiz, wo man(n) sich noch gerne über aufmüpfige Frauen und Genderwahnsinn ärgert.