Die Landjäger*innen
Sie hängen in der Schötti, mögen keine Cops, aber dafür Gelato: die Landjäger*innen. Eine Annäherung an den derzeit coolsten Act der Luzerner Alternativszene.
Lisa Kwasny — 07/18/23, 01:03 PM
Priya und Zoff sind seit rund zwei Jahren als Landjäger*innen unterwegs. (Foto: zvg)
«Schötti hänge mit de Böxli, suufe es guets Tellbier, ufem Wäg för id Kegi geds no Beef mit de Schmier, aber sorry, gids euch au in vegetarisch?»
Zoff ruft atemlos ins Mikrofon. Der Beat scheppert, die Lichtkegel auf der Bühne bewegen sich unruhig; als warteten sie darauf, was kommt.
«Ehr send so problematisch, euche Job isch eifach ned real. Fegg uf dech, fegg uf mech, fegg dech, fegg mech, fegg uf alli!»
Priya dreht am Knopf und der Beat entlädt sich ekstatisch, die Menge jubelt aufgekratzt, what a ride.
Sie machen viel, wollen aber nichts müssen: Die Landjäger*innen verfolgen eine konsequente Anti-Haltung. (Foto: Lisa Kwasny)
Zoff und Priya sind die Landjäger*innen. Man könnte ihre Musik als Trash bezeichnen, ihr Auftritt als Performance und ihre Musik als Witz. Es liegt nahe, dies zu tun, wenn man sie auf der Bühne sieht. Als ich sie zum ersten Mal am Hundeschulefest in der Molo-Bar sah, war ich mir nicht sicher, ob ich hier erst einem Soundcheck beiwohne oder ob die beiden einfach unglaublich unvorbereitet auf der Bühne standen.
Sie brachen immer wieder den Beat ab, gerade wenn man anfing, mitzuwippen und allgemein war es kein Auftritt, wie ich das kannte, mit klarem Anfang und Ende, geschweige denn verständlichen Texten. Mir war als Zuschauerin maximal unwohl dabei. Aber genau das faszinierte mich.
«Es darf scheisse werden.»
Zoff über ihre Konzerte
Die Landjäger*innen liessen mich meine Vorstellung, was eine gute Show ausmacht, hinterfragen. Was will Kunst erreichen? Warum muss man eine «saubere» Show abliefern? Und warum muss man überhaupt abliefern?
Damit haben sie bei mir genau die Wirkung erzielt, die sie erzielen wollten. Die Abkehr von etablierten Gegebenheiten gehört zum Bandkonzept. Das hat bereits bei der ersten Gig-Anfrage begonnen. «Wir wollten mit dem Bild brechen, dass man einen fertigen Song haben muss, um ein Konzert zu spielen», sagt Zoff.
Das Duo sieht die Bühne viel mehr als Ort für Experimente. «Es darf scheisse werden. Wir wollen uns Raum lassen, damit passieren kann, was gerade da ist. Das ist nicht Trash, sondern realistisch.»
Etwas faul geworden
Gegründet haben sie sich vor zwei Jahren, als sie mit dem Fahrrad von Emmenbrücke nach Luzern gefahren sind und ein Freestyle über Fichten entstand. Der Song «De Figg of de Fichte» wurde kurzerhand aufgenommen, erste Auftritte folgten.
Seit ihrer Gründung haben die Landjäger*innen diverse Konzerte gespielt und sich eine Gefolgschaft auf Instagram aufgebaut. (Foto: zvg)
Dabei machten Priya und Zoff eine musikalische Entwicklung in entgegengesetzter Richtung durch. In den Anfangszeiten probierten sie sich an vielen Instrumenten aus. «Mittlerweile sind wir faul geworden», sagt Zoff. Die Sprachmemos der Anfangszeit existieren auch nicht mehr, weil die Handys der beiden schon mehrmals kaputt gegangen sind. «Jetzt treten wir mit Youtube-Beats und ein paar Synthesizern auf», sagt Priya.
Textlich geben sich die Landjäger*innen viel Spielraum und unterteilen ihr lyrisches Schaffen in drei Kategorien: Politik, Soft und Nonsens. Mit welcher Spontanität ihre Texte entstehen, zeigt sich beim Interviewtermin im Inseli. Priya ist bei der Busfahrt dahin eine Idee für einen Sommerhit gekommen: «Vitamin D, au wenns 35 Grad isch schneits in Züri Schnee.»
«Manchmal haben wir aber auch einfach Priyas Einkaufsliste gerappt.»
Zoff über die Texte der Landjäger*innen
Ähnlich sieht die Arbeit im Bandraum aus. Es kann gut sein, dass sie eine Stunde einen Beat laufen lassen und darüber verschiedene Sätze ins Mikrofon sprechen. Dabei überlegen sie sich nicht, wie der Satz besser werden könnte, sondern nehmen einfach die Teile, die ihnen von Anfang an gefallen. «Manchmal haben wir aber auch einfach Priyas Einkaufsliste gerappt», sagt Zoff. «Oder ein Kinderbuch», fügt Priya an. «Manchmal machen wir auch Covers. Also eigentlich Karaoke», ergänzt Zoff.
Gendern als Provokation
Doch Nonsens dient schliesslich nur als Stilmittel. Als Antrieb dient den Landjäger*innen etwas anderes: Wut auf die Gesellschaft. Diese findet sich auch im Bandnamen wieder. Zwar entstand dieser aus dem einfachen Grund, dass die beiden gerne Landjäger essen. Später haben sie ihrem Namen politisches Gewicht verliehen.
Die Landjäger waren ursprünglich ein Vorgänger der heutigen Polizei. (Foto: Bilderbeilage zum «Freien Rätier», März 1924)
Zoff hat begonnen, sich mit der Geschichte der Landjäger auseinanderzusetzen und landete dabei bei den Bettelvögten im 16. Jahrhundert. Sie waren von der Obrigkeit eingesetzte Beamte, welche die von Armut betroffene Luzerner Bevölkerung kontrollierten und ausländische Bettler:innen gewaltsam vertrieb. Aus diesem Amt ging später der Landjäger hervor, der wiederum eine Art Prototyp der heutigen Polizei war.
Die Landjäger*innen wollen dazu quasi ein Kontrastprogramm schaffen und als Umkehr vom Nationalismus verstanden werden. «Wir machen uns darüber lustig, indem wir Landjäger gendern und verwirren damit die Leute, wodurch sie zum Denken angeregt werden.»
Sie geben sich gerne ironisch, werden aber vor allem von Wut angetrieben. (Foto: Lisa Kwasny)
Das künstlerische Schaffen wird durch einen weiteren Punkt ausgelotet: die Verweigerung. Leistungsdruck wird konsequent abgelehnt. Und zwar bis zum Äussersten. «Wir wollen damit brechen, dass wir etwas zugesagt haben und es dann machen müssen», sagt Zoff. «Wenn wir an einem Gig sind und keine Lust darauf haben, sagen wir uns ‹mer mönd nöd›», meint Priya.
Das bedeutet für die beiden, dass sie einen Auftritt auch einfach abbrechen können. Dann stehen sie hinter dem DJ-Pult und rauchen. Oder sie beginnen ein Gespräch, ohne sich um die Meute in Feierlaune zu kümmern. Dahinter steht nicht purer Hedonismus, sondern die Überzeugung, dass etwas nur gut wird, wenn es spontan entsteht. Dazu müsse aber auch das Setting stimmen. «Bei manchen Konzertanfragen fragen wir uns, ob die Leute wirklich wissen, was wir machen und das auch wollen», sagt Zoff und lacht.
Aber dafür sei man als Zuschauer:in Teil des Prozesses. «Wir finden es spannend, wenn das Publikum sowohl den Moment von ‹ah, jetzt wird’s gerade nice› aber eben auch ‹ah nein, jetzt müssen wir aufhören, das wird nichts mehr› erleben», sagt Zoff.
Dabei wollen sie das Publikum bewusst dem Gefühl des Unwohlseins aussetzen, das jedoch nur entstehen kann, wenn Normgrenzen überschritten werden. Diese zu durchbrechen, ist für die Landjäger*innen nicht immer einfach. Denn dadurch nehmen sie auch in Kauf, das Publikum zu enttäuschen, das mit einer klaren Erwartungshaltung an die Performance gekommen ist. «Da ist es wichtig, loslassen zu können.»
Priya und Zoff behalten es sich vor, Konzerte frühzeitig abzubrechen. (Foto: zvg)
So bleiben die Landjäger*innen in ihrem Schaffen schwer zu fassen. Sie sind zu unkonventionell, um als handelsübliche Musikgruppe durchzugehen, verweigern sich jeglicher Vermarktung und durchtränken ihre Texte mit abgründiger Ironie, welcher oft eine tief sitzende Wut aufs Patriarchat, auf Gummischrot und konservative Wertvorstellungen zugrunde liegt.
«Aber der Nonsens ist eben auch politisch.»
Die Landjäger*innen über ihre politische Einstellung
Sind sie dank dieser Merkmale nicht geradezu prädestiniert, um als politischer Akt verstanden zu werden? Tatsächlich schreiben die Landjäger*innen der Politik eine zentrale Rolle in ihrem Schaffen zu. Das, obwohl sie selten bewusst Texte zu politischen Themen schreiben. Oft läuft es aber dennoch darauf hinaus, wie Priya sagt: «Die Texte, die wir schreiben oder spontan rauslassen, sind Dinge, die uns beschäftigen oder hässig machen. Auch wenn es Nonsens ist.» Zoff nickt: «Aber der Nonsens ist eben auch politisch.»
Die Landjäger*innen spielen am 31. Juli am Kultz-Sommerfest. Hier kannst du dir ein Ticket kaufen.