Yet No Yokai
Die Luzerner Gruppe «Yet No Yokai» versprüht plötzlich grosse Umtriebigkeit und steht im Aufgebot renommierter Festivalbühnen. Unser Autor hat das Trio zu seinem Gig am B-Sides-Festival begleitet.
Nikola Gvozdic — 06/26/23, 07:01 AM
Das B-Sides ist nicht die einzige grosse Festivalbühne, welche «Yet No Yokai» dieses Jahr bespielen werden. (Foto: Fabienne Maier)
Um 18.35 Uhr soll «Yet No Yokai» auf der Hauptbühne des B-Sides-Festivals spielen. Ich treffe die Band am frühen Nachmittag im Studio vom Dach an der Luzerner Industriestrasse. Hier entstanden Teile ihres Erstlingswerks «Wir Sind Da», das im Mai erschienen ist.
Es ist heiss und Thomas Seidmann (voc, g), Simon Pfister (b) und Samuel Birrer (d) sind mitten in der Schlepperei ihres umfassenden Materials. Ich wurde vorgewarnt, dass vielleicht eine Pre-Gig Nervosität in der Luft hängen könnte, aber schnell wird klar, dass davon keine Spur vorhanden ist. Es wird gewitzelt, gelacht und umgeladen.
Wer grosse Klangvielfalt will, muss auch ordentlich etwas schleppen können. (Foto: Nikola Gvozdic)
Die drei Luzerner kennen sich aus der Primar- und Sekundarschule und machen schon lange zusammen Musik. Zuerst noch unter anderem Namen («The Eugenes», falls man es wirklich wissen will) und mit anderen Klängen. Mit dem Namen- und Richtungswechsel hat passenderweise auch das B-Sides zu tun. 2016 sahen sie den Auftritt der englischen Band «Beak» und etwas passierte. «Ich wusste sofort, dass wir alles anders machen mussten», sagt Seidmann. «Wir wollten experimenteller werden.»
Nach einem Auftritt von «King Gizzard and The Lizard Wizard» kurze Zeit später sei plötzlich auch die ungefähre Richtung klar gewesen und die Konturen von Yet No Yokai manifestierten sich langsam, bis dann 2018 die definitive Metamorphose stattfand.
Da für «Wir Sind Da» nur eine kleine Plattentaufe im Studio abgehalten worden war, ist die Show am B-Sides heute für die Band eigentlich zugleich eine Einweihung. Und so schliesst sich ein Kreis.
Keine Erinnerung an den Main-Act
Zum ersten Mal sah ich «Yet No Yokai» 2019 im Konzerthaus Schüür an einem ihrer ersten Auftritte. Es war eines jener Konzerterlebnisse, das viel seltener kommt, als man es sich wünscht. Wie die Öffnung eines dritten Auges. Ein so starkes Erlebnis, dass ich mich an keinen einzigen Ton des Main-Acts jenes Abends erinnern kann. Ihre EP «Post Apocalyptic Promenade, Pt. 2» hörte ich mir zu jener Zeit so häufig an, dass ich mir sicher bin, dass irgendjemand in der Nachbarschaft eine Aversion gegen die Band entwickelt haben muss (es tut mir wirklich leid).
Zum zweiten Mal sah ich «Yet No Yokai» im selben Jahr, als sie auf der Hauptbühne an den Winterthurer Musikfestwochen spielten. Ein grosser, schneller Sprung nach vorne. Wieder liess ich mich von den treibenden Klängen mitreissen und verschmolz high mit der Menschenmasse. Ein guter Freund tippte mich plötzlich an. «Alles gut?» Ich stand bloss da, und hielt dümmlich grinsend den Daumen hoch. Alles war gut.
Die Jahre vergingen, in der Zwischenzeit hat die Band unter anderem am Montreux Jazz Festival und noch einmal in Winterthur gespielt, die m4music Demotape Clinic in der Kategorie Rock gewonnen und jetzt im Mai ihr erstes Album mit dem Titel «Wir Sind Da» auf dem Neuenburger Label Hummus Records herausgebracht.
Ein simpler Titel, der aber nichts weniger verspricht als die Ankunft in einem neuen Kapitel. Den Entstehungsprozess beschreibt die Band als ein Spiel mit Bauklötzen. In Zusammenarbeit mit dem Produzenten Timo Keller wurden Steine in Form von Riffs, Loops und Drum-Breaks neu angeordnet. Das Ergebnis ist jedoch keineswegs etwas, das zusammengeschustert daherkommt, sondern nahtlos, flüssig, aus einem Guss.
Ein Album, das weniger rau, viel eingängiger, polierter und tanzbarer ist, und dabei aber noch immer ein Ausdruck dessen bleibt, was die Band so gut macht. Die Songs wirken vertraut und doch frisch und ganz eigen (noch einmal ein Sorry an die Nachbarschaft!).
Sie streiten selten
Zurück im Studio vom Dach. Das Material ist eingeladen, der Band-Bus vollgestopft und die kurze Reise auf den Sonneberg geht los. Mit einer Hand an der Bassgitarre, damit diese nicht aus dem offenen Fenster raus rutscht, und auf der Strasse zerschellt, gesteht Seidmann, dass die drei eigentlich vorhatten, mich ein wenig zu verarschen. «Wir wollten so tun, als ob wir voll zerstritten wären, und komplettes Drama wäre.»
Selbst im Auto wird die Hand nicht vom Instrument genommen. (Foto: Nikola Gvozdic)
Die drei lachen. Ich hingegen bin fast ein wenig enttäuscht von so viel Harmonie. Nur fast. Auf der weiteren Fahrt erzählt Birrer, dass sie sehr selten Streit miteinander hätten, wenn überhaupt. Und das obwohl sie sich schon so lange kennen. Oder genau deswegen. «Aber ich merke schon, dass wir mehr Diskussionen haben, seit wir das Ganze ernsthafter und professioneller machen», sagt er. «Mehr Möglichkeiten geben mehr zu reden.»
Nach der Ankunft auf dem Festivalgelände und nachdem das ganze Material wieder aus dem Bus ausgeladen wurde, ist warten angesagt. Backstage ist die Stimmung ausgelassen. Hände werden geschüttelt, Umarmungen verteilt, Biere getrunken, Witze erzählt, Hundewelpen-Videos gezeigt, Memes ausgetauscht, über Musik und über die komödiantischen Qualitäten von Austin Powers diskutiert.
Auftritt zur Feierabendszeit: Am B-Sides konnte die Band einige Leute vor die Hauptbühne locken. (Foto: Fabienne Maier)
Und dann ist es Zeit für den Auftritt. Eine leichte Anspannung wird spürbar. Ob sie aufgeregt sind? «Ja», sagt Seidmann ganz knapp, dann hält er kurz inne, sieht hoch, grinst und meint: «Nein, eigentlich nicht.» Auch Birrer verspürt keine Nervosität. «Es ist schon komisch», meint er, «manchmal ist man richtig nervös, und dann wieder überhaupt nicht.» Genauso Pfister, auch er wirkt gelassen. «Ich glaube, das ist einfach gewöhnliches Lampenfieber. So als ob man kurz vor dem Krankwerden stünde. Das ist normal», sagt er und die beiden anderen nicken zustimmend.
Vor der Bühne sammeln sich die Menschen an, und gnädigerweise hat sich die Sonne etwas zurückgezogen. Zum ersten Mal wird Yet No Yokai an diesem Abend noch von zwei weiteren Musikern ergänzt. Mit Timo Keller (synth) und Luca Staffelbach (perc) wird die Band zu der Konstellation komplettiert, in der das Album aufgenommen wurde.
Samuel Birrer ist der Mann für die verstrickten Rhythmen. (Foto: Fabienne Maier)
Eine Knappe Stunde lang erschaffen sie eine Welt voller hypnotischer Riffs, mitreissenden Melodien, treibenden Beats und halten die Intensität problemlos konstant aufrecht. Krautig, psychedelisch, mit eingestreuten elektronischen Elementen und Mikrotonalitäten für einen Hauch von Exotik. Das Einzige, was fehlt, ist ein heisser Wind, der über das Gelände fegt. Es ist ein weiterer Trip.
War am Ende doch noch mit dem Auftritt zufrieden: Thomas Seidmann (Foto: Fabienne Maier)
Am Ende des Konzerts sind alle zufrieden. Oder fast alle. Seidmann ist vom Auftritt nicht sonderlich überzeugt. Zu unrecht, wird ihm wiederholt von allen Seiten gesagt. Erst als er sich die Aufnahme selbst schnell anhören kann, entspannt auch er sich. Das gesamte Material verschwindet wieder im Bus und bereits werden Details für den nächsten Gig besprochen, der am Tag darauf ansteht. Es geht immer weiter. Vielleicht liegt im Titel des Erstlingswerkes auch eine Spur von Ironie. Man ist nie wirklich da.
Bassspieler Simon Pfister webt die tiefen Töne in den Klangteppich. (Foto: Fabienne Maier)
«Yet No Yokai» sagen es in ihrem Opener «Nebelmeer» eigentlich selber schon:
Wir sind da (da)
Da (da)
Da oder nicht mehr
Nach und nach verschwinden die drei Musiker irgendwo auf dem Festivalgelände. Es ist ja immer noch B-Sides und man will sich unbedingt die nächste Band ansehen.