Nachtleben
In der Stadt häufen sich queere Eventreihen. Wir haben mit Menschen aus der Community über befreiende Partyerlebnisse, Ausgang in den 00er-Jahren und Kritik an linken Kulturlokalen gesprochen.
Lisa Kwasny — 04/24/23, 03:47 PM
Angie Addo, Priya Kumar von STFU und Claudio Näf von Kopfkino organisieren in Luzern queere Veranstaltungen. (Foto: Lisa Kwasny)
Woher bist du wirklich? Wollt ihr zwei Frauen keinen Dreier mit mir? Warum hast du einen Rock an, du bist doch ein Mann?
Es sind Fragen, mit denen queere Personen und BIPoC im Alltag oft konfrontiert werden und worauf es eine gute Antwort gibt: Shut the fuck up. Deshalb haben Angie Addo und Priya Kumar eine neue Partyreihe im Neubad erschaffen, die nach diesem Leitmotiv benannt ist. Im Zentrum ihrer STFU-Events stehen gender-queere, nicht-weisse Menschen.
Damit scheint der Luzerner Queer-Szene endgültig neues Leben eingehaucht worden zu sein. Denn STFU ist nun bereits die fünfte Veranstaltungsreihe für queere Menschen in der Stadt. Woher kommt diese plötzliche Aufbruchstimmung?
Feindbild der Konservativen
«Wir wollen keine Sonderveranstaltungen, weil es lustig ist, sondern weil es nötig ist», sagt Angie Addo. Traurige Beweise für diese Notwendigkeit haben sich in den letzten Monaten in der Schweiz gehäuft. So zum Beispiel mit dem Übergriff von Rechtsradikalen auf eine Drag-Veranstaltung in Zürich vergangenen Oktober.
Die Drag Story Time in Zürich wurde von Neonazis gestört, worauf eine nationale Debatte entfachte. (Foto: zvg)
Doch auch in Luzern stören sich rechtskonservative Kräfte daran, wenn queere Personen in die Öffentlichkeit treten. So geschehen vergangenes Wochenende, als das Treibhaus das Programm im Gletschergarten kuratierte. Dabei war auch eine Drag-Performance geplant. «Für ein Museum, welches sich auch hauptsächlich an Kinder richtet, halte ich solche Aktionen für höchst unangebracht!», schrieb darauf Christian Huber, Präsident der SVP Ebikon und ehemaliges Pnos-Mitglied auf Twitter.
Wenn im Club das Trauma lauert
Die Beispiele zeigen, dass queere Menschen gesellschaftlicher Marginalisierung ausgesetzt sind. Umso wichtiger sind für sie Safer Spaces. «Personen, die das selbst nicht kennen, können nur schwierig nachvollziehen, was es bedeutet, in einer heteronormativen Gesellschaft queer zu sein», sagt Claudio Näf vom Kollektiv Kopfkino, das die queere Veranstaltungsreihe Akt 1 im Neubad organisiert.
«Als queere Person in nicht-queere Clubs zu gehen bedeutet, auf jede Bewegung zu achten, weil man sonst entlarvt werden könnte.» Das führe zu einem Trauma, das noch lange nachwirken könne.
Kaum Partys unter 18
Doch gerade für Jugendliche, die erste Schritte im Nachtleben machen, gibt es in Luzern bloss ein sehr überschaubares Angebot. Im Treibhaus es zwar die Milchbar, ein Treffpunkt für lesbische, schwule, bi, trans* und asexuelle junge Menschen und Night Of Colors, die alle paar Monate stattfindet. Es ist die einzige queere Party der Stadt ab 16 Jahren.
Trotz Wortmeldungen von Ewiggestrigen hat Luzern ein Herz für die queere Community. (Foto: Antonin Lechat)
Als Angie, Priya und Claudio jugendlich waren, sei die Situation noch viel unbefriedigender gewesen. Offen rumschmusen ist für viele Queers mit Angst vor Anfeindungen verbunden. In den heteronormativen Clubs hat die queere Identität oft keinen Platz. Das bedeutet, dass sie sich verstellen und eine Rolle spielen müssen. Daher erfahren viele ihre erste queere Veranstaltung als befreiend.
«Die Gendereuphorie, die solche Räume entfachen können, ist unglaublich»
Angie Addo, STFU
Angie erinnert sich an their erste queere BIPoC Party in Bern 2018. Es gab eine Garderobe, wo man sich vor der Party umziehen konnte. Schnäuze wurden gemalt, Kleidung gewechselt. «Die Gendereuphorie, die solche Räume entfachen können, ist unglaublich», erinnert they sich mit leuchtenden Augen. In queeren Räumen wird ein wichtiges und starkes Gefühl gepflegt und nach aussen getragen: Queer sein ist schön.
Abstimmung beflügelte Szene
Die Geschichte der offenen Queer-, beziehungsweise Gay-Veranstaltungen geht in Luzern bis in die 80er-Jahre zurück. Mit dem Ziel, die eigene Kultur leben und feiern zu können, wurden neue Räume geschaffen. Besonders in den 00er-Jahren ist die Luzerner Lesben- und Schwulenszene stark gewesen, sagt Marco Lehre, der 21 Jahre lang das Pink Panorama Festival mitorganisiert hat.
Der Grund für diese Stärke hatte mit politischen Bestrebungen zu tun. 2005 stimmte die Schweiz über das Partnerschaftsgesetz ab, was die Szene stark belebt hat. Die Vorlage wurde zwar mit 58 Prozent angenommen, doch danach kehrte Ruhe ein. «Der Aktivismus nahm ab. Wenn man politisch etwas erreicht hat, kommt oft eine Delle.» Auf das Feierverhalten hatte diese jedoch keinen Einfluss. «Es gab nicht weniger Partys, denn Konsument*innen findet man immer. Aber es gab weniger Aktivismus», sagt Marco.
Angst vor dem Outing
Doch wie sah die Partyszene damals in Luzern aus? Roman Heggli muss es wissen. Denn der Geschäftsleiter von Pink Cross, dem nationalen Dachverband der schwulen und bisexuellen Männer, war zwischen 2009 und 2011 in der Luzerner Schwulenszene unterwegs. Zu diesem Zeitpunkt war das Uferlos, das 1995 eröffnet wurde, für den damals 18-Jährigen nicht mehr so interessant, weil dort bereits die ältere Generation verkehrte.
«Ich machte mir Sorgen, im kleinen Luzern entdeckt zu werden.»
Roman Heggli, Geschäftsleiter Pink Cross
«Ich ging viel nach Zürich in den Ausgang. In Luzern gab es nur die Frigay im Loft und das war's», erzählt er. In Zürich habe es ein grösseres Angebot gehabt. Doch für den Gang nach Zürich gab es auch praktische Gründe. Seine erste Schwulenparty in Zürich hat Roman erlebt, als er noch nicht geoutet war. «Ich machte mir Sorgen, im kleinen Luzern entdeckt zu werden. Ironischerweise war an der Party in Zürich einer aus Rothenburg, der mich natürlich sofort erkannte.»
Diversität bezieht sich nicht nur auf das Publikum, sondern auch darauf, wer hinter dem DJ-Pult steht. (Foto: Antonin Lechat)
Der Vergleich der Szene in den letzten knapp 20 Jahren zeigt eine gewisse Entwicklung. «Die Partys waren früher alle sehr ähnlich. Die Vielfalt an Musikstilen und Publikum bei queeren Veranstaltungen und das Zugehörigkeitsgefühl zu einer Community haben sich erst in den letzten 10 Jahren entwickelt», sagt Roman. Zudem scheint die Szene diverser geworden zu sein. Das sagt nicht nur Roman, sondern auch Claudio: «Heute sind die Partys nicht nur auf schwule Männer zugeschnitten, sondern inkludieren verschiedene sexuelle Orientierungen und Geschlechtsidentitäten.»
Kritik am linken Kulturlokal
Partyreihen wie Akt 1 oder STFU wollen der queeren Szene nicht nur einen sicheren Hafen zum Feiern bieten, sondern auch ausschliesslich auf queere und BIPoC Acts setzen. «Wir existieren und das wollen wir zeigen», sagt Angie. Haben denn Cis-Personen an Queer-Partys Hausverbot? Keinesfalls, aber es gibt Einschränkungen. An den STFU-Partys ist der Club in der ersten Stunde für die BIPoC- und Queer-Community reserviert. Erst danach steht der Anlass für alle offen.
Bei queeren Partys ist das Scheinwerferlicht auf die entsprechende Community gerichtet. Cis-Publikum ist dennoch willkommen. (Foto: Antonin Lechat)
Diese Offenheit wird hingegen auch von den Cis-Besuchern verlangt. Ein guter Ally, also Unterstützer:in der LGBTIQ+*-Bewegung zu sein, ist gar nicht so einfach. Es bedeutet, die eigenen blinden Flecken konstant zu reflektieren und auszuleuchten. Vor diesen blinden Flecken ist auch ein linkes Kulturlokal wie das Neubad nicht gefeit. Obwohl Angie, Priya und Claudio alle sehr dankbar sind, dass sie im Neubad Veranstaltungen durchführen können, üben sie auch Kritik am Ort: «Die aktivistische Arbeit wird teilweise zu wenig gesehen», findet Claudio.
Was heisst das konkret? Es geht beispielsweise um zusätzliche Räume, in denen sich die Gäste umziehen können. Solche haben sich die Veranstalter*innen gewünscht, doch das Neubad hat dafür zunächst zusätzliche Miete verlangt. Auf der Seite der Veranstalter*innen stiess das auf wenig Verständnis. Sie sehen ihre Arbeit als Diversifizierung, also als Beitrag zum Neubad.
Dass für zusätzlicher Raum anfangs mehr Geld verlangt wurde, stiess den Veranstalter*innen deshalb sauer auf. «Ich sehe, dass die Geschäftsleitung vom Neubad viel Arbeit da reinsteckt und habe Respekt davor. Aber umgekehrt wünsche ich mir auch, dass unser Teil mehr anerkannt wird», sagt Claudio.
Im Falle der STFU-Party vom vergangenen Wochenende hat man sich schliesslich doch noch gefunden. Angie und Priya mussten keine zusätzliche Miete bezahlen. Sie seien sich ihrem Auftrag für mehr Diversität sehr bewusst und würden Veranstalter*innen in ihrem Aktivismus möglichst unterstützen, heisst es von Seiten Neubad.*
Lindy-Hop statt Techno?
Die Luzerner Queer-Szene ist also in Bewegung. Wurde nun mit fünf verschiedenen Veranstaltungsreihen das Maximum erreicht? Es darf ruhig noch mehr davon geben, finden Angie, Priya und Claudio: «Es gibt 90 Veranstaltungen für heterosexuelle, weisse Menschen, ein paar wenige Partys für Queers und jetzt mit STFU eine einzige Party für BIPoC», sagt Claudio. Für eine gesunde und fruchtbare Community sei Vernetzung aber grundlegend.
Angie, Priya und Claudio wünschen sich noch mehr queere Veranstaltungen in Luzern. (Foto: Lisa Kwasny)
STFU und Kopfkino sehen sich deshalb auch nicht als Konkurrenz. Je mehr Personen Veranstaltungen durchführen, welche die Kulturlandschaft in Luzern diverser gestalten, desto weniger Druck gibt es auf die wenigen Veranstalter*innen, die bereits existieren.
Diese können nämlich auch nur einen Teil der Bedürfnisse abdecken. «Es gibt Personen aus der LGBTIQ*-Gemeinschaft, die wollen nur Pop oder nur Techno hören, oder sie wollen Sexpositive Partys, oder einen konservativen Lindy-Hop-Anlass», sagt Claudio.
Weitere Info und die nächsten Partytermine gibt es auf den Instagramseiten von STFU und Kopfkino.
* In einer früheren Version des Artikels hiess es, die Veranstalter*innen hätten für zusätzliche Räume zahlen müssen. Das ist falsch und wurde nun korrigiert. Die neue Situation hat sich erst ergeben, nachdem die Arbeiten an diesem Artikel bereits abgeschlossen waren. Wir bitten um Entschuldigung.