Schallplatten-Trend
Wie lange kann sich der Vinyl-Hype noch halten? Und ist die Schallplatte nicht längst zum modischen Accessoire für hippe Wohnzimmer verkommen? Ein Besuch bei Wab im Co-Mix Remix.
Nikola Gvozdic — 04/19/23, 10:07 AM
Seit Walter Beer alias Wab den Co-Mix Remix gegründet hat, hat er am Morgen keinen Anschiss mehr.
Die Welt wird immer digitaler und physische Tonträger werden langsam zu Grabe getragen. Doch ein Medium weigert sich hartnäckig, das Zeitliche zu segnen. Die Schallplatte ist in der Schweiz seit gut 12 Jahren auf Comeback-Tour - und diese lohnt sich. Laut Zahlen von Ifpi Schweiz, dem Dachverband des Schweizer Musikmarkts, wurden 2021 4,8 Millionen Franken mit Vinyl umgesetzt. Das sind 18 Prozent mehr als im Jahr zuvor und ist der höchste Wert seit 1991.
Doch was sind die Gründe dafür? Wie lange hält dieser Hype noch an? Und was sind seine Schattenseiten? Antworten dazu sind an der Pfistergasse 11 in Luzern zu finden. Hier führt Walter Beer alias Wab seit 2006 den Co-Mix Remix, einer der prominentesten Plattenläden der Stadt. Er verkauft nicht nur Platten, sondern sammelt sie auch und legt sie als DJ auf. Deshalb haben wir ihn vor dem Record Store Day 2023 in seinem Laden besucht.
Legen wir vorsichtig die Nadel auf und gleiten durch die Fragmente eines Gesprächs.
Neben Vinyl gibt es im Co-Mix Remix auch Spraydosen, aber auch Comics aus aller Welt zu kaufen.
Einen exakten Moment für den Anstieg am Interesse an Platten kann Wab nicht wirklich ausmachen. Es sei schleichend vonstatten gegangen. Aber die Veränderung an sich sei deutlich spürbar, vor allem am Publikum. «Wir haben sicher ein jüngeres und viel durchmischteres Publikum als früher», sagt Wab. «Früher – was auch schön war – waren Platten eher ein Nischen-Nerd-Produkt mit einer sehr engen Stammkundschaft. Nur schon, weil Platten nicht überall erhältlich waren. Jetzt haben sie sich in der ganzen Gesellschaft etabliert.»
Die Auswahl in Wabs Laden ist gross und reicht von elektronischer Musik über Jazz bis zu den neuesten Rap-Releases.
Nicht nur das Publikum ist breiter geworden, sondern auch dessen Geschmack.
Ein Zeichen, dass Vinyl endgültig im Mainstream angekommen ist: Ikea hat einen hauseigenen Plattenspieler entwickelt.
Ist es einfach cool und trendy ein paar Platten im Wohnzimmer aufzustellen? Ist Vinyl zum Einrichtungsgegenstand geworden? «Logisch gibt es das mehr als früher», sagt Wab. Immer wieder gebe es Leute, die beim Kauf anmerken, dass sie gar keinen Plattenspieler haben, sondern einfach etwas von ihren Lieblingskünstlern in den Händen halten wollen. «Da könnte man sich genau so gut ein Shirt kaufen», fährt er fort und schmunzelt. «Andererseits, meine erste Platte habe ich auch gekauft, bevor ich einen Spieler hatte.» Trotzdem ist er überzeugt davon, dass die meisten, wenn sie ein Album holen, es auch wirklich durchhören.
Während dem Corona-Lockdown wurden im Co-Mix Remix fleissig Pakete geschnürt.
In Zeiten des Internets ist das komplette Durchhören von Alben alles andere als eine Selbstverständlichkeit. Mit geschrumpften Aufmerksamkeitsspannen und der fiebrigen Jagd nach der nächsten Erfahrung bildet die Rückkehr von Vinyl einen willkommenen Kontrapunkt. «Ich glaube, dass die Digitalisierung dazu geführt hat, dass man das Analoge wieder gut findet.»
Als DJ hat Wab schon einige Dienstjahre gesammelt und ist Teil der Funky-Fever-Crew.
Wab bemerkt die steigende Konsumgeschwindigkeit noch an anderen Orten. Beispielsweise beim Auflegen seien viel schnellere Songwechsel gefragt. Aber trotzdem sei das Auflegen mit Vinyl halt einfach noch immer etwas Besonderes. «Vinyl ist sehr ehrlich. Man braucht Technik, muss viel auditiver orientiert sein, schaut weniger auf die Bildschirme. Mit Vinyl auflegen ist Masterclass.»
(Die Nadel fährt mit einem warmen Rauschen über die leere Rille am Ende der A-Seite. Also schnell aufstehen und die Platte wenden. Nadel setzen, weiter gehts.)
Seit 2006 hat der Co-Mix Remix an der Pfistergasse geöffnet, seit 2016 sogar auf zwei Etagen.
In Luzern gibt es eine gute Handvoll kleinerer und grösserer Recordstores. Auf die Frage, ob der lokale Markt dadurch übersättigt ist, winkt Wab nur ab. «Grundsätzlich haben wir hier einen guten Mix. Jeder Laden hat seine Eigenheit. Es ist echt organisch und nicht einfach eine Reihe von Läden mit dem gleichen Sortiment. Es ist wichtig, dass man nicht nur einen Ort hat, denn das befruchtet alle. Das macht es dann doch direkt schön, wenn man in der Stadt unterwegs ist.»
Der Vinyl-Boom sorgt für Warteschlangen bei den Presswerken. Das Nachsehen haben dabei vor allem die kleinen Labels.
Das Wiederaufleben der Plattenindustrie bringt leider auch negative Aspekte mit sich. Ein grosses Problem ist die Knappheit von Presswerken. Mit einer Nachfrage nach Plätzen, die grösser ist als das Angebot, steigen die Preise und so wird es vor allem für kleinere Labels schwierig, überhaupt zu pressen. «Das Kommerzielle hat vielen, die jahrelang Vinyl herausgegeben haben, die Pressplätze weggeschnappt», sagt Beer.
Für die Musikindustrie kam der Vinyl-Hype zu einem günstigen Zeitpunkt. Der Verkauf physischer Tonträger war abgefallen, und Konzerte sind für Labels eher weniger interessant. So ist es kein Wunder, dass sich die grossen Labels mit voller Wucht in den kleinen Markt gedrängt haben. «Früher war mehr Liebe im Vinyl», sagt Wab. «Niemand wurde reich davon, alle konnten davon Leben.» Jetzt ist die Gier sogar am Record Store Day (RSD) spürbar. Diesem Tag, der eigentlich den unabhängigen Plattenläden gewidmet sein soll.
Wab hält nicht mehr viel von dieser Zelebrierung. «Es sind Heuchler. Da steckt auch eine Organisation dahinter, die möglichst viel Geld damit verdienen will, möglichst viel Geld damit verdienen will, möglichst viel Geld damit verdienen will möglichst viel Geld damit verdienen will möglichst viel Geld damit verd-»
(Ich entschuldige mich, wir steckten wohl kurz in einer Endlosschlaufe fest. Da hat wohl etwas Schmutz in der Rille die Platte springen lassen. Aber jetzt sollte es wieder gehen. Wo waren wir? Ah genau.)
«Der RSD wird immer kommerzieller, es kommen öfter Nachpressungen von Nachpressungen heraus oder Platten, die überhaupt nicht speziell sind.» Es sei nicht mehr wie früher, als noch mehr Dinge erschienen sind, die wirklich selten, oder überhaupt noch nicht auf Vinyl erschienen waren. Beer wird nachdenklich: «Immer mehr Kunden finden das nicht mehr geil.»
Die Schallplatte ist schon einmal von der Bildfläche verschwunden und wird auch jetzt nicht für immer auf diesem Level bestehen können.
Obwohl des jahrelangen Aufwärtstrends bleibt die Schallplatte innerhalb des Musikmarkts ein Nischenprodukt. Und diese Nische scheint nun plötzlich kleiner zu werden. Laut Zahlen von Ifpi Schweiz wurden 2022 erstmals seit 12 Jahren einen leichten Rückgang der Vinyl-Verkaufe festgestellt. Vielleicht ein erstes Zeichen, dass der Plattentrend nun doch etwas abflaut.
Stille.
Wab geht gerne zur Arbeit. Besonders, wenn die Verkäufe so gut laufen, wie beim letzten A Tribe Called Quest-Album. Kaum eine andere LP ging im Co-Mix Remix öfter über den Ladentisch.
«Plattenläden sind generell etwas Schönes», sagt Wab. «Für mich ist ein guter Tag, wenn ich Leute treffe, einen Kaffee mit ihnen trinke, – natürlich – ab und zu etwas verkaufe, um Rechnungen, Löhne, Mieten zahlen zu können, aber es geht um das hier: Es ist ein Treffpunkt für Gleichgesinnte. Und der schönste Job der Welt.» Er hält kurz inne lächelt zufrieden und meint nur noch: «Seit 17 Jahren habe ich am Morgen keinen Anschiss mehr.»