Festival auf dem Sonnenberg
Das B-Sides-Programm ist da! Und damit auch: ein neuer Ratgeber zur ersten behelfsmässigen Orientierung.
Benedikt Sartorius — 03/01/23, 07:52 AM
Das B-Sides-Festival bringt im Juni ein vielfältiges Angebot auf den Krienser Sonnenberg. (Foto: Milena Müller)
Wer ist die grösste Band des diesjährigen B-Sides? Nun, falsche Frage. Denn wer oder was am B-Sides der sogenannte «Headliner» ist, lässt sich zum Glück – wie bei allen sehr tollen Festivals – nicht beantworten. Weil die Neugierde, die Blicke auf alle Seiten bestimmen auch dieses Jahr das Programm.
Wer nun aber doch die Eingangsfrage unbedingt beantwortet haben möchte, argumentiert deshalb streng mit Zahlen und landet bei Dalai Puma. Denn die Zürcher:innen spielen für einmal nicht nur zu dritt, sondern gemeinsam mit der HSLU Big Band. Und der «Rhabarber Pop, Barbershop Hop, Indie wRap, Rock Lobster» der joyful Drei dürfte sich noch weiter öffnen, gemäss ihrem Erkennungssong: «Leave Your Tribe»!
Erst hören, und dann lesen. Oder ists umgekehrt? Weil Michelle Zauner singt nicht nur open-hearted und doch nicht blossstellende Indie-Emo-Songs, sondern sie schrieb auch eine Erinnerung an ihre verstorbene Mutter. «Crying in H Mart» hiess der Text, der 2018 im «New Yorker» zu lesen war und noch vor dem gegenwärtigen Tiktok-Lesezeitalter zum viralen Hit wurde.Weil Zauner hier Fragen stellte, die so viele Heimatsuchende betrifft.
Es waren Fragen wie: «Bin ich überhaupt noch Koreanerin, wenn es niemanden mehr in meinem Leben gibt, den ich anrufen und fragen kann, welche Marke von Seetang wir früher gekauft haben?» Dieser Text führte zum gleichnamigen Buch, führte zu einem Eintrag auf Barack Obamas Leseliste, führte zu (noch) mehr Aufmerksamkeit für jenes Medium, das Zauner dann doch zuerst gewählt hat. Kurz, it’s the song. Und nachzuhören ist das auf «Jubilee», ihrem jubilierenden wie tröstenden Album. Oder wann hast du zum letzten Mal geweint beim Tiefkühlregal des Supermarkts?
Weiter wandern, weiter reisen auch, zwischen den Kontinenten, zwischen den Zeiten, die in den letzten Jahren zwangsläufig geprägt waren von Isolation – und aber auch der nach und nach wiedererlangten Freude, liebe Menschen wiederzusehen. Von diesen verschiedenen Stadien zeugen die Songs von Kaya Wilkins, die sie für ihr Album «SAP» aufgenommen hat.
Sie wirken solitär, erkunden sich selbst – den Körper, die Psyche – und gehen dann raus, tanzen los, treffen Menschen wie den alten Knallkopf Adam Green, und wispern am Schluss eines der grossen deutschsprachigen Wörter. Weil den «Weltschmerz»: ganz abschütteln kann ihn Okay Kaya dann doch nicht.
Weiter mit Songs und überhaupt Songs. Denn diese beste aller Musikformen lebt und lebt bei aller Vercontentisierung und Zerschnipselung für immer fort, da ändern alle Thinkpieces der Welt nichts. Deshalb los zu Lea Mathis aka Pet Owner, die keinen langen Anfahrtsweg auf den Sonnenberg hat und deshalb auch Zeit hat, zwei drei kleine und feine Twists und Details und Warp-Levels mehr in ihre Popsongs einzubauen. Wirkt nicht nur zum Ausleben der Sunday Moods fantastisch.
Die Sonne brennt und alle Sinne sind zersengt und verwirrt? Sun Cousto haben für diesen schönen und immer wieder erstrebenswerten Zustand die voll aufgedrehten Gitarren mitgebracht. Und so spazieren wir mit dem «twee satanism» von Julie Bugnard und Isumi Grichting mitsamt dem Teufel unter dem Regenbogen hindurch. Ist das Jesus, der dort unten surft? Ah, nein, nur ein Delfin. Kurz, bessere Verstrahltheiten als hier gibts nirgends an diesem Wochenende.
Falls der Himmel mit dem Sonnenberg crashen sollte? Bei Rachika Nayar würde sich Zuflucht bieten. Auf ihrem letztjährigen Album «Heaven Comes Crashing» baut die Gitarristin und Produzentin ihre Soundscapes in Richtung Rave-Maximalismus aus, mit Synths und weiteren orchestralen Erweiterungen.
Zu hören ist eine Musik, die natürlich nichts mehr mit ihren fantastischen «fragments», mit der die New Yorkerin erstmals aufgefallen ist, zu tun hat. Aber wer sich diesen Stücken hingibt, findet Trost in den brutalen Stürmen der Alltagsgegenwart. Vielleicht aber auch: die laute Ruhe vor oder nach den Stürmen.
Vor einem Jahr spielte Catia Lanfranchi mit ihrer mittlerweile auch KEXP-Sessions geadelten Band Kush K eines der bleibenden B-Sides-Konzerte. Dieses Jahr tritt Lanfranchi ganz alleine auf, mit einer Musik, die nach Erinnerungen gräbt, Halt sucht, Abschied nimmt. Nachzuhören ist dies auf ihrem Beitrag zur superwertvollen BlauBlau-Plattenserie «What We Talk About When We Talk About Love», auf deren Hülle zu lesen ist: «A last goodbye as a reminder that there is no last goodbye.» Bis die Tränen fliessen.
«What's Wot Baby» heisst die erste Single des kommenden Albums «Pattern with Force» von Brother May. Was wot oder wot was ist in diesem Track, der zum Zwirbeln verleitet? Nun, vielleicht genügt der Hinweis, dass Brother May gemeinsam mit B-Sides-Tirzah-Komplizen Coby Sey und Mica Levi Mitgründer des Kollektivs und Labels CURL ist.
Damit ist auch gleich klar, dass seine Rap-Spielart weit entfernt ist von ausgetretenen Beats-und-Sound-Pfaden. Wer das nun bloss für marktschreierische Worte hält, geht zurück zu den Micachu-Co-EPs «May and Meeks» und «Meeks and May», die für immer fresh und kopfverdrehend bleiben werden. Ende April folgt dann der Rest von «Pattern with Force» – und das sind doch sehr gute Aussichten.
Sie lebt in Los Angeles, doch Marals Tracks reisen weit durch Raum und Zeit, meist in Richtung Iran, wo ihre familiären Wurzeln liegen. Am offensichtlichsten ist diese unerschöpfliche Soundquelle in ihrem bahnbrechenden Mix «Voices from the Land of Iran».
Auch auf ihrem aktuellen Album «Ground Groove» (2022) blitzen die Samples aus iranischen Folksongs auf, und schenken dem vertrauten Post-Punk-Dubraum neue, bislang unerhörte Möglichkeiten. Wer Angst vor diesem heavy «Ground Groove» haben sollte, der über Felsen und in Tunneln führt? Hört einfach den Track «Hold My Hand, Go for a Walk». Es lohnt sich sehr.
Eine der besten Vorstellungstracks der jüngeren Popgeschichte hat Zebra Katz geschrieben mit den unsterblichen Lines:
First name Zebra
Last name Katz
Middle name fucking
What you know about that?
Ja, was weisst du über das? Nun, dieser Track ist ja bereits 10 Jahre alt, aber wer Zebra Katz jüngst auf Tour erleben durfte und zur Auffrischung auch das Album «Less Is Moor» von 2020 angehört hat, weiss, dass dem B-Sides eine denkwürdige Performance bevorsteht. Das Programm? «All I wanna do is keep the dance floor jumping». Also los.
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Dieser Ratgeber war jetzt aber sehr random? Ja, klar, aber endlose Scrollartikel machen andere. Deshalb hier, die weiteren Namen zur Vorfreude: Film 2, Batbait, Café Complet, Rico TK & The Mystic Delights, Milyma, Buried Alive, Andrina Bollinger, Baby Volcano, Frederik, essential oil, Lakiko, Anouchka Gwen, North Naim, Chewlie, Monte Mai, HHY & The Kampala Unit, COUCOU CHLOE, NVST (DJ Set), Les Reines Prochaines, Billie Bird, Yet No Yokai, Coilguns, Elfrid the Third & Ivan Eyes, Aïsha Devi, Cumgirl8, Amami, DJ AkuAku, Mika Oki DJ Set, Triplette Kindertheater spielt “MONA”, El Ritschi.
Das B-Sides-Festival findet vom 15. bis 17. Juni statt. Tickets kaufst du hier und weitere Informationen liest du hier.
Benedikt Sartorius ist Teil von splatz.space und verschickt aus Bern jeden Sonntag den Popletter «Listen Up!». Hier kannst du dich anmelden.