Sound der Urschweiz
«Echo vom Eierstock» ist der erste feministische Jodelchor der Schweiz. Er will den Schweizer Urgesang aus den Fängen veralteter Denkmuster befreien. Doch wie soll das gehen? Und wie kommt das in der Jodelszene an?
Lisa Kwasny — 02/22/23, 10:00 AM
Seit 2021 wird in Nidwalden feministisch gejodelt. Jodelchor «Echo vom Eierstock» ist der erste seiner Art. (Fotos: Lisa Kwasny)
Der Jodelchor «Echo vom Eierstock» findet sich an einem kalten Dienstag im Februar im Kollegium St. Fidelis in Stans zusammen. Es stehen wichtige Aufnahmen für die Stanser Musiktage an. Deshalb ist die Stimmung im Theatersaal des Gymnasiums etwas nervös. Dass just an diesem Tag auch noch drei verschiedene Medienteams zugegen sind, fördert die Entspannung bestimmt nicht.
Doch wieso dieser Rummel um das «Echo vom Eierstock»? Die Antwort ist einfach: Es ist der erste feministische Jodelchor der Schweiz. Er wurde 2021 in Nidwalden gegründet und will mit alten Traditionen brechen.
Rund 20 Frauen haben sich an der Probe im Kollegi Stans eingefunden.
Auf der Kollegibühne haben sich inzwischen rund 20 Chormitglieder auf der Bühne im Halbkreis aufgestellt. Zuerst wird die Stimme aufgewärmt, danach folgt eine kurze Probe der Stücke. Dann wird es ernst. Die Chorleiterin Simone Felber drückt auf die Record-Taste und der Chor beginnt zu singen:
«Echo vom Eierstock» singt keine traditionellen Jodellieder über aufopfernde Mütterlein und heimatliebende, wehrhafte Männer. Der feministische Chor will das Jodeln zeitgemässer und zugänglicher für FINTA*-Personen machen.
«Frauen haben in Männerchören nur Deko-Funktion.»
Elena Kaiser, Präsidentin und Gründerin vom feministischen Jodelchor
«Einige Personen im Umfeld finden es blöd, dass bei uns keine Cis-Männer mitsingen können», sagt Elena Kaiser, Präsidentin und Gründerin des Chors, «dabei sind eigentlich die meisten Jodelchöre Männerchöre. Frauen haben da nur Deko-Funktion». Das wirkt sich auch auf den Gesang aus. Die meisten Stücke sind auf Männer zugeschnitten. Weil sie für weibliche Stimmen zu tief sind, müssen die Melodien oft angepasst werden.
Elena Kaiser ist Gründerin und Präsidentin des Jodelchors.
Aber nicht nur die Melodien, sondern auch einige Texte werden beim Echo vom Eierstock von lokalen Autor*innen und Künstler*innen geändert. Die obige Textzeile ist ein Zitat aus dem Lied «Wiiterfroge» und wurde vom Luzerner Mundart-Autor Béla Rothenbühler geschrieben.
Ein weiteres Beispiel ist das Nidwaldner Tanzliedli. Im Original wird gesungen, dass man zusammen tanzt und die Zeit geniesst, dann heiratet und bald darauf ein Kind tauft. Autorin Jana Avanzini hat den Text so umgeschrieben, dass man auch alleine tanzen kann und niemandem etwas zu schulden hat:
Simone Felber nennt als Hauptprobleme der alten Texte den Sexismus, die christlichen Bilder und den Nationalstolz: «Es wird das Bild einer wehrlosen Frau heraufbeschworen, die sofort verheiratet werden muss. Auf Sexismus konzentrieren wir uns gerade am meisten.» Aber auch Texte über Gipfelkreuze, den Herrgott und den Stolz auf das Vaterland findet Simone schwierig. «Sie entsprechen nicht mehr der heutigen Lebensrealität.»
Chorleiterin Simone Felber stört sich an Sexismus und Nationalismus in Jodeltexten.
Viele alte Stücke würden deshalb von der jungen Generation nicht mehr gesungen, sagt Chorgründerin Elena Kaiser: «Die meisten unserer Mitglieder sind 100 Prozent berufstätig. Da passt das liebe Müetti, das sich für die Familie aufopfert und keinen Lohn will, nicht mehr dazu.»
Der Chor zählt heute bereits 50 Mitglieder.
Jodelnde Bauern in Trachten, Bergidylle und Heimatverbundenheit. Unser Bild von Schweizer Tradition ist ein Mythos, der im 19. Jahrhundert dazu diente, die aus verschiedenen Kulturen und Traditionen zusammengewürfelte Schweiz zu einen. Kriegs- und Krisenzeiten wurden besser gemeistert, wenn ein Volkskörper die gemeinsame Heimat verteidigt. Volksmusik, darunter der Jodel, diente der Schaffung einer gemeinsamen Identität. Doch die konservativen Stereotype, die dabei besungen werden, haben so nie existiert.
Nicht bloss SVP-Soundtrack
«Die Volksmusik gehört allen, nicht nur gewissen politischen Parteien», sagt Chormitglied Hannah. Sie nervt sich, dass das Jodeln als Volksgut verpolitisiert wurde, denn «diese Musik ist auch meine Heimat». Auch als Zuhörerin kommt ein Gefühl von Heimat hoch, die verschiedenen Tonhöhen des Jodelgesangs beruhigen und euphorisieren gleichzeitig. «Für mich ist es etwas vom Schönsten, in diese Tonlandschaft reinzuliegen», sagt Hannah.
«Der Juchz ist laut und extrovertiert. Laute Frauen mag man nicht»
Elena Kaiser
Für Elena Kaiser war die Entstehung ein persönliches Anliegen: «Ich wollte jodeln, aber es gibt keinen Club, wo ich mich wohlfühlen würde.» Einerseits wegen der Texte, andererseits würden ihr die Vereinsstrukturen dieser Clubs widerstreben. Weil die Schweizer Volksmusik zur geistigen Landesverteidigung entwickelt wurde, sei in den meisten Köpfen der Männer klar, dass Frauen nicht jodeln sollten. «Der Juchz ist laut und extrovertiert. Laute Frauen mag man nicht», sagt Kaiser.
Eva Odermatt wollte immer jodeln, aber nie in einen Jodelverein.
Als Kaiser an einem Anlass des feministischen Nidwalden Eva Odermatt von der Idee erzählte, einen feministischen Jodelchor zu gründen, war diese sofort dabei. «Ich wollte immer jodeln, aber nie in den Jodelverein. Frauen sind da immer nur Solistinnen», sagt Eva. Für sie sei ein feministischer Jodelchor deshalb zu einem Safe-Space geworden. Auch mit wenig Erfahrung können hier FINTA*-Personen gemeinsam Volkslieder singen. Mittlerweile zählt der Chor 50 Mitglieder.
Kaum Kritik
Doch wie reagiert die Jodelszene, in der gerne am Alten festgehalten wird, auf diesen Bruch mit dem Brauchtum? Karin Niederberger, Zentralpräsidentin des Eidgenössischen Jodlerverbandes, findet nicht, dass die alten Volkslieder teilweise unzeitgemäss und problematisch seien. Auch heute gäbe es noch Sennenbuben und -mädchen. Sie sei selbst schon auf der Alp gewesen. Niederberger äussert sich dennoch diplomatisch: «Ich glaube aber nicht, dass der feministische Jodelchor dem Gesang schadet. Deshalb will ich ihn nicht kritisieren.»
«Einige empfinden das als Provokation. Dann sollte man darüber nachdenken, warum es so provoziert.»
Patricia Dahinden, Chorleiterin der Unterwaldner Jodler-Vereinigung
Patricia Dahinden, Chorleiterin der Unterwaldner Jodler-Vereinigung, findet es wichtig, dass man die Texte als Zeitdokument liest. Gewisse Texte könne man nicht mehr singen, weil einige Themen nicht mehr aktuell sind. Andere Texte müssten im Rahmen ihrer Entstehung verstanden werden. Dass das «Echo vom Eierstock» auf die problematischen Texte hinweist und sie wieder in den Blickwinkel der Zeit rückt, findet Dahinden gut. «Einige empfinden das als Provokation. Dann sollte man darüber nachdenken, warum es so provoziert», sagt sie.
Emil Wallimann, Präsident der Fachkomission Jodelgesang im eidgenössischen Jodlerverband, legt den Fokus noch auf ein anderes Thema: «Die Texte müssen im Sinne des Texters verändert werden, sonst gibt es Probleme mit den Urheberrechten.» Er empfindet aber jede Bewegung, die etwas Frisches wagt, als positiv.
Im April tritt der Chor an den Stanser Musiktagen auf.
Auch wenn sich gegenüber Kultz alle befragten Personen positiv äusserten, haben Simone Felber und Elena Kaiser auch von negativen Reaktionen aus der Jodelszene gehört. «Damit haben wir aber schon erreicht, dass man sich über die Strukturen Gedanken macht», sagt Felber.
Dass der feministische Jodelchor «Echo vom Eierstock» etwas bewegt, scheint durchaus zuzutreffen. Gerade machen sie Aufnahmen für ein interdisziplinäres Projekt, welches an den Stanser Musiktagen vom 19.-23. April 2023 gezeigt wird. Dafür arbeiten sie mit der Klangkünstlerin Martina Butzi und dem Videokünstler Jules Claude Gisler zusammen. Butzi wird die Lieder des Chors mit elektroakkustischen Tönen verfremden und Gisler lässt auf einer Videoinstallation die alten Texte aufblitzen, um auf die Spannung zwischen Vergangenheit und Gegenwart hinzuweisen. «Wir finden es wichtig zu zeigen, dass es das Alte gab», sagt Chorleiterin Simone Felber, «aber es ist auch spannend, die Urklänge des Jodels mit elektronischer Musik zu vermischen und so etwas Neues zu schaffen». |