Bei Luce im Proberaum
Tiziana Greco alias Luce ist Luzerns entschleunigste Musikerin. Wir haben sie im Proberaum besucht und mit ihr über gesellschaftliche Ungleichheiten, radikale Geduld und sexistische Tontechniker gesprochen.
Lisa Kwasny — 01/30/23, 10:40 AM
Tiziana Greco ist vieles. Zum Beispiel Musikerin, Künstlerin und Herrscherin über allerlei Tasten und Effektgeräte. (Foto: Thi My Lien Nguyen)
Der Proberaum von Tiziana Greco liegt etwas versteckt auf einem Industrieareal in Kriens. Hier schreibt sie neue Songs oder probt für Gigs. Manchmal singt sie auch einfach 90s-Songs oder spielt klassische Klavierstücke. «Es passiert eben, was passiert», sagt die Musikerin, die nebenbei an verschiedenen Schulen als Gesangs- und Musikpädagogin arbeitet.
Was nach nachlässiger Arbeitsmoral klingen mag, ist viel mehr ihr künstlerisches Konzept. Tiziana hat es sich zum Ziel gesetzt, ihrer Musik Raum und Zeit für Entwicklung zu geben. Dafür hat sie sogar ein eigenes Genre für sich benannt: Anti-Rush.
Diese Herangehensweise ist nicht nur Mittel zur ungezwungener musikalischen Entfaltung, sondern dient ihr auch als Selbstschutz. Das merkte sie bei der Arbeit an ihrem zweiten Album. «Ich wollte möglichst schnell und produktiv vorwärtszukommen, habe nur an Output gedacht. Dabei musste ich feststellen, dass ich mir damit viel kaputt mache.»
Tiziana Greco in ihrem Atelier auf dem Krienser Bellareal. (Foto: Lisa Kwasny)
Diese Kurskorrektur manifestierte sich im Albumtitel: «Am I Slow Enough» taufte sie ihr zweites Werk. Darauf wollte Tiziana herausfinden, wie langsam sie sein kann und wie fest sie es aushält, dass Dinge ihre Zeit brauchen. Eine persönliche Herausforderung: «Ich bin nicht der geduldigste Mensch, aber ich glaube, dass Geduld rebellisch sein kann.» Etwas Selbstreflexion hat ihr dabei geholfen. «Wenn ich von der Gesellschaft Nachhaltigkeit erwarte, sollte ich das auch im Umgang mit mir selbst.»
«Man merkt es der Kunst an, wenn jemand Stress hatte und verbissen wurde.»
Diese Haltung sieht sie als Gegenposition zum enormen Leistungsdruck in der Kunstwelt. Um relevant zu bleiben, produzieren viele Musiker*innen am Laufband Songs. Manchmal bis zum Burnout. «Das tut auch der Kunst nicht gut», sagt Tiziana. «Man merkt es, wenn jemand Stress hatte und verbissen wurde.» Sie mag es, wenn etwas ganz einfach und natürlich aus einer Person herauskommt. «Das suche ich in meiner Musik.»
Tiziana sieht das Erwachsenwerden als niemals endenden Prozess. (Foto: Thi My Lien Nguyen)
Diese Sehnsucht nach Entschleunigung widerspiegelt sich auch in Tizianas Texte. «Why were you in such a hurry?», fragt sie sich im «Song Fruit of Mine». Sie meint damit ihre Kindheit, die endete, ohne dass sie es merkte. «Den Moment, in dem man erwachsen wird, gibt es nicht.» Rückblickend habe es aber Punkte gegeben, an denen sie Dinge realisiert hat, die ihre Kindheit zu einem Ende gebracht haben. «Dieser Prozess des Erwachsenwerdens endet nicht, ich bin immer noch dabei.»
Ein Gruss an die Beatles
Luce schafft eine Welt, in der man sich gerne verliert. Wer sie zum Beispiel letzten Sommer am B-Sides gesehen hat weiss, wie weich und leicht sich ihre Konzerte anfühlen können. «An meinen Konzerten können die Besucher*innen absitzen und versinken.» Doch genau damit will sie künftig brechen. «Jetzt interessiert es mich, ob ich das Publikum auch zum Mitwippen bringen kann.» Dazu will sie künftig nicht nur als Solo-Künstlerin, sondern auch in einem Bandsetting auftreten.
Schon seit dem Anfang ihrer Karriere wollte Tiziana wandelbar bleiben können. Deshalb hat sie sich mit Luce einen Namen ausgesucht, der nicht nach einem bestimmten Genre schreit. Dieser bezieht sich auf «Lucy in the Sky with Diamonds» von den Beatles: «Mir hat Lucy und die Welt, in der sie lebt, sehr gefallen. Es ist eine psychedelische Welt, aber mit alltäglichen Dingen, viel Witz und Wunderlichkeit.»
«Bei Luce geht es mir darum, mein Innenleben nach aussen zu stülpen.»
Man kann sich gut vorstellen, wie Lucy im Himmel zu Tizianas Musik tanzt. Manchmal klingen ihre Songs wie tröpfelnder Tau oder wie kleine Murmeln auf einer Kugelbahn aus Glas. Gleichzeitig fühlt man aber die starken Emotionen, die Tizianas Musik inspirieren: «Bei Luce geht es mir darum, mein Innenleben nach aussen zu stülpen. Ich will mich in den Songs mit Gefühlen auseinandersetzen.»
Zwischen Gefühlen und Politik
Tiziana steht nicht nur als Luce auf der Bühne, sondern auch noch als experimentelle Künstlerin. Dabei stehen nicht Gefühle im Fokus, sondern Politik. Das zeigte ihr Auftritt im Rahmen der Veranstaltungsreihe Endless Bazaar in der Kegelbahn. «Da habe ich mich mit einem feministischen Buch auseinandergesetzt. Das mache ich bei Luce nicht».
Durch experimentelle Kunst haben sich Tiziana neue Türen geöffnet. Zum Beispiel zum Salon Vert. Das ist Verein aus der Ostschweiz für experimentelle, interdisziplinäre Formate von und für FINTA*-Personen. Mit einer queerfeministischen Haltung schafft Salon Vert Raum für FINTA*-Personen, leistet Vernetzungsarbeit und hilft, sich gegenseitig zu empowern (siehe Box unten).
Tiziana sieht das als wichtige Aufgabe und bezieht sich auf Zahlen vom Verein Helvetiarockt. Laut diesen stehen im Bereich Popmusik nur 11 Prozent FINTA*Personen auf der Bühne. «Das ist nicht repräsentativ für unsere Gesellschaft.»
Als Musikerin sieht sich Tiziana mit einer Welt konfrontiert, die immer noch stark männerdominiert ist. (Foto: Maximilian Preisig)
Sie kennt die Vorurteile, mit welchen FINTA*-Personen im Musikgeschäft konfrontiert werden aus persönlicher Erfahrung und erzählt von einem Vorfall bei einem ihrer ersten Konzerte als Luce. «Der Tontechniker hat beim Soundcheck irgendetwas völlig falsch eingestellt und es hat die ganze Zeit gepfiffen», erinnert sie sich. «Er hat mich darauf mega angeschnauzt, was mir einfalle, so viele Effektgeräte mitzubringen, wenn ich keine Ahnung davon hätte.»
Die Wut darüber ist ihr immer noch anzuhören. «Meine Erfahrung ist, dass die Männer, mit denen ich Musik gemacht habe oder die ich auf der Bühne sah, meistens nur so getan haben, als wüssten sie vollends Bescheid.» Sie findet es denn auch elitär, die Bühnen nur jenen zu überlassen, die ihr Equipment bis ins Detail verstehen. «Auch wenn man nur 2 Prozent der Möglichkeiten beherrscht, kann man auf die Bühne!»
Es brauche aber Raum, um ausprobieren zu können. Dies ist manchmal erschwert, weil Instrumente und Pedals teilweise viel Geld kosten oder weil es an Proberäumen fehlt. Ausserdem brauche es eine Gemeinschaft, um Wissen austauschen zu können. Männliche Musiker würden viel von ihren männlichen Kollegen lernen. Das habe Tiziana gefehlt. «Ich habe das Gefühl, dass die Musikszene mega ein Boys-Club ist. Deshalb ist es wichtig, dass FINTA*-Personen Raum erhalten.»
Salon Vert in der Kegelbahn Mehr zu Luce gibt es auf ihrer Website, Instagram, Youtube, Telegram, Bandcamp und Spotify. |