Beatworkshop im Treibhaus
Helvetiarockt organisiert Musikworkshops nur für Frauen und non-binäre Personen. Wieso das wichtig ist, zeigt ein Kurs-Besuch im Luzerner Treibhaus.
Lisa Kwasny — 06/19/22, 11:17 AM
Wie macht man aus Geräuschen einen Song? Am Beatworkshop von Helvetiarockt wird das erklärt.
Im Clubraum vom Treibhaus herrscht konzentrierte Stimmung. Die Teilnehmenden sitzen im Kreis an Tischen. Vor ihnen liegen Laptops, Kabel, Kopfhörer und Launchpads. Das sind diese Geräte mit den bunten viereckigen Knöpfen, wie man sie aus Musikdokus oder von Partys kennt. Die Workshopleiterinnen Cégiu und Jess geben gerade die Instruktionen zum Workshoptag durch. Ziel: Digitale Instrumente kennenlernen und aus Sounds einen eigenen Beat zu basteln.
Der Kurs wird von Helvetiarockt angeboten, einem Verein, der sich für mehr Frauen und non-binäre Personen im Musikgeschäft einsetzt (mehr dazu im Kasten weiter unten). Der Workshop im Treibhaus wurde von Angela Addo organisiert. Bevor sie Teil von Helvetiarockt wurde, nahm sie selbst an solch einem Workshop teil.
Angelas Erfahrung liest sich als Paradebeispiel dafür, was solche Angebote bewirken können. Bevor die Singer-Songwriterin den Workshop besucht hatte, war sie von Technik sehr abgeschreckt. «Mein Musikpartner musste an den Konzerten sogar meine Gitarre stimmen, weil ich gedacht habe, ich dürfe das als Frau nicht selbst tun.»
Angela Addo von Helvetiarockt.
Der Workshop habe ihr vor allem den Respekt vor der Technik genommen und gezeigt, dass sie nicht von ihrem Partner abhängig sein muss. Sie habe ihm ein Ultimatum gestellt. Entweder lässt er sie auch Beats für das Duo produzieren, oder sie macht allein Musik. «Ich habe gemerkt, dass ich mich nicht mehr hinter seinem Rücken verstecken kann und dass ich selbstbewusst in die Öffentlichkeit treten muss, um als Musikerin voll wahrgenommen zu werden.»
Für Angelas Partner bedeutete das zurückzustehen, um ihr Platz zu lassen. «Wenn man will, dass die gesamte Gesellschaft in der Musikbranche vertreten ist, müssen die Personen, die bisher Privilegien genossen haben, etwas mehr in den Hintergrund treten. An dem scheitert es oft», sagt Angela.
Unbegründete Berührungsängste
Im Clubraum vom Treibhaus hat währenddessen die Arbeit begonnen. Die Teilnehmenden sind daran, sich einander zu zeigen, woran sie getüftelt haben. «Der Song, den ich ausgewählt habe, beginnt ziemlich laut. Danach kommt ein melodiöser Teil», sagt eine Teilnehmerin und hält ein Blatt Papier in die Höhe, auf dem sie den Track visualisiert hat. Mit solchen Skizzen als Vorlagen wird mit aufgesetzten Kopfhörern in Computerprogrammen gearbeitet. Wenn Fragen auftauchen, bitten sich die Teilnehmenden gegenseitig um Hilfe.
Viele Knöpfe fordern viel Erklärungsbedarf.
Die Teilnehmerin Alma findet genau diesen Austausch «mega cool». Die Singer-Songwriterin sagt, ihr gebe der Workshop etwas mehr Unabhängigkeit als Musikerin, denn sie lerne hier, gewisse Dinge selbst zu machen, die sie bisher noch nicht konnte. «Ich war schon immer an analoger Technik wie Mikrofone und Kabel interessiert», sagt sie, «doch bei digitaler Technik hatte ich Berührungsängste. Ich dachte, das sei komplizierter. Der Workshop hat mir gezeigt, dass es eigentlich ganz einfach ist.»
Der Kurs richtet sich an FINTA*, also an Frauen, inter-, nonbinäre, trans und agender Personen. Ein solches Setting ist für Alma neu. Sie fühlt sich wohl darin. Und wie fühlt sie sich als Frau in der Musikbranche? Alma betont die Bedeutung der Eigeninitiative. «Es ist wichtig, zu netzwerken und auf sich aufmerksam zu machen.» Zwar habe sie sich noch nie auf ihr Geschlecht reduziert gefühlt. Aber: «Es gibt mir schon zu denken, dass nur wenige FINTA*-Musikschaffende in Festival-Line-ups vertreten sind. Deshalb braucht es Initiativen wie Helvetiarockt!»
Auf der Suche nach Vorbildern
Jess sieht das genau so. Sie ist eine der Workshop-Coaches und macht unter dem Künstlernamen «Jessiquoi» schon seit längerem eigene Songs inklusive Beats und Texten. Sie war schon zu Beginn beim Beatmaking Workshop «Female* Music Lab» von Helvetiarockt dabei, da es damals noch kaum Frauen gab, die selbst Beats produzierten. Sie selbst hat sich alles mit Youtube selbst beigebracht.
Jessiquoi hat sich ihr technisches Know-how im Internet geholt.
Die Wichtigkeit solcher Workshops sieht Jess in der Nachfrage: «Die Kurse sind gut besucht, das heisst, es braucht Orte, die nur FINTA*-Personen vorbehalten sind.» Doch wieso müssen Männer draussen bleiben? «Teilweise ist es angenehmer, in einem Rahmen ohne Cis-Männer etwas Neues zu lernen. Gerade zum Beispiel, wenn Respekt vor der Technik vorhanden ist», sagt Jess. Sie fände es aber am schönsten, wenn es diese Räume nicht mehr brauchen würde.
Doch wie weit ist man von einem solchen Ziel noch entfernt? Angela stellt zurzeit einige Veränderungen in der Musikbranche fest. «Booker*innen scheinen aufmerksamer, was das Programm betrifft.» Trotzdem scheint der Idealzustand noch in gewisser Ferne zu liegen. «Gerade im Mainstreambereich gibt es noch viele Veranstaltungen, bei denen FINTA* mega untervertreten sind. Wir brauchen mehr Vorbilder und mehr Bewusstsein bei den Veranstalter*innen.»
Helvetiarockt Die Organisation widmet sich seit über 10 Jahren der Förderung von Gleichstellung in der Musikbranche. Dies tut sie durch Workshops in Songwriting, Producing, DJ-ing oder eben Beatmaking für FINTA* zwischen 9 und 20 Jahren. Teilweise sind die Workshops auch ohne Altersbegrenzung. Zudem betreibt Helvetiarockt Community-Arbeit, indem sie Untersützer*innen und Teilnehmende der Workshops auftreten lässt oder Referate oder Podiumsdiskussionen organisiert. Zudem betreibt die Organisation die Plattform «Music Directory», welche speziell FINTA* Personen mit Booker*innen verbindet. «Das Argument, dass zu wenige FINTA* auf der Bühne stehen, weil es zu wenige FINTA*-Künstler*innen gibt, zieht so nicht mehr», sagt Angela Addo. Mehr Infos findest du hier. |