Mit einem Namenswechsel versucht die CVP, ihren schleichenden Untergang zu stoppen. Ob «Die Mitte» den gewünschten Erfolg bringt, hängt auch von ihrem Nachwuchs ab. Doch wie steht es um diesen überhaupt?
Ramon Juchli — 12/16/20, 07:25 PM
Die CVP scheidet mit Gott. Zumindest im Parteinamen. Bild: Myriam Zilles (Unsplash)
Biedere Spiessbürger, bei denen der sonntägliche Kirchgang so sicher ist, wie die Mitgliedschaft im örtlichen Gewerbeverein: Ein akkurater Beschrieb des CVP-Prototyps? Esther Unternährer-Hagmann wehrt sich gegen gängige Klischees, die der schwächelnden Mittepartei anhaften. Zumindest, wenn es um die neue Generation geht. «Man sieht es unseren Mitgliedern nicht an, dass sie in der Jungen CVP sind», sagt die Präsidentin der JCVP Stadt Luzern.
Tatsächlich scheint bei der jungen CVP-Generation das christliche Fundament zu wackeln. «Oh, jetzt habe ich die Halskette mit dem Kreuz vergessen», scherzt Daniel Stadelmann zum Gesprächsauftakt. Auf Twitter bezeichnet sich das Vorstandsmitglied der kantonalen Partei als Atheist. Mit dem christlichen Hintergrund der Partei hat er zwar kein Problem, aber er begrüsst es nun sehr, dass das C aus dem Parteinamen verschwindet.
Gottlos und dennoch bei der CVP: Daniel Stadelmann sieht darin kein Problem. Bild: zvg
Stadelmanns Einstieg bei der Partei war quasi ein Familienprojekt. Seine Schwester Karin wollte die städtische JCVP neu gründen und holte ihn ins Boot. «Mich reizte es, partizipieren, mitentscheiden, beeinflussen zu können.» Doch wieso gerade die JCVP? Die Linken sind ihm zu staatsgläubig und zu einseitig auf die Klimafrage fokussiert, sagt der 31-jährige Stadtluzerner. Der Jungfreisinn sei auch kein Thema gewesen. Verdikt: zu marktgläubig und zu wenig Herz. «Mir gefällt die JCVP als Vermittlerin.»
Das C and the City
«Die Mitte» dürfte jedoch kaum zur Partei der urbanen Ungläubigen werden. Das zeigt nur schon ein Blick nach Gunzwil. Von hier im ländlichen Luzern nahe Beromünster kommt der Präsident der kantonalen Jungpartei. Luca Boog ist 20 Jahre alt, Mitglied bei der örtlichen Feldmusik und trägt das Kreuz ganz selbstverständlich um den Hals. «Ich bin römisch-katholisch.» Bibel und Parteibuch gehören für ihn jedoch getrennt. «Ich würde niemals Politik wegen der Religion machen.» Boog kommt aus einer CVP-Familie. Dass er diese Tradition weiterführt, hat jedoch eher mit Zufall als mit elterlichem Druck zu tun. Zunächst liebäugelte Boog auch mit der FDP. «Schlussendlich hat mich die CVP schlicht schneller angeworben.»
Luca Boog hat als CVP-Politiker im Luzerner Hinterland gute Karten. Bild: zvg
In Boogs Heimatgemeinde ist die CVP eine Macht. Sie hält im Gemeinderat die Mehrheit und erhielt 40 Prozent aller Stimmen bei den letztjährigen Nationalratswahlen. Boog erzielte dabei das beste Resultat aller Jungpolitiker. Bedeutend schwieriger haben es seine Parteikolleginnen und -Kollegen auf städtischem Terrain. Die Luzerner Stadtbevölkerung stimmt und wählt links. Da wird auch mal eine Juso-Initiative zur Begrünung der Car-Parkplätze auf dem Inseli angenommen. Die linke Dominanz spüre man vor allem in der Verkehrspolitik: Autofahrer würden «dämonisiert», sagt Daniel Stadelmann.
Unternährer-Hagmann, Präsidentin der städtischen JCVP, ist inzwischen in die Agglomeration gezogen. «Aus familiären Gründen», sagt sie. Aber nach wie vor schätze sie die Stadt Luzern, als «weltoffen» und «eine Kulturstadt». Stadelmann pflichtet bei. Ihm gefalle die Breite des kulturellen Angebots. Gerne ziehe er sich elegant an fürs KKL, ein Bier in einer der Bars der Baselstrasse liege aber genauso drin. Wenn die CVP die Stadt regieren könnte, würde sich wohl nicht so viel verändern, vermuten beide. Doch es würde mehr Dialog mit Wirtschaft und Gewerbe geben.
Die Zweifel des Politologen
Nun streicht die Partei also zum Jahreswechsel das Christentum aus dem Namen und holt dafür die BDP dazu. Damit versucht die CVP, ihren Fall in die Bedeutungslosigkeit zu stoppen. Können mit einem Namenswechsel tatsächlich neue Wählerinnen und Wähler dazugewonnen werden? Claude Longchamp ist skeptisch. «Im Kanton Luzern wird das nicht einfach sein», sagt der Politologe und Wahlexperte. «Die Partei kann bei Menschen gewinnen, die das C nicht mochten, doch kann die Basis irritieren.» BDP-Zuwächse wird es kaum geben, die Partei war zuletzt fast inexistent.
Es bleibt also fraglich, ob «Die Mitte» das Steuer herumreissen kann. Das liegt auch an der prekären Lage, in der sich die CVP befindet. Zwar kann sie auf treue Anhänger in katholischen Hochburgen wie dem Oberwallis zählen, in reformierten Kantonen wie Zürich oder Bern ist sie hingegen irrelevant. Zudem bröckelt der Rückhalt in den Stammlanden seit Jahrzehnten. Im Kanton Luzern halbierte sich die Parteistärke seit 1979, mittlerweile steht die CVP bei 25.5 Prozent.
Politischer Gemischtwarenladen
Die Namenswahl sorgte parteiintern für intensive Diskussionen. «‹Die Mitte› ist keine Meisterleistung», sagt Luca Boog. Doch er könne gut damit leben. Auch die städtische Präsidentin Esther Unternährer-Hagmann war zunächst skeptisch. «Ich fragte mich, wofür ‹Die Mitte› stehen soll.» Inzwischen gefalle ihr der Name. «Der muss ja nicht gleich das Programm vorgeben.» Stadelmann wirft ein: «SVP ist auch ein nichtssagender Name.» Auch dieser ist durch eine Parteifusion entstanden. 1971 schlossen sich die Bauern-, Gewerbe,- und Bürgerpartei und die Demokratische Partei zum Flaggschiff der Rechten zusammen. Dieses konnte darauf der CVP in einigen Regionen der Schweiz den Rang abgelaufen. Weniger wegen des Namenswechsels – sondern, weil das Parteiprogramm nach rechts rückte.
«Böse gesagt, geht es dem Schweizer Mittelstand vielleicht zu gut.»
Luca Boog, Präsident JCVP Kanton Luzern
Über eine politische Neuausrichtung scheint man sich bei der CVP jedoch keine Gedanken zu machen. «Wir haben bereits die richtigen Themen», sagt Luca Boog. Die Mitte solle weiter auf Familienpolitik setzen. So befürwortet er beispielsweise die Abschaffung des steuerlichen Nachteils für verheiratete Paare, bekannt als «Heiratsstrafe». Gleichzeitig lässt er jedoch Zweifel aufkommen, ob damit tatsächlich der Wähleranteil erhöht werden kann. «Das Thema weckt keine starken Reaktionen», sagt der Jungpolitiker. «Böse gesagt, geht es dem Schweizer Mittelstand vielleicht zu gut, um eine lösungsorientierte Mittepolitik zu wählen.»
Esther Unternährer-Hagmann konnte sich zunächst mit dem neuen Parteinamen nicht anfreunden. Bild: zvg
Unternährer-Hagmann sagt, die CVP vereine das Beste aus allen grossen Parteien. «Wir sind ein bisschen grün, ein bisschen sozial, ein bisschen liberal, ein bisschen heimatverliebt.» Also ein bisschen von allem: Kann das ein Erfolgsrezept sein? «‹Die Mitte› muss sich klar zu anderen Parteien abgrenzen», sagt Politologe Longchamp. Dabei dürfe sie sich nicht an den Polen ausrichten: «Die zentralen Referenzen sind GLP, EVP und FDP.» Darum müsse «Die Mitte» auf Themenarbeit setzen. Die Partei brauche «eigene Projekte in zentralen Fragen wie Finanzen, Wirtschaft, Soziales, Gesellschaft und Umwelt.»
Eine Glaubensfrage
Die von Unternährer-Hagmann hervorgehobene Diversität der CVP lässt viel Raum für Differenzen zu. In vielen politischen Fragen ist sich die Partei uneinig. Dies sieht Parteikollege Stadelmann jedoch als Markenzeichen. «Die Mitte» sei nicht gespalten, sondern offen. Nicht konform, sondern kompromissbereit. «Das ist keine Wischiwaschi-Politik – sondern eine entscheidende Stärke.»
Diese Heterogenität der «Mitte» dürfte sich noch weiter ausprägen. Wächst die Partei, wird sie vielfältiger: reformierter, urbaner, welscher. Was soll da noch für Zusammenhalt sorgen? «Der Glauben ans Miteinander», sagt Stadelmann.
Ramon Juchli stammt aus dem Luzerner Hinterland, studiert Politikwissenschaften und arbeitet bei Radio 3fach. Kultz.ch hält er für das wahnwitzigste Kulturprojekt seit der Salle Modulable. Nur mit grösseren Erfolgschancen.