Im Schrebergarten
Ungebetene Übernachtungsgäste, Gift in allen Ecken und Regeln ohne Ende: Wie realitätsnahe sind gängige Schrebergarten-Klischees? Wir haben uns im Luzerner Friedental umgesehen.
Claude Hagen — 05/10/21, 12:09 PM
Sieht doch eigentlich ganz idyllisch aus. (alle Bilder: Claude Hagen)
Es ist früher Morgen. Die Schweizer Fahne wird gehisst und flattert stolz im Wind. Tiefe Gräben werden ausgehoben – alles
steht in Reih’ und Glied. Was nach einer romantisierten Armeeeinsatz-Szenerie klingt, beschreibt vielmehr die bünzligste Form der Landwirtschaft: Schrebergärten.
Trotzdem habe ich mir vor rund vier Jahren mein eigenes Stück Garten im Friedental-Areal in Luzern zugetan. Nach ein paar Jahren Stadtleben fehlte mir als Seetaler die Natur immer öfters.
Noch immer gilt der Schrebergarten als Sinnbild für Schweizerische Kleinbürgerlichkeit. Auch heute noch ranken sich viele Vorurteile rund um die Hobbygärten und deren Besitzer*innen – und halten sich oft hartnäckig. Fünf fest verwurzelte Beispiele:
Zentimetergenau sind die Kulturen angeordnet. Der Rasen hübsch gemäht, die Blätter weggefegt. Schrebergärten sind ein Ort der gutschweizerischen Ordnungswut. Hier gelten strenge Gesetze, die in einem 22-seitigen Manifest festgehalten werden: Der Familiengartenverordnung, kurz FGVo.
Darin wird das Hobby an der frischen Luft klar bürokratisiert. Zum Beispiel durch Sätze wie dieser: «Neugepflanzte Obstbäume müssen einen Mindestabstand von 2,5 Metern zur Parzellengrenze haben. Bäume, die kleiner als 3 Meter gehalten werden, dürfen 1,5 Meter bis zur Grenze gepflanzt werden.»
Doch dem nicht genug. Die FGVo hat auch klare Ansichten darüber wie das Gartenhaus gestrichen werden darf. Nämlich nur in grauem, braunem oder rotem Farbton. Dachvorsprünge haben kürzer als 50 Zentimeter zu sein. Teiche, die tiefer sind als 60 Zentimeter, verstossen gegen die Regeln. Die Haltung von Bienen ist nicht erlaubt. Wer der Kreativität freien Lauf lassen möchte, ist hier definitiv fehl am Platz.
Bis vor einem Jahr standen hier drei Flaschen Glyphosat zum freien Gebrauch vor dem Gemeinschaftsschuppen. Das, obwohl der Einsatz von synthetisch-chemischen Dünger laut FGVo verboten ist. Immerhin wurden diese entfernt, nachdem ich den Areal-Vorstand darauf aufmerksam machte. Zur Information: Glyphosat ist ein Totalherbizid. Es tötet grundsätzlich alles ab, was nicht entsprechend gentechnisch verändert wurde.
Es wird sogar noch toxischer: In zahlreichen Schrebergärten wurden früher mit giftigem Teeröl behandelte Bahnschwellen der SBB verbaut. Obwohl bei einer «Räumungsaktion» zu Beginn des neuen Jahrtausends die Schwellen hätten beseitigt werden sollen, sind in meinem Schrebergartenhäuschen noch immer solche drin. Ausbauen geht leider nicht so leicht, da sie einen Teil des Gartenhauses stützen. Ach ja, und in den porösen Dachziegeln, die demnächst ersetzt werden müssen, ist Asbest drin.
Kaum ein Klischee über Schrebergärten erhält so viel mediale Aufmerksamkeit wie dieses. Gefühlt in jeder vierten Tatort-Folge übernachtet ein Obdachloser in einem Schrebergartenhäuschen. Manchmal mit fatalen Folgen. Doch wie sieht es in der Realität aus?
Bei mir im Unterstand hat tatsächlich schon einmal jemand übernachtet. Eines Tages waren da mehrere fremde Decken sowie eine mir ein paar Nummern zu kleine Hosen aufzufinden. Ich liess gewähren, doch nach ein paar Übernachtungen war die Person wohl unzufrieden mit dem eher dürftigen Komfort und verliess den Schlafplatz.
Die Voraussetzungen für einen heimlichen Schlafplatz sind jedoch nicht schlecht. In den Schrebergärten darf gemäss Reglement nämlich nicht übernachtet werden. Dadurch sind die Gärten nachts leer und unbewacht. Beste Grundlage also, um sich einzuschleichen. Die Häuschen bieten einen trockenen Unterschlupf und Trinkwasser ist – ausser im Winter – ebenfalls verfügbar. Optimale Bedingungen also für eine Übernachtung im ½-Stern-Gartenhäuschen-Hotel, das je nach Jahreszeit sogar Halbpension bietet.
Flaggen verschiedenster Länder prägen schon von Weitem das Bild der Schrebergärten. Für westliche Ohren ungewohnte Musik dröhnt aus Lautsprechern und die aufgeregten Diskussionen entziehen sich der hiesigen Muttersprache. Die ausgeprägte Gastfreundschaft und Freundlichkeit lassen einen vermuten, dass hier nicht nur Herr und Frau Schweizer gärtnern. Immer wieder habe ich erlebt, wie insbesondere diese Personen mir Gemüse und Früchte aus ihrem Garten anbieten. Was es hat, wird geteilt.
Allerdings sind Missverständnisse durch die Sprachbarriere vorprogrammiert. So hatte mein portugiesischer Nachbar einen Sommer lang immer wieder Zucchetti bei meinem Häuschen deponiert. Dies, obwohl ich ihm einmal sagte, dass ich diese Dinger nicht mag und dankend ablehnte. Wer schon einmal Zucchetti aufgezogen hat, weiss, wie viele davon an einer Pflanze wachsen. Es sind verdammt viele.
Bereits ab Mitte des 19. Jahrhunderts tauchte der Begriff Schrebergarten auf. Damals wurden die Gärten hauptsächlich von Schweizer*innen bewirtschaftet. Die verschiedenen Areale, von denen es auch mehrere in der Stadt Luzern gibt, wurden allmählich als Vereine organisiert und 1925 schliesslich der Schweizerische Dachverband gegründet. Zum Schweizer Familiengärtner-Verband gehören heute rund 24’500 Vereinsmitglieder*innen, welche eine Gesamtfläche von rund 900 Fussballfeldern bewirtschaften. |
Einen Schrebergarten zu ergattern kann schwierig sein. Es braucht vor allem zwei Dinge: Glück und Geduld. Einerseits gibt es nicht so viele Parzellen wie Leute, die gärtnern wollen. Und andererseits bleiben jene, die einen Schrebergarten haben, gefühlt ein Leben lang ihrem Gärtchen treu.
Hierbei lohnt sich der Blick in analoge Inseratehefte – wie beispielsweise der Barni-Post. Mein Garten war damals dort ausgeschrieben. Bekommen habe ich diesen vermutlich, weil er in schlechtem Zustand war und weil das Gartenhäuschen zu teuer weiterverkauft wurde. Laut FGVo beides Regelverstösse. Denn Gartenhäuschen dürfen maximal für 5000 Franken verkauft werden und der Garten muss in ordentlicher Verfassung übergeben werden. Beides war mir damals natürlich nicht bewusst.