Sponti Trash Fest
Irgendwo zwischen Punk und 2000er-Kitsch: Aus kulturellen Abfallprodukten hat sich längst eine eigene Subkultur geformt. Unsere Autorin hat das Sponti Trash Fest in Willisau besucht, um herauszufinden, wieso Müll so faszinierend ist.
Lisa Kwasny — 07/11/22, 08:59 AM
Am Sponti Trash Fest in Willisau gab es einige schillernde Persönlichkeiten zu betrachten. (Foto: Maximilian Preisig)
Als ich am Bahnhof Willisau aus dem Zug steige und den Bahnsteig entlang gehe, höre ich aus der Ferne einen Lärm, der meine Aufmerksamkeit auf sich zieht. Um die Kurve rast ein roter Sportwagen, Cabriolet. Darin sitzt ein älterer Mann mit Mütze und hört in voller Lautstärke Ländler. Die Situation passt, denn ich bin auf dem Weg zum Sponti Trash Fest. Dort will ich eine Antwort auf die Frage finden: Was ist denn überhaupt dieser Trash, von dem alle reden?
Seit einiger Zeit lässt sich im deutschsprachigen Raum das Wachstum einer neuen Szene beobachten. Sie bezeichnet sich selbst als «Trash», also als Müll. Der Style dieser Szene schwankt zwischen Punk und 2000er-Kitsch. Viel Glitzer und knallige Farben werden mit Adidas Traineranzügen und Vokuhila kombiniert.
Das ganze Band der Populärkultur ist abgedeckt, auch musikalisch. Die Hits der 2000er feiern schon länger ihr Comeback, doch in der Trash-Kultur werden sie auch gerne mit schlechten Technobeats oder Rap gemischt. Alles soll möglichst schräg und auf jeden Fall lustig sein.
Jodok Achermann ist Mitorganisator des Sponti Trash Fests. (Foto: Lisa Kwasny)
Die Idee für ein Sponti Trash Fest entstand vor fünf Jahren innerhalb einer Gruppe, die ihren Ursprung im Dunstkreis des Jugendtheaters Willisau hat. «Wir wollten eine Alternative zu ‘Sport Rock’-Bar und Fasnacht bieten und haben deshalb einen Verein gegründet», erzählt Jodok Achermann, Mitorganisator des Sponti Trash Fests. Sie nannten ihn «Aktion Kultur Willisau» (AKW) und führten, nebst anderen Veranstaltungen, vor drei Jahren das erste Sponti Trash Fest durch.
Da das Ganze den Covid-Massnahmen entsprechend möglichst spontan und unkompliziert werden sollte, gab es Dosenbier und ein paar Gigs. Mittlerweile ist die Organisation etwas aufwendiger und neben einer Bar und zwei Bühnen, Toi Tois und Pizzaofen gab es drei Tage lang ein Programm mit nationalen und internationalen Künstler*innen.
Das offizielle Fest-Plakat gibt einen gutes Bild, wo der Anlass ästhetisch zu verordnen ist. (Foto: Lisa Kwasny)
Lena, Mitorganisatorin des Fests, beschreibt die Arbeitsweise des Vereins als «kultiviertes Dilettantentum». Sie meint damit, dass die meisten Vereinsmitglieder Aufgaben übernehmen, in welchen sie nicht viel Erfahrung haben. Booking, Deko und Aufbau sind deshalb alle ein wenig dilettantisch. Die aktuelle Ausgabe findet Lena schon zu professionell. Viele Vereinsmitglieder teilen diese Ansicht. Sie wollen beim nächsten Mal lieber wieder etwas trashier und spontaner werden.
Keine Augenweide und dennoch heimelig: Das Zeughaus in Willisau. (Foto: Maximilian Preisig)
Das Zeughaus in Willisau, wo das Sponti Trash Fest stattfindet, ist kein ästhetischer Ort. Mitten auf dem Land liegt das grosse Betongebäude, das verschiedenen kulturellen Anlässen als Veranstaltungsraum dient. Auf dem Parkplatz hinter dem Haus ist eine Bühne aufgebaut, verschiedene zufällig zusammengewürfelte Möbelstücke aus dem Brockenhaus dienen als Sitzgelegenheit. Am Rand des Platzes steht eine Skulptur aus übereinandergestapelten Einkaufswagen. Trotzdem ist es heimelig auf diesem Parkplatz. Lena findet genau diese «Resilienz gegen Schönheit» super. Erst dadurch könne Magie entstehen.
Kunst aus Einkaufswagen. (Foto: Maximilian Preisig)
Auf der Suche nach Antworten setze ich mich an einen Tisch, an dem gerade Gemüse für die Pizza am Abend geschnippelt wird. Ich stelle meine Frage: «Was ist Trash?» und entfache damit eine kleine Debatte. «Mut zum Scheitern», sagt Oskar Kokosnuss, Mitbegründer der Band «Only for the Sexy People». «Es ist wichtig, dass ich gerade so viel vorbereite, dass mir wohl ist auf der Bühne, aber dass ich trotzdem Scheitern kann.»
Der Vorteil vom Scheitern sei, dass dadurch Spielraum geöffnet werden könne, wodurch engere Konventionen aufgebrochen würden. Trash biete viel Raum für Neues, weil es alles Mögliche aufgreifen und rezipieren kann.
Beim Gemüseschneiden lässt es sich sehr gut über Trash reden. (Foto: Maximilian Preisig)
Es gibt Trash Künstler*innen, die in Rüschenkleidern auf der Bühne stehen oder eine Show bieten, bei der man nicht weiss, ob es erst der Soundcheck oder schon das Konzert ist. Oskar empfindet Trash deshalb als «andere Welt, in der du auch gut bist, wenn du nicht perfekt bist».
«Der Kapitalismus produziert einen Haufen Müll, der nicht gebraucht werden kann.»
Vorbeigehende Person am Sponti Trash Festival
Damit scheint die Trash-Szene direkt auf den Zwang zum Perfektionismus zu reagieren, der in unserer Gesellschaft so prägend ist. Und auch sonst trägt die Trash-Szene gesellschaftskritische Elemente. «Der Kapitalismus produziert einen Haufen Müll, der nicht gebraucht werden kann. Dieser Müll wird in der Trash-Szene verwendet, um daraus etwas Neues zu schaffen», sagt eine vorbeigehende Person, die zufällig in unser Gespräch einbezogen wird.
Geil, weil hässlich
Während wir am Tisch sitzen und Gemüse schneiden, kommt eine Gruppe Menschen aufgeregt auf uns zu. Eine von ihnen hat gerade einen Gutschein für eine lokale Pizzeria gewonnen. Auf dem Gutschein ist eine kitschige Rose abgebildet.
Mittlerweile ist am Tisch eine rege Diskussion über die Trash-Szene entstanden. Die Meinungen dazu gehen teilweise auch auseinander. Jodok findet Trash sehr zugänglich und einfach. Lena widerspricht dem. Sie weist auf den Gutschein hin, welcher die eine Person vorher am Tisch gezeigt hat. «Meine Mutter fände das einen schönen Gutschein. Ich finde den Gutschein geil, weil er mega hässlich und lustig ist. Er ist für mich trashig.» Beim Trash würde auf einen Stil referiert, welcher für einige Menschen sehr ernst gemeint ist. Durch Humor würde aber eine Distanz dazu geschaffen, er wird ins Lächerliche gezogen und kritisiert.
Nackte Haut und Käsekuchen: Die Performance von «Rotes Ritual». (Foto: Maximilian Preisig)
Wir unterbrechen unser Gespräch, weil auf dem Platz die Performance «Rotes Ritual» beginnt. Die Performance endet damit, dass die Künstler*innen mit einem Löffel stückchenweise Käsekuchen abschneiden und den Zuschauenden in die Hand legen. Danach suche ich Jonas Albrecht, der mir ebenfalls ein Interview versprochen hat. Der Musiker bezeichnet sich zwar nicht als Trash-Künstler, kennt die Szene aber durch seine Tätigkeit als Mitorganisator verschiedener Performances und Events.
Jonas Albrecht sieht Trash als kurzlebige Angelegenheit. (Foto: Lisa Kwasny)
«Wenn ich an einem Trash-Fest in vollem Ernst einen Anzug trage, weil ich gerade aus dem Büro kam, kann das Trash sein?», frage ich ihn. Er nickt: «Ja sicher. Der Titel ist da. Alles, was an einem Trash Fest passiert, ist Trash.» «Dann ist es nur der Name? Kann man alles, was man tut, als Trash betiteln? Könnte ich bei Nestlé CEO sein und sagen, das ist Trash?» Jonas lacht: «Das würde bedeuten, dass du deinen Job auf eine interessante Art reflektieren würdest. Diese Reflexion muss aber passieren, sonst ist es schlecht. Wenn eine Füdliband von irgendwo versucht, mit dem neuesten Pop-Scheiss in die Hitparade zu kommen, wäre ihre einzige Rettung zu sagen, dass sie Trash machen. Wenn sie sich ernst nehmen, ist es übel.»
Ich denke an das Schlagerlied, das hier auf dem WC in Dauerschleife läuft. Der Refrain läuft mir noch Tage später nach: «Du weisst, ich liebe das Leben. Das Karussell wird sich weiterdrehen, auch wenn wir auseinander gehen.». Die Sängerin dieses Songs meint den Text wahrscheinlich ernst und ich höre normalerweise nicht freiwillig Schlager. Aber weil es am Sponti-Trash im WC in Dauerschleife läuft, ist es witzig. «Hat Trash dann auch moralische Grenzen?», frage ich Jonas. «Ja, Trash beinhaltet Humor. Dieser ist kunstvoll und braucht Reflexion. Es gibt demnach auch schlechten Trash. Guter Trash macht sich über sich selbst lustig.»
Glitzriger Nagellack ist am Sponti Trash Fest keine Seltenheit. (Foto: Maximilian Preisig)
Nach all den Gesprächen frage ich mich trotzdem, ob Trash überhaupt bestimmt werden kann. Was Trash ist und was nicht, ist schlussendlich von vielen internen sozialen Referenzen abhängig. Die Essenz von Trash ist nicht festzuhalten und sehr fluide. Das findet auch Jonas Albrecht: «Trash ist sehr kurzlebig. Es ist sehr schwierig, langlebig und vertieft Trash zu machen, denn Trash bedeutet auch, immer wieder von vorne zu beginnen.»