Anonyme Drogendialoge
Ist Acid das neue Koks? Oder doch lieber selbst Pilze ziehen? Luzernerinnen erzählen, wie die Pandemie ihren Drogenkonsum verändert hat.
04/12/21, 08:11 AM
In Luzern sind Drogen während Corona nicht verschwunden. Aber die Art des Konsums hat sich verändert. Foto: David Clode/Unsplash
Der Mensch sehnt sich nach Rauscherfahrungen. In Pandemiezeiten umso mehr? «Nicht unbedingt», sagen die einen. «Was wäre das Leben ohne Momente der Verzückung», die anderen. Die folgenden Dialoge zeigen, wie Leute trotz veränderten Räumen konsumieren und versuchen Party zu machen.
Unsere Autorin und ihre Gesprächspartnerinnen wollen anonym bleiben. Sie treten im Text unter geändertem Namen auf.
Beim Spazieren – Die Pointe der Berauschung
Mit Johanna, 31, Elektrikerin, auf Partys trifft man sie eher in der Küche als auf der Tanzfläche.
Kokain scheint bei vielen Kosument*innen von Acid abelöst geworden zu sein. Foto: Alexander Krivitskiy/Unsplash
«Und wie hast du es mit Coci in der Corona-Zeit?»
«Am Anfang waren wir alle drüber. Hatten ja frei die ganze Zeit. Wer lange in Kurzarbeit ist, braucht viel Prosecco. Und der Alkohol öffnet Türen und Tüten. Einmal mussten wir alle in Quarantäne. Oh Mann, war das kaputt. Aber auch geil. Wasteless, sag ich dir. Die Ränder um unsere Augen wurden immer dunkler, die Linien immer länger. In letzter Zeit ist es weniger geworden. Ausser an Silvester. Oder Ostern. Da sind wir nochmals so richtig durchgeknallt. Jetzt machen alle mal Pause. Erstaunlich, dass wir das so durchziehen. Also nichts hochziehen. Kommt bestimmt zurück.»
«Und wird wieder wie in der grauen Vorzeit?»
«Wahrscheinlich. Aber Acid ist sowieso das neue Koks.»
«Echt jetzt?»
«Ja voll. Vor allem wenn so ein LSD-Spray die Runde macht.»
«Microdosing?»
«An Mias Geburtstag konnte man nicht von einer Minidosis sprechen. War strange. Komische Leute. Oberflächlich. Wir waren alle in dieser kleinen Wohnung und haben was genommen. Ich bin rumgetigert. Es war abartig: Diese Neohippies mit ihren Bindis und Blingbling auf Acid. Diese Fratzen, diese Augen. Und dann gab es Streit zwischen Kim und Max. Sie hat ihm voll die Szene gemacht und rumgeheult. Ich mein: Auf Acid?!»
«Wieso tut sie das? Für mich ist das keine Partydroge.»
«Mia sieht das anders. Sie nimmt es nur im Club. Oder eben mit Leuten an einer WG-Party. Sonst hat sie Angst.»
«Wovor?»
«Vielleicht vor ihren Gefühlen.»
«Für mich ist Acid die heftigste Droge und auch immer eine Innenschau.»
«Im besten Fall: Verbundenheit.»
«Alles auf Acid ist schön, nur die Menschen nicht. Sie sind kleine verquirlte Hobbits.»
«Für LSD brauch ich Natur. Muss raus aus der Stadt, wo keine Leute sind.»
«Letztens habe ich mit Frank zum Trippen abgemacht. Früh morgens sind wir losgezogen und durch den Gütschwald gewundert.»
«Apropos: Eigentlich geht’s bei Drogen ja nur darum, den vorderen Teil des Gehirns auszuschalten. Den präfrontalen Kortex. Dann ist die Vernunft weg.»
«Und die Kreativität da?»
«Vielleicht. Aber nicht unbedingt.»
«Kenn ich: Gestern nach drei Gläsern Wein hatte ich einen Schreibfluss. Ich bin brillant, dachte ich. Heute Morgen nach drei Tassen Kaffee wars dann nicht mehr so berauschend.»
«Echt jetzt? Also ich nehme gar keinen Stift in die Hand, bis da kein Glas Wein steht.»
Alkohol und Opioide liegen im Trend Achtung, die meisten Drogen sind illegal, gesundheitsschädigend oder gar tödlich. Aber Luzern nimmt sie trotzdem. Aktuell gibt es keine Zahlen, wie sich der Konsum in den letzten Monaten entwickelt hat. Liefern könnten diese einst unter anderem das Drug-Checking Luzern (DILU). Beim DILU kann man gratis illegale Drogen testen lassen. Auch während der Pandemie wurde der Service jeden zweiten Montagabend angeboten. «Das Angebot wurde rege genutzt», sagt Olivia Allemann vom Verein Kirchliche Gassenarbeit. Da das DILU aber erst seit September 2020 geöffnet ist, kann kein Vergleich zu vor der Pandemie gezogen werden. Die weltweit grösste Drogenumfrage zeigt: In Zeiten von Corona trinken die Menschen mehr. Sie konsumieren häufiger Drogen wie Gras, Benzos und Opioide. Drogen wie MDMA und Kokain werden seltener konsumiert. |
Am Geburtstag – Rauschinduzierende Achtsamkeit
Petra, 35, Unternehmerin, ist jetzt auch vegan.
An manchen Tagen nicht kiffen? Für manche Menschen schwieriger gesagt, als getan. Foto: Wesley Gibbs/Unsplash
«Und von wo kennst du Laura?»
«Von den Ayahuasca-Zeremonien.»
«Warst du an einer mit Mika?»
«Genau. Bald kommt er wieder aus Equador.»
«Trotz Corona?»
«Ja, er versucht, eine kleine Europatournee zu machen. Kommst du auch? Ein Wochenende mit Schwitzhütte in Oberlupfigen. Ich schick dir die Infos.»
«Gerne. Nina möchte jetzt auch Kakaozeremonien veranstalten.»
«Nice. Ich war letztens auch an einer. Weiss zwar nicht, ob das, was ich gemerkt hab Placebo war. Doch die Musik ging voll rein. Gemeinschaft, Gesang – eine schöne kollektive Erfahrung. Mich anders erleben mit anderen. Achtsam. Keine Eskalation. Eher sanfte Medizin.»
«Und wie geht’s deinen Pilzen?»
«Sarah ist jetzt die Pilzli-Mama. Sie passt auf meine Babys auf.»
«Habe mir das auch schon überlegt.»
«Meine sind aus Amsterdam. Ziehe sie in so einer Plastik-Box. Sie mögen es feucht und warm. Doch es ist gar nicht so einfach. Pilze sind Divas. Noch besser wäre es ja, sie im Freien zu ziehen.»
«Ein Pilzlibeet.»
«Oder finden.»
«Ja wobei, das kann auch gefährlich sein.»
«Ich dreh mir eine.»
«Hast du was zu knüsperlen?»
«Äh… nein?»
«Willst du?»
«Ja also eigentlich kiffe ich nur noch am Wochenende. Also Freitag, Samstag, Sonntag. Manchmal auch Montag. Oder Donnerstag.»
«Heute ist Dienstag.»
«Wieso nicht.»
«Ist doch super. Es ist schwierig Muster zu brechen. Vor allem wenn dein Umfeld nichts ändert. Ich habe gehört, wenn du weniger trinken willst, solltest du es so machen: Einmal in der Woche keinen Alkohol trinken. Einmal im Monat eine Woche nicht trinken. Und einmal im Jahr einen Monat nicht trinken.»
«Das wäre gut. Der Monat ist bestimmt schwierig.»
«Ich habe gerade eine Woche fasten hinter mir. Das war auch ein Rausch. Als ich zum ersten Mal wieder in einen Apfel gebissen habe, musste ich weinen.»
Fragen zum Thema Sucht?
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Am See – Kaputtheit spielt keine Rolle
Anja, 28, Design- und Kunst-Studentin mit einer Schwäche für musikalische Problemfälle.
Auch Medikamente machen süchtig. Foto: Hal Gatewood
«Karl hat mir erzählt, dass er Morphium-abhängig ist.»
«Oh, krass! Hast du das gewusst?»
«Es hat mich nicht erstaunt. Er hat viele komische Kollegen und ich wusste von seiner Drogenvergangenheit. Früher war er oft an Partys, hat alles probiert. Ich habe gemerkt, wie schwer es ihm gefallen ist, mir das zu erzählen. Jetzt verstehe ich all die Gestalten, die mir begegnet sind, seit ich ihn kenne. Und die Sache mit dem Briefkasten.»
«Wie kam es dazu?»
«Er arbeitet im Gartenbau und hat es mal bei Rückenschmerzen genommen.»
«Echt jetzt? Er hat damit gearbeitet?»
«Ja, Morphium ist eine mega starke Schmerztablette.»
«Ach soo … Ahaaa. Morphium! Ich dachte die ganz Zeit an Opium! Vor meinen Augen eine versumpfte Opiumhöhle in Thailand. Morphium, ah, gut, das geht ja noch. Oder?»
«Naja. Es macht ihn glücklich. Ohne wäre er viel depressiver. So kann er runterschlucken, was ihn traurig macht.»
«Hat er vor loszukommen?»
«Er kann nicht so einfach aufhören. Wenn er seine Dosis nicht nimmt, bekommt er Panikattacken, Schweissausbrüche. Ich habe auch schon gesehen, wie er anfängt zu zittern. Er sagt, es sei unerträglich.»
«Und wie ist das für dich?»
«Ich fühle mich nicht verantwortlich. Er will sich halt wegwünschen.»
«Konsum vereint, kann aber auch einsam machen.»
«Genau. Leiden ist auch ein Punkt. Und weil zu viel abhängig und süchtig macht, wird es ritualisiert: Feierabendjoints, clubben, Apéros. Das prägt unsere Gesellschaft, unser Zusammenleben, unsere Kultur.»
«Kulturrausch?»
«Rauschkultur!»
Apropos Rausch: In unserem Kühlschrank steht seit bald zwei Jahren ein kleines Konfiglas mit … drei Mal dürfen Sie raten… Acid. Einmal wurde es fast weggeputzt. Seit die Kleinkinder im Haus sind, ist es mit den Drogen kompliziert.