Landei versus Stadthuhn
Ausnahmsweise verbringt unsere Kolumnistin die Ferien nicht in einer Grossstadt, sondern am Ende der Welt. Das jedenfalls war der Plan.
Christine Weber — 08/30/21, 10:56 AM
Bescheidener Komfort, dafür sehr romantisch: Der aufklappbare Wohnwagen von Christine Weber.
Seit ich im hintersten Teil von Obwalden lebe, verbringe ich meine Ferien in grossen Städten. Nachholbedarf. Diesen Sommer ist es anders, das hat mit einer familiären Hochzeitsfeier zu tun, es geht in die bündnerische Pampa. Im Schlepptau mein Klappwohnwagen, der ein Anhänger ist und sich vor Ort zu einem kleinen Haus auffalten lässt. Modell 70er-Jahre, Komfort bescheiden, Romantik unübertreffbar.
Aufgefaltet wird das Häuschen auf einem kleinen Campingplatz in den Bergen direkt an einem naturbelassenen Baggersee. Das Gelände ist mit lustigen Grashügeln überzogen, beim angrenzenden Restaurant stehen Sträusschen mit Wiesenblumen auf den Holztischen, und sogar die Sonne scheint ausnahmsweise in diesem verregneten Sommer. Kurz und gut: Lauschiger könnte es nicht sein, eine solche Idylle gibt es ansonsten höchstens bei mir daheim in der Pampa.
Am Mittwoch stehen nur drei Zelte verstreut herum, eine junge Familie ist beim Picknick und wir kommen ins Gespräch. Nach einiger Lobhudelei über den charmanten Ort, erzählen sie, dass sie oft hierher kämen - obschon sie selbst an einem mindestens so schönen Ort ganz in der Nähe lebten, gerade mal zwanzig Minuten sei es mit dem Auto. Auch bei ihnen gebe es einen kleinen See, sei die Landschaft wunderschön und die Idylle direkt vor der Haustür. Unterdessen würden sich dort jedoch so viele Ausflüglerinnen und Touristen tummeln, dass sie unter der Woche lieber hierher kämen. Sozusagen von Pampa zu Pampa flüchten, denke ich und finde es schräg.
Ein paar Influencer-Leute hätten vor einiger Zeit den schönen Ort gepostet, seither nehme der Betrieb kontinuierlich an Fahrt auf.
Am Samstag ist die nette Familie nicht da. Dafür ganz viele andere. Auf einen Schlag ist das Camping proppenvoll, mein Klappwohnwagen umstellt von Sonnenschirmen und Picknick-Leuten, von Aperol-schlürfenden Frauen und sonnengebräunten Männern. Die Autos parken in einer langen Schlange der Strasse entlang, sie kommen aus Zürich und Sankt Gallen, aus Bern und dem Aargau. Am späteren Abend ist der Spuk vorbei, ich stehe wieder fast alleine da mit meinem Klappwohnwagen. Verwundert reibe ich mir die Augen, und werde dann vom Camping-Betreiber aufgeklärt: Ein paar Influencer-Leute hätten vor einiger Zeit den schönen Ort gepostet, seither nehme der Betrieb kontinuierlich an Fahrt auf, am Wochenende und in der Hochsaison sei der Platz ausgebucht und ich hätte einfach Glück gehabt, weil es jetzt in dieser Höhenlage schon kalt sei und die Leute nicht mehr übernachten wollen.
Am Sonntag klappe ich den Wagen zusammen, schlängle mich wie tausend andere über die Passstrasse der Zentralschweiz entgegen, schaue auf die unendlich lange Kolonne beim Gotthard und weiss, dass die alle auf der Suche nach einer idyllischen Pampa sind. Und dass sie früher oder später dank Instagram auch noch das letzte schöne Plätzchen finden werden. Prost Nägeli, das kann ja heiter werden.
Meine Freundin aus Luzern sagt dazu: Stell deinen Klappwohnwagen in Zukunft einfach in deiner eigenen Pampa statt in einer fremden auf, dann haben alle was davon.
Christine Weber hat sich nach über vier Jahrzehnten aus dem turbulenten Stadtleben verabschiedet und lebt seit einem Jahr dort, wo sich Fuchs und Hase gute Nacht sagen: Im hintersten Teil von Obwalden. In der Kolumne «Landei versus Stadthuhn» wirft sie einen (selbst)ironischen Blick auf die Klischees von urbanem Lifestyle und hinterwäldlerischer Verstocktheit. |