Wenn Millionäre Kunst machen
Der Skulpturenpark auf dem Gütsch will zu den «wichtigsten Kulturpunkten der Schweiz» gehören. Beim Besuch jedoch dominieren der moralische Zeigefinger und eine gewisse Ed-Hardy-Ästhetik.
Jana Avanzini — 04/06/21, 04:00 AM
Oh, der Tod. Nein, falsch. Es ist die «Umweltverschmutzung» auf ihrem bösen Pony.
Es pocht und blinkt. Es pocht und blinkt.
Mein Blick will sich in den schneebedeckten Hängen verlieren, im Nebel, der am Berg hinunterschleicht, in den lichtdurchfluteten Bäumen, die bald wieder in sattem Grün dastehen werden. Doch ein pulsierendes Etwas reisst meine Aufmerksamkeit an sich. Jeden Abend beginnt es von Neuem und zerrt an mir. Ein Alarm am Fusse des Pilatus.
Eine Skulptur soll es sein. Es ist das Herz.
Das Herzstück des Skulpturenparks beim Gütsch. Und es geht mir auf den Geist.
Man möchte rennen. Man ist daheim und möchte einfach nur rennen. Wegen dieser Kunst. Meinte Tharp das damit?
Dieses Herz oben beim Gütsch, es steht nicht alleine da. Auf der Wiese neben dem Schlössli pocht es, auf der früher eine kleine Buvette stand. Wo öffentliche Konzerte stattfanden. Ein Ort für alle mit ganz schön schicker Aussicht.
Doch dann hatte das Gütsch-Team eine bessere Idee. Mit «LA Collection’Air» wurde ein Skulpturenpark eröffnet mit nicht gerade bescheidenen Zielen. Der Park gehöre «zu einem der besten Sehenswürdigkeiten Luzerns. (…) Wir wünschen uns sehr, dass LA Collection’Air zu einem der wichtigsten Kulturpunkte der Schweiz wird. Der Art Park soll ein kleines Eigenheim für die Luzerner darstellen und für die Touristen ein schönes Ereignis sein.» [sic], heisst es auf der Webseite. Doch damit nicht genug. 2018 integrierte Gütsch-Besitzer Alexander Lebedev eine «weltbekannte» Skulpturenausstellung von Vasily Klyukin in seine LA Collection’Air, und nennt sie nun: «Art Panorama INFERNO».
Betreten gestattet
Statt Drinks bei Sonnenuntergang gibt es hier nun die 9 Kreise der Hölle mit 24 Skulpturen, die für die menschlichen Sünden stehen – mit Audio-Guide in 11 Sprachen. Der Eintritt kostet 9 Franken. Das können wir uns leisten. Dieses Herz nur ständig aus der Ferne anzumotzen hingegen nicht mehr. Also ab in den Skulpturenpark. Über diesen wurde übrigens bisher kaum geschrieben, abgesehen davon, als das Herz 2020 von Vandalen heimgesucht wurde.
Der Besuch jedoch gestaltet sich anspruchsvoller als gedacht. Erstmal nicht inhaltlich, sondern physisch: Der Ticketautomat will nicht, die App bleibt nach der Bezahlung stecken, das Drehkreuz blinkt rot über dem Videoüberwachungs-Schild. Wer also nicht unbedingt Haus– oder Landfriedensbruch begehen möchte, wendet sich nach 15 Minuten hin und her per Telefon an den Gütsch. Dort wird einem das Vorbeiquetschen am Drehkreuz erlaubt. Endlich drin.
Poesie von Müll
Im Audio-Guide wird erklärt – es geht hier um die Hölle. Um unsere Sünden und Laster. Doch offensichtlich blieb die künstlerische Auseinandersetzung hier stecken: «Laster und Sünden. Was passt dazu? Skelett, Sensenmann und Höllen-Monstern aus Metallscheiben – dazu Metall-Ketten.» Dazwischen stehen ein paar alte Kanonen rum und eine verbrannte Bank. Diese Kreativität ist kaum auszuhalten. Welch neuer Ansatz. Welten unterschiedlichster Assoziationen tun sich auf! Nicht.
Ausser vielleicht zu Ed Hardy oder einem Gothic-Deko-Laden. Was zum Disney-Schlösschen Gütsch jetzt nur mässig passend scheint.
Dicke Eisenketten, Schwerter und Skelette. Hmmm.
Der Künstler habe mit diesen Monster-Metalldingern eine Art Echo zu Dante Alighieris berühmten Gedicht «Die Göttliche Komödie des frühen 14. Jahrhunderts» [sic] geschaffen. Deshalb werde Alighieri uns führen – im selbsternannt «poetischen» Audio-Guide.
Vor dem Herz, das aus der Nähe eigentlich recht hübsch aussieht und vor dem übrigens sogar Paris Hilton schon gestanden haben soll, beginnt das Hör-Trauerspiel. Und es hält die ersten sechs Stationen lang den moralischen Zeigefinger hoch. Die Rede ist dabei von Recycling.
Und tun kannst du eine ganze Menge
Wart‘ nicht auf andere, geh voran
mit gutem Beispiel, sag: Ich trenne.
Poesie auf ihrem Höhepunkt. Könnte man meinen. Dann geht es damit weiter, dass die Erde unter Überbevölkerung leidet. Und noch etwas zum Thema Müll. Es folgt die bahnbrechende Enthüllung, dass Menschen die Erde zerstören, vor allem mit … Müll natürlich. Und mit digitalem Krieg. Ach, und vergesst die Umweltverschmutzung nicht – also den Müll. Ein paar Reime von Goethe und Shakespeare runden das Erlebnis ab.
Die Moral von der Geschicht
Wir sehen neben Metall-Monstern mit den klingenden Namen «Selbstmord», «Simonist» oder «Umweltverschmutzung» auch eine Reihe von Bösewichten in Plumpsklo-Kerkern: Lenin, Stalin, Al Capone. Hitler, Escobar und Jack the Ripper. Mit Dante Alighieri hat das Meiste hier herzlich wenig zu tun. Und dem grössten Teil der Figuren geht sowohl inhaltlich, als auch in der Form die Dynamik ab. Doch um fair zu sein, muss man sagen, dass die Aussicht richtig gut ist.
«Unsere Ohren sind vom Klimpern des Geldes taub» – moralisiert der Audio-Guide vor sich hin. Und das in einem Kunstpark, für den der Oligarch und Multimilliardär Alexander Lebedev gruselige Metallfiguren des ehemaligen Bankiers und Milliardärs Vasily Klyukin ankaufte. Und dafür aus einem öffentlichen Park einen mit Eintritt machte. Die Ironie dahinter ist offenbar unbemerkt geblieben.
«Gier» – ein Dicker beim Essen. Ist zwar billig, aber trotzdem die einzige Figur, die hier etwas hermacht.