Sprayer mit Haltung
Graffitikünstler Adrian Gander sorgt mit einem bemalten Flugzeugflügel in Ennetbürgen für gespaltene Reaktionen. Ein Gespräch über die Scheinheiligkeit der Schweiz, den unterschätzten Wert bemalter Wände und ungewöhnliche Angebote der Polizei.
Tina Inderbitzin — 08/15/21, 09:18 PM
Adrian Gander in seinem Atelier. Foto: Jana Avanzini
Adrian Gander polarisiert und provoziert gern mit seiner Kunst. Dafür steht er sogar mit seinem Künstlernamen. Anoy bezieht sich auf verärgerte Reaktionen auf die Werke des Buochser Graffitikünstlers. Auch eine seiner neuesten Arbeiten gibt zu reden. Dabei handelt es sich um einen bemalten Flugzeugflügel im Ennetbürger Skulpturenpark nahe dem Bouchser Flugplatz. Wir haben den 30-jährigen Künstler zum Gespräch getroffen.
Kriegerisches Chaos: Die eine Seite von Ganders Flugzeugflügel im Skulpturenpark Ennetbürgen. Foto: zvg
Adrian, auf dem Flugzeugflügel stehen sich Natur und Kultur gegenüber. Die Natur zeigst du idyllisch. Auf der Kulturseite lassen sich Explosionen und unkontrollierbares Chaos erahnen. Ist die Kultur also etwas Destruktives?
Diese Flügelseite macht augenscheinlich, wie die Welt ist. Es werden Flugzeuge gebaut, die ganz neutral im Luftverkehr eingesetzt werden, aber auch umgerüstet werden können, um damit Krieg zu führen. Es gab da vor einiger Zeit ein Verfahren, bei dem es darum ging, die Support-Aufträge der Pilatus Flugzeugwerke an Saudi-Arabien und andere Länder zu stoppen, weil diese in den Jemen-Konflikt involviert waren. Deren Lobby ist aber sehr stark – natürlich ist das Werk auch der grösste Arbeitgeber des Kantons.
Siehst du dein Werk also als Kritik an der Politik?
Ja, aber es war nicht als Angriff auf die Politik gedacht. Ich wollte eher meine eigene Meinung auf visuelle Art und Weise zum Ausdruck bringen. Die Intention ist, dass ich Krieg universal verurteile. Es sollte andere Wege geben, Konflikte zu lösen. Warum Konflikte mit Krieg gelöst werden sollen, verstehe ich nicht. Das weiss jeder, dass es davon noch schlimmer wird. Dahinter stehen rein wirtschaftliche Interessen der Kriegs- und Rüstungsindustrie. Die Schweiz spielt dabei alles andere als eine neutrale Rolle. Sie ist sehr scheinheilig.
«Einige Betrachter waren über das Werk schockiert.»
Ihre Weste ist also nicht so weiss, wie das oft behauptet wird?
Auf keinen Fall. Viel eher ist sie milliarden-tief-schwarz.
Was würdest du auf diese angeblich weisse Weste am liebsten draufmalen?
Wahrscheinlich einen Panzer, Geld und Goldbarren.
Ist dieser Flügel also als ethisches Mahnmal zu verstehen?
Ja! Er soll dazu da sein, dass die Gesellschaft ihre Ethik hinterfragt. Einige der Betrachter des Leitwerks haben die Bomben auf der bunten Seite des Flügels gesehen und gesagt: «Das wollen wir hier nicht.» Sie waren schockiert. Ich möchte damit aber nur sagen: Es gibt Krieg auf der Welt, und wir hier in der Schweiz sollten den Frieden schätzen.
Auf sein Werk hat Gander nicht nur positive Rückmeldungen erhalten. Foto: zvg
Der Flügel ist im Vergleich zu anderen Werken von dir sehr kleinflächig. Du bemalst auch Hausfassaden oder Industriehallen. Wie kommt es dazu?
Früher habe ich Leute angefragt, um an solche Flächen zu kommen. Heute versuche ich, Wände für die jüngere Generation zu legalisieren. Ich sitze in der Kulturkommission Buochs und gebe Inputs, damit hässliche Orte besprayt werden dürfen.
Wie viel Überzeugungsarbeit musst du dabei leisten?
In der Schweiz hat es die Graffiti-Kultur grundsätzlich nicht einfach. Alles muss dezent und unauffällig sein. In anderen Ländern kann man einfacher malen. Natürlich muss man Privateigentümer fragen, ob es ok ist. Im Libanon und in Südamerika ist es viel leichter, Flächen zu bekommen. In der Schweiz wird immer alles schnell zum Politikum.
«Graffiti lässt Betonwände optisch verschwinden und bricht Gebäude auf.»
Wie meinst du das?
Farbe alleine ist schon politisch. Sie reicht schon aus, um Leute vor den Kopf zu stossen. Schweizer haben am liebsten Rohbeton, weiss und grau. Für sie steht die Form im Vordergrund. Sie anerkennen die Aufwertung durch Farbe nicht. Graffiti lässt Betonwände optisch verschwinden und bricht Gebäude auf.
Die neuen Gebäude der Musikfakultät im Südpol in Luzern sind sehr grossflächig unbemalt. Ein potenzieller Auftrag für dich?
Wenn ich fragen würde, wäre es aussichtslos. Zudem kann man mit solchen Aufträgen schlechte Erfahrungen machen.
Wieso?
Erst vor einiger Zeit wurde ein sehr gutes, schützenswertes Graffito von Mirko Reisser alias Daim und Mate bei der ehemaligen Kunsthochschule in Luzern übermalt. Daim ist ein international anerkannter Künstler und hat wie Mate hier an der Kunsthochschule studiert. Aber das Gebäude wurde umfunktioniert, und deshalb hat das Bild wohl nicht mehr gepasst. Ich glaube nicht, dass dort der Wert des Graffitos erkannt wurde. Das Kunstwerk hat 24 Jahre überdauert und ist jetzt verloren. Das finde ich schade.
«Einmal hat mich die Polizei sogar angefragt, ob ich für sie eine Wand bemalen kann.»
Dein Künstlername Anoy spielt auf verärgerte Reaktionen auf die Graffiti-Kunst an. Nun bist du als Künstler anerkannt. Was hat sich dadurch geändert?
Es ist einfacher geworden. Es ist nicht mehr so wie früher. In der Gesellschaft hat ein Sichtwechsel stattgefunden. In gewissen Kreisen herrschen noch Vorurteile, aber es verändert sich stetig. Mittlerweile ist diese Art Kunst anerkannter. Früher gab es oft Konflikte mit der Polizei. Aber da gab es auch versöhnliche Momente. Einmal hat mich die Polizei sogar angefragt, ob ich für sie eine Wand bemalen kann. Leider ist das Projekt noch nicht zustande gekommen.
Wie wird man eigentlich Graffiti-Artist? Hast du Kunst studiert?
Nein, ich habe Grafik Design studiert. Da geht es mehr um Raster und Typografie. Das hat mir sehr geholfen, zurechtzukommen: Gib dir dein eigenes Raster, dann kommst du besser im Leben zurecht. Das Studium war aber nicht immer einfach.
Was ist passiert?
Meine Studienleiterin war nicht gut auf mich zu sprechen. Sie wollte mich oft hinüber in die Kunst schieben. Ich wollte einfach ein Handwerk lernen. Später habe ich von jüngeren Studierenden erfahren, dass gewisse Arbeiten aus meinem Studium als Vorzeigebeispiele dienten. Wenn ich meine Kunst mache, lass ich mir von niemandem sagen, was ich machen soll.
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