Sprungfeder mit Altersleiden?
Seit über 20 Jahren treten Zentralschweizer Bands an der Sprungfeder gegeneinander an. Ist das noch zeitgemäss?
Jonas Wydler — 11/30/21, 07:55 PM
Aus der Zeit gefallen oder immer noch ein Grund zum Jubeln: Der Bandcontest Sprungfeder gibt es bereits seit 1998. (Foto: zvg)
Als 1998 das erste Sprungfeder-Finale über die Bühne ging, war die Musikwelt noch eine andere. Bands standen in der Abhängigkeit von Labels, hatten kaum Möglichkeiten, sich selber zu promoten. Keine Instagram-Story aus dem Proberaum, kein Facebook-Post zum nächsten Konzert, keine selbst produzierten Clips auf Youtube.
Heute ist Social Media quasi das Lebenselixier der Musikindustrie. Auch junge Bands können über verschiedene Kanäle weit mehr Menschen erreichen, als beispielsweise im Luzerner Treibhaus oder im Chäslager in Stans Platz finden. Und dennoch nahmen in diesen Locations auch dieses Jahr wieder Zentralschweizer Bands an der Sprungfeder-Vorausscheidung teil. Wieso eigentlich? Und wozu braucht es den Wettbewerb in Zeiten digitaler Selbstvermarktung überhaupt noch?
Neue Ideen gesucht
Am 4. Dezember findet das 21. Sprungfederfinale in der Schüür statt. Wenige Tage zuvor sprechen wir mit Lena Brechbühl darüber, wie relevant der Anlass noch ist. Die 25-Jährige ist seit Mai für die Ausrichtung der Sprungfeder verantwortlich. Das ist kein Zufall. Als technische Leiterin im Treibhaus, weiss sie, wie junge Konzertbesucher*innen heute ticken.
Brechbühl schreibt der Sprungfeder bei der musikalischen Jugend immer noch Bedeutung zu. «Einige Freund*innen von mir haben schon teilgenommen, sie ist nach wie vor ein Begriff.» Dennoch hat sie vom Sprungfeder-Vorstand den Auftrag gefasst, neue Ideen einzubringen.
«Ich versuche noch stärker, die ganze Zentralschweiz einzubinden.»
Lena Brechbühl, Leiterin Sprungfeder
Ein Anliegen ist ihr beispielsweise, die Bands nach dem Wettbewerb besser zu betreuen. «Wir wollen den Bands das geben, was sie brauchen.» Ob Unterstützung im Studio, Hilfe bei der Budgetplanung oder beim Booking – die Sprungfeder sei eine Datenbank an Kontakten. «Davon können junge Musiker*innen profitieren, wir wollen Bands mit Labels und Expert*innen verknüpfen.»
Am traditionellen Konzept mit vier Vorausscheidungen und dem Final in der Schüür hält sie jedoch fest. Aber: «Ich versuche noch stärker, die ganze Zentralschweiz einzubinden.» So fand dieses Jahr erstmals auch eine Vorrunde in Altdorf statt.
Konzertsaal statt TikTok
Patrick Roos steht vor dem grössten Auftritt seiner Karriere. Er ist Sänger der Band Taktlos, die sich im Treibhaus gegen die Konkurrenz durchgesetzt hat und nun im Finale steht. Wie seine Bandkollegen ist er Anfang zwanzig. Er gehört also einer Generation an, der gerne Nachgesagt wird, kein Interesse mehr an Livemusik zu haben. Für Roos ist das bloss ein Klischee. Denn gerade durch die starke Digitalisierung ortet er in seiner Altersklasse Lust auf Livemusik. «Live-Konzerte schaffen ein unersetzbares Gefühl von Gemeinsamkeit und Nähe für Publikum und Bands. Im Zeitalter von TikTok & Co. sehnen sich die Menschen nach solchen Gefühlen und schätzen es umso mehr.»
So geht Sprungfeder Die Regeln sind einfach: Musiker*innen dürfen nicht älter als 26 sein und es gewinnt die Band, die beim Publikum und bei der Jury am besten punktet. In der Vorausscheidung ist die Gewichtung 50:50, im Final entscheidet die Jury zu 75 Prozent. Zu gewinnen gibt es nicht einfach Geld, sondern eine ganze Palette an Fördermassnahmen – und das für alle vier Finalist*innen. Der Sieg wird mit der EP-Produktion in einem Profi-Studio, weiteren Auftritten, einem Video des Auftritts und einem Coaching nach Wahl honoriert. |
Am Sprungfederfinale wird Roos auf Enzo treffen. Der Rapper aus Reiden heisst bürgerlich Hannes Glanzmann und hat sich eigens für den Wettbewerb eine Liveband zusammengestellt. «Es macht unglaublich Spass mit der Band, sie hievt meine Musik auf ein neues Level», sagt der 24-Jährige. Dieser Aufwand lässt es erahnen: Glanzmann ist überzeugt, dass die Sprungfeder nach wie vor einen hohen Stellenwert in der Musikszene hat. Dass er bald in der Schüür spielen kann, ist für ihn ein spezieller Moment. «Es wird sicher die grösste Bühne sein, auf der ich bisher gestanden habe.»
«Kuh noch zwei, drei Jahre gemolken»
Der Sieg an der Sprungfeder ist längst keine Garantie für eine grosse Karriere. Von den 21 Gewinnern ist bloss einem der nationale Durchbruch gelungen. Damian Lynn siegte 2009 mit seiner damaligen Band Sway89. Dennoch gibt es Erfolgsgeschichten, an deren Anfang die Sprungfeder stand. Zum Beispiel Thomas Seidman: Er gewann 2015 mit Shoot the Satellite, einer One-Man-Show mit Gitarre, Gesang, und Loops. Er ist beharrlich drangeblieben und tritt inzwischen mit seinem Trio Yet No Yokai auf die Bühnen. Wir erreichen ihn Mitten in den Aufnahmen zu seinem kommenden Album.
Seidmann denkt gern zurück an den Gewinn vor sechs Jahren: «Die Sprungfeder half mir, im Musikbusiness Fuss zu fassen und Bühnenerfahrung zu sammeln. Der Auftritt in der vollen Schüür war Gold wert.» Das Label «Sprungfeder» funktioniere noch immer als Referenz, der Name sei den Leuten ein Begriff. «Das hat mir sicher geholfen, die Kuh habe ich schon noch zwei, drei Jahre gemolken.»
«Wertungen in der Kunst finde ich nicht so cool.»
Thomas Seidman, Yet No Yokai
2019 war Thomas Seidmann selber in der Jury der Vorrunde – und er würde am bewährten Sprungfeder-Rezept festhalten. «Obwohl ich Wertungen in der Kunst nicht so cool finde. Aber die Bands kommen aus dem Proberaum raus und erhalten kompetentes Feedback», sagt er.
Kaum Frauen dabei
Eine Herausforderung bleibt, mit der die Sprungfeder nicht alleine ist: zu wenige Musikerinnen. Unter den vier Finalbands steht nur eine Frau auf der Bühne (bei Jametite aus Obwalden). Immerhin spielten in den Vorrunden fünf von zwölf Bands mit Frauenbesetzung. «Das ist eine gute Quote», sagt Sprungfeder-Leiterin Lena Brechbühl.
Die Organisatorin hofft für die nächsten Ausgabe, dass sich noch mehr Bands – und vor allem auch Musikerinnen – trauen, sich auf der Bühne zu messen. «Die Sprungfeder ist immer noch die beste Chance, um aus dem Kämmerchen herauszukommen», so Brechbühl.
Die bisherigen Siegerbands (2008 und 2020 fiel die Sprungfeder aus)
|