Stuttgart statt Luzern
Das Luzerner Theater hat seinen visuellen Auftritt überarbeiten lassen und sorgt damit für Ärger. Grund: Der Auftrag wurde nach Deutschland vergeben. Darf ein hochsubventioniertes Kulturhaus das lokale Gewerbe vernachlässigen?
Jonas Wydler — 09/02/21, 12:28 PM
Gut sichtbar, aber für viele nicht verständlich: Der neue Auftritt des Luzerner Theaters. (Foto: jwy)
Der Saisonauftakt des Luzerner Theaters (LT) wird von Kritik begleitet. Grund dafür liefert der neue Onlineauftritt und das überarbeitete Programmheft des Hauses. Bisher erteilte das LT seine Grafikaufträge dem Studio Feixen (Felix Pfäffli) aus Luzern. Unter der neuen Intendantin Ina Karr geht das lokale Unternehmen nun aber leer aus. Der Auftrag wurde nach Deutschland vergeben. Die Stuttgarter Agentur Discodoener hat den Zuschlag bekommen.
Da stellt sich die Frage: Wieso kam kein*e Luzerner Gestalter*in zum Zug? Denn die Vergabe nach Deutschland überrascht. Schliesslich wimmelt es in der Stadt Luzern dank renommierter Kunsthochschule von Talenten. Zudem werben die grossen Kulturhäuser stets mit ihrer Wertschöpfung für die Region. Müsste das LT als grösster Subventionsempfänger in der Luzerner Kultur lokale Dienstleister*innen nicht berücksichtigen? Diese Frage habe ich auf Facebook gestellt – und sie polarisiert.
Das neue LT-Programmheft wurde in Stuttgart gestaltet. (Foto: jwy)
Von «sehr fragwürdig» bis «völlig daneben» reichen die Meinungen zur Vergabe nach Stuttgart. Es ist von Mauschelei die Rede, weil die Agentur aus der gleichen Stadt kommt wie Ina Karr. Auf der anderen Seite: Die oder der Beste soll es machen! Gerade die Kultur, die von Offenheit und Austausch über alle Grenzen hinaus lebt, soll sich nicht auf regionale Akteure beschränken.
«Wenig Fingerspitzengefühl»
Die Frage sorgt auch in der lokalen Politik für Diskussionen. Bei Urban Frye sorgt sie vor allem für Kopfschütteln. Der grüne Kantonsrat und Kulturvermittler ist überzeugt, dass unter den «vielen ausgezeichneten Agenturen in der Zentralschweiz» eine passende Lösung für das LT zu finden gewesen wären. Die Vergabe nach Stuttgart irritiert ihn. «Es zeugt von wenig Fingerspitzengefühl und riecht stark nach Vetternwirtschaft.»
«Es scheint, als ob all die Versprechungen kaum ernst gemeint sind.»
Urban Frye (Grüne), Luzerner Kantonsrat und Kulturvermittler
Aus seiner Sicht sollten lokale Anbieter stets berücksichtigt werden. So steht es eigentlich auch im LT-Betriebskonzept. Für Frye hat dieses inzwischen an Glaubwürdigkeit verloren. «Es scheint, als ob all die Versprechungen kaum ernst gemeint sind.» Er bemängelt, dass auch bei der Auswahl der Kommunikationsagentur lokale Unternehmen leer ausgingen. «Wie ernst ist es dann der Theaterleitung mit dem Einbezug von lokalen Kräften bei den Bühnenproduktionen?», fragt er sich.
Frye fordert für subventionierte Betriebe die «Einhaltung der Good Governance», also die Ausschreibung von Stellen, keine persönlichen Beziehungen bei der Besetzung sowie klare Vorgaben bei der Vergabe von Aufträgen. Selbst bei der Besetzung im Ensemble sollen seiner Ansicht nach in erster Linie Schweizerinnen und Schweizer berücksichtigt werden. Damit solle verhindert werden, dass die Intendanz bloss «alte Freunde» ans Theater holt.
Eine umstrittene Personalie
Frye spielt damit auf die Vorwürfe an, die geäussert wurden, als Ina Karr 2019 die Intendanz übernommen hat. Das Theater wurde wegen Verflechtungen kritisiert. Denn Karrs Lebenspartner Stefan Vogel ist gleichzeitig auch LT-Betriebsdirektor und arbeitete zuvor am gleichen Mainzer Theater wie Karr.
FDP-Kantonsrat Gaudenz Zemp sah das als «absolut grenzwertigen Personalentscheid». Deshalb reichte er 2020 einen Vorstoss mit kritischen Fragen zur Personalie ein. Der Kanton Luzern habe darauf schriftlich festgehalten, dass so etwas in seiner Organisation nicht toleriert würde. «Nun scheint die Vetterliwirtschaft nahtlos weiterzugehen. Das wirft ein schlechtes Licht auf die Corporate Governance der Theater-Führung», sagt der FDP-Politiker heute.
Das neue Leitungsteam des Luzerner Theaters (von links): Lars Gebhardt (Operndirektor), Katja Langenebach (Schauspielchefin), Ina Karr (Intendantin) und Wanda Puvogel (Tanz). (Foto: Ingo Höhn)
Es gebe zwar keine Verpflichtung, eine einheimische Agentur zu verpflichten, aber: «Wenn das Theater seit Monaten verspricht, aus der Region für die Region zu arbeiten, so ist dieser Entscheid absolut unverständlich», sagt Zemp. Neue Regeln brauche es nicht, aber Führungspersonen mit dem nötigen Fingerspitzengefühl und mit einer Kenntnis der regionalen Verhältnisse. «Wenn man aber immer die Kaderleute fast ausschliesslich aus Deutschland holt, welche diese überhaupt nicht kennen, so kommt es notgedrungen zu solch ärgerlichen Pannen.»
Agenturen in der Pflicht
Zurück zur Grafik made in Stuttgart. Tobias Lauber, Inhaber der Luzerner Agentur Komplizen, findet, dass bei Ausschreibungen der oder die Beste gewinnen soll. Dennoch ist er irritiert über die Vergabe nach Deutschland. «Ein hochsubventioniertes Haus wie das Luzerner Theater sollte auf lokale oder zumindest regionale Grafiker und Agenturen setzen. Gerade was Grafik für kulturelle Institutionen angeht, hätte es in Luzern eine starke Auswahl gegeben.»
«Man kann für solche Aufträge auch mal Kollaborationen eingehen, um mehr Gummi auf den Boden zu bringen.»
Tobias Lauber, Inhaber der Luzerner Agentur Komplizen
Insbesondere Institutionen, die stark auf lokales Publikum und Kunden angewiesen seien, sollten lokale Partnerinnen berücksichtigen. «Wenn dabei noch Subventionen im Spiel sind, wäre das umso wichtiger», so Lauber. Gleichzeitig nimmt er aber auch die Luzerner Kreativszene in die Pflicht: «Man kann für solche Aufträge auch mal Kollaborationen eingehen, um mehr Gummi auf den Boden zu bringen.» So wie sich beispielsweise bei Architektur-Wettbewerben immer wieder Büros zusammenschliessen.
Karr weist Vorwürfe zurück
Und wie reagiert das Luzerner Theater auf die Kritik? Man geht in die Verteidigung. Im aktuellen Fall haben laut Karr auch Agenturen aus der Region ihre Chance bekommen. In einem mehrstufigen Verfahren seien Gespräche geführt worden – auch mit drei Agenturen aus Luzern. Dass der Auftrag an Discodoener aus Stuttgart ging, sei ein künstlerischer Entscheid. «Letztlich sind Qualität und Ästhetik ausschlaggebend gewesen, sowie die zeitliche Flexibilität und die Erfahrung mit grösseren Kulturbetrieben», sagt Karr. Discodoener hat beispielsweise schon für die Staatsoper Stuttgart oder Museen gearbeitet.
Ist es also purer Zufall, dass die Agentur aus der gleichen Stadt kommt wie Karr? Die Intendantin weist Vorwürfe der Klüngelei von sich. «Wir wurden sowohl durch international vernetzte Ensemblemitglieder auf die Agentur aufmerksam als auch durch deren Arbeiten selbst.» Karr habe zuvor keinen Kontakt zu Discodoener gehabt.
Schaden für neues Theater?
Der grundsätzliche Vorwurf, man berücksichtige zu wenig Unternehmen aus der Region, weist Karr ebenfalls entschieden zurück. «Wir arbeiten in den unterschiedlichsten Bereichen mit lokalen und regionalen Partnern zusammen.» Gleichzeitig sei es für einen Theaterbetrieb wichtig, gerade in künstlerischen Bereichen auch internationale Auswahlen treffen zu können. Karr nennt Regie, Bühnenkunst, Grafik oder Fotografie als Beispiele. Dabei habe das LT freie Wahl.
«Das Verhalten der Theaterleitung schadet dem Vorhaben, Bevölkerung und Politik für ein neues Theater zu gewinnen.»
Urban Frye (Grüne), Luzerner Kantonsrat und Kulturvermittler
Mit ihren Aussagen lässt Karr kritische Stimmen nicht verstummen. Kantonsrat Frye stellt die jetzige Vergabe in einen grösseren Kontext: «Das Verhalten der Theaterleitung und auch des Stiftungsrates schadet dem Vorhaben, Bevölkerung und Politik für ein neues Theater zu gewinnen.»