Ideologische Schützengräben
Wie sehen 0,2 Parkplätze aus? Diese ewigen Diskussionen um die Parkplatz-Problematik sind doch zum Davonlaufen. Eine Polemik zum anstehenden Abstimmungssonntag in Luzern.
Jonas Wydler — 06/09/21, 01:22 PM
Sie brauchen halt Platz. (Foto: zVg)
Der 13. Juni ist für Luzerner*innen eine Zumutung. Wir stimmen nicht nur über fünf folgenschwere, wichtige und ziemlich komplexe nationale Vorlagen ab. Wir befinden daneben auch über Parkplätze. Ja, Parkplätze. Diese 2,5 auf 5 Meter aufgepinselte Langweiligkeit. Diese unzumutbare Verschwendung von 10 Veloabstellplätzen.
Man glaubt es kaum, aber Parkplätze stehen in Sachen Polarisierung dem Covid-19-Gesetz, Pestiziden, Klimaschutz und dem schnüffelnden Anti-Terror-Staat in nichts nach.
Die städtische Vorlage: hoch komplex. Die politische Debatte im Vorfeld: feindselig. Dass es soweit kommen konnte: obermühsam. Die Stadt der Zukunft wird derweil woanders verhandelt, während wir darüber abstimmen, ob eine Dauerparkkarte nun 600 oder 800 Franken kostet und uns in einer neuen mathematischen Disziplin üben: Dezimalrechnen anhand von Parkplätzen.
Es ist eines der grösseren Mysterien städtischer Politik, dass die weissen Rechtecke überhaupt ein Problem sind, über das wir uns zu einer Volksbefragung bequemen müssen. Und zu dem sollten wir, als gut informierte und pflichtbewusste Bürger*innen, 130 Seiten Bericht und 50 Seiten Abstimmungsvorlage durchlesen. Herrgott, wie konnte es soweit kommen?
Flächen neu verhandeln
Im Grunde ist es doch völlig klar: Städte werden attraktiver, Leute wollen wieder vermehrt da wohnen und sich aufhalten. Aber weil der Platz nicht grösser wird, müssen wir die vorhandenen Flächen neu verhandeln. Leider gab es mal eine Zeit, in der städtische Attraktivität mit freier Fahrt für den Motorverkehr gleichgesetzt wurde. Es muss ungefähr die gleiche Zeit gewesen sein, als sie im Schwarz-Weiss-Fernsehen noch soffen und schloteten und Männer in wichtigen Belangen unter sich blieben.
«Jede Verlagerung des Platzes zugunsten von Menschen statt Blech führt zu Entgleisungen in den Kommentarspalten.»
Zeiten ändern sich – ausser im Strassenverkehr. Jede auf Vernunft basierende Verlagerung des Platzes zugunsten von Menschen statt Blech führt zu Entgleisungen in den Kommentarspalten. Die heutige, über Jahrzehnte gewachsene, absurde Bevorzugung von Autos in der Stadt wird als Kompromiss verkauft, den es nicht anzutasten gilt. Von einem Kompromiss könnte man allenfalls reden, wenn die Hälfte der Strassenfläche (inklusive Parkplätzen) zugunsten von Velos und Menschen umgenutzt würden.
Hinter diesen Überlegungen steckt keine Ideologie, sondern Logik: Autos sind zu gross, zu unpraktisch (und heute leider auch zu hässlich) – und sie stehen die meiste Zeit im Weg rum (egal ob mit Benzin oder Strom betrieben). Sie sind gänzlich ungeeignet für die Ansprüche der Stadt von heute, geschweige denn von morgen.
Die Wahl zwischen mutlos und mild
Als der Stadtrat vor einem Jahr das «Konzept Autoparkierung» vorgelegte, waren die ideologischen Schützengräben sogleich bezogen. Das Parlament diskutierte sich durch die Absätze, verschärfte hier und da ein wenig – und die bürgerlichen Parteien ergriffen gegen das Resultat das Referendum. Man hat nun also die Wahl zwischen einer gemässigten, austarierten, vernünftigen Vorlage des Stadtrats – und einer verschärften Version der linksgrün-radikalen Parlaments. Scherz beiseite: Zwischen einer mutlosen, leicht angepassten Parkplatz-Bewirtschaftung (Vorschlag Stadtrat) und einer milden Verschärfung (Vorschlag Parlament).
Im Streit geht es um Dinge wie den Preis von Dauerparkkarten, Anzahl Parkplätze bei Neubauten und Ladestationen für E-Autos. Nebenschauplätze auf dem Weg zu einer Stadt ohne Autos – und ohne Parkplätze. Nehmen wir das vieldiskutierte Thema der Anzahl Parkplätze bei Neubauten: In Aussenquartieren darf bis anhin 1 Parkplatz pro neue Wohnung gebaut werden. Die bürgerlichen Parteien (inklusive GLP) plädieren für 0,3 bis 0,7 Parkplätze. Die Linke will 0,2 bis 0,5 Parkplätze. 0,0 Parkplätze stehen absurderweise nicht zur Debatte.
Wenigstens dürfen wir derweil auf etlichen, zugunsten der pandemiegebeutelten Gastronomie umgenutzten Parkplätzen eines: saufen und schloten.
PS: Wieso heisst es in der Schweiz eigentlich nicht Parkierplatz?
PPS: Wieso werden nicht mehr Parkplätze gekapert und besetzt?
PPPS: Fun Fact: Für viele SUV-Fahrer ist es unverständlich, dass die durchschnittliche Parkplatzgrösse nicht mit der wachsenden Grösse ihrer Gefährte Schritt hält.
PPPPS: Ist es noch Zynismus oder schon Sarkasmus, wenn ein Parkplatz-Anbieter mit dem Slogan wirbt: «Wir schaffen Raum für Menschen»?