Landei versus Stadthuhn
Wie würden sich vegane Menschen verhalten, wenn Tiere zur Plage werden? Das fragt sich unsere Kolumnistin, die auf dem Land Tiere am Laufmeter tötet.
Christine Weber — 08/01/21, 08:10 PM
Lebensmüde Mäuse setzen sich gerne in die Futterschalen von Katzen.
Ein Winzling klammert sich an den oberen Teil meines kleinen Fingers. Ausgerüstet ist die Baby-Fledermaus mit allem, was es braucht: Mit kleinsten Zehen saugt sie sich fest, das Herzchen bebt, die Flügelchen zittern. Ein perfektes Wesen. Nackt und wehrlos lag es auf dem Boden, heruntergefallen aus dem Dachgebälk. Der Fledermausschutz-Beauftragte am Telefon versucht, mich mit Fakten zu trösten: Bei so viel Regen gibt es keine Mücken zu jagen, die Jungen bekommen nichts zu fressen, kriechen davon und plumpsen irgendwo herunter. Zum Beispiel vor meine Füsse.
Ich platziere den Winzling auf einem Holzscheit, stelle es so nahe wie möglich ans Dach und hoffe, dass seine Mutter es abholt. Vermutlich wird es sterben. «So ist die Natur», sagt der Fledermaus-Mann und natürlich hat er Recht. Trotzdem hoffe ich, dass es überlebt, und lege dem Fledermaus-Baby noch eine tote Fliege dazu.
Fliegen töte ich übrigens, ohne mit der Wimper zu zucken: Pro Jahr landen etwa 4'000 unter der Klatsche, je nach Gülle-Saison. Und da haben wir den Schlamassel: Warum fällt es mir leicht, tausende Fliegen zu töten und beim Anblick von einem sterbenden Fledermäuschen breche ich in Tränen aus? Der Jöö-Effekt als Argument mag im Vergleich zu Fliegen funktionieren, aber bei den Mäusen ist schon Schluss: Die Nager sind ja auch unglaublich herzig. Und trotzdem erschlagen, vergiften und töten wir sie hier auf dem Land am Laufmeter – weil es einfach zu viele sind, weil man sie weder scharenweise im Haus noch im Garten will. Glücklicherweise eliminieren sich bei dieser Spezies manche gleich selbst: Einige knabbern die Giftpackung auf, die der Vormieter in einem Schrank deponiert hat, und andere setzen sich in den Fressnapf meines Katers. Immerhin für den Tod dieser Suizid-Mäuse bin nicht ich verantwortlich.
Einmal die Woche entsorge ich meine gekillten Tiere.
Dafür aber am Massenmord der Nacktschnecken: Zu Hunderten sammle ich sie ein, stecke sie in Kübel und lagere sie in der Kühltruhe (anscheinend die schmerzloseste Ermordung) in der Hoffnung, dass keine den Deckel aufkriegt und sich zum Glace-Topf für die nächste Party schleicht. Einmal die Woche entsorge ich meine gekillten Tiere: die gefrorenen Schnecken, die erschlagenen Mäuse, die zerklatschten Insekten.
Während ich zuschaue, wie der Sack in der Mülltonne zermalmt wird, überlege ich: Was würden eigentlich vegane Menschen machen? … und überhaupt: Wer tötet wen, und wer wen warum nicht? Und wer überlässt das Töten anderen, die vermutlich auch nicht gerne töten, aber blöderweise ist niemand sonst zum Töten da? Und wenn die Schnecken, Insekten und Mäuse statt nur getötet, auch gegessen würden – wäre das besser, zumindest sinnvoller? Aber auch das bliebe ja an mir hängen und nicht an veganen Menschen. In solchen Momenten des Landlebens wünsche ich mir: Back to Town, wo ich keine Tiere töten muss.
Meine Freundin aus Luzern sagt dazu: Das ist ja schrecklich! Du armes Mäuschen!
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