Landei versus Stadthuhn
In fortgeschrittenem Alter ist unsere Kolumnistin vom Mutterinstinkt gestreift worden. Seither ist sie erst recht überzeugt: Auf in den Frauenstreik!
Christine Weber — 06/13/21, 08:27 PM
Es ist wieder Frauenstreik.
Max ist ein waschechter Obwaldner, ein cooler und bodenständiger Typ. Max ist perfekt: Schön und muskulös, gefühlvoll und selbstbewusst, mutig und intelligent. Was will frau mehr? Eben! Seit Max im hintersten Obwalden bei mir lebt, habe ich mich keine Sekunde gelangweilt. Er bringt mich zum Lachen und hält mich mit seinen Flausen auf Trab. Max hat Humor und kann stundenlang philosophierend zum Fenster hinausschauen, oder einfach faul herumliegen und das Leben geniessen.
Max zeigt ausserdem ungeniert, dass er mich unwiderstehlich findet, und hängt trotzdem nicht an meinem Rockzipfel. Zwar hat er sein eigenes Programm, hilft aber ungefragt bei anstehenden Arbeiten: Wenn ich Rüebli pflanze, gräbt er sie wieder aus und wenn ich Wäsche aufhänge, reisst er sie begeistert von der Leine. Max hat auch eine Lösung für die Werren im Garten gefunden und präsentiert sie auf dem Silbertablett, beziehungsweise Küchenboden. Max hat es sogar geschafft, eine mir bisher unbekannte Eigenschaft ans Tageslicht zu befördern: Den Mutterinstinkt.
Max wurde nämlich krank. Der acht Wochen alte Knirps war so schwach, dass er mit der Spritze gefüttert werden musste. Der kleine Körper zitternd, die Augen verklebt, die Atmung röchelnd. Und ich: paralysiert vor Sorge. Meine Gedanken kreisten nur noch um Max, die berufliche Tätigkeit reduzierte ich auf ein Minimum. Sorry … Max ist krank, Max hat Priorität. Sitzungen wurden verschoben, Termine abgesagt. Bis auf jene beim Tierarzt.
Als ich dort anrief, flippte ich aus: … erst übermorgen?? Geht’s nicht früher!! … ich soll trotz Termin drei Stunden warten?? Meinen Sie eigentlich, ich hätte nichts anderes zu tun?! Ich bin im Fall berufstätig! … nachher alle zwei Tage zur Kontrolle in die 20 Kilometer entfernte Praxis, wo sich Max beim Autofahren in einen kotzenden Berserker verwandelt??! Aber natürlich ging ich, natürlich wartete ich, natürlich war ich dankbar, natürlich wischte ich die Kotze auf und sang dazu auch noch beruhigende Lieder. Mein Max über alles.
Du meine Güte! Wenn das schon bei einem Kater so ist, wie alles bestimmend mag dann ein Kind sein? Max ist wieder gesund. Er ist jetzt beinahe erwachsen. Im Gegensatz zu einem Kind dauert das glücklicherweise nur ein paar Monate. Zwar hatte ich schon immer Achtung für Eltern – aber was es wirklich bedeutet, so kleine Wesen zu behüten, erahne ich erst jetzt. Und noch immer sind es grösstenteils die Mütter, die für den Nachwuchs alles stehen und liegen lassen (müssen). Seit mich wegen Max der Mutterinstinkt gestreift hat, bewundere ich Frauen mit Kindern noch mehr. Ihre enorme Leistung muss genau gleich honoriert und wertgeschätzt werden, wie das bei berufstätigen Männern der Fall ist. Darum: Frauenstreik am 14. Juni!
Max in Form. (Foto: Christine Weber)
Meine Freundin aus Luzern sagt dazu: Der Vorteil an deinem falschen Mutterinstinkt ist, dass du dir mit gutem Gewissen einen richtigen Kater leisten kannst.
Christine Weber hat sich nach über vier Jahrzehnten aus dem turbulenten Stadtleben verabschiedet und lebt seit einem Jahr dort, wo sich Fuchs und Hase gute Nacht sagen: Im hintersten Teil von Obwalden. In der Kolumne «Landei versus Stadthuhn» wirft sie einen (selbst)ironischen Blick auf die Klischees von urbanem Lifestyle und hinterwäldlerischer Verstocktheit. |