Philosophierender Künstler
Der Luzerner Künstler gehört zu den Mitbegründern der ehemaligen alternativen Gestaltungsschule Farbmühle. Wir haben mit ihm in seinem Atelier über unliebsame Ausbildungen, familiäre Schicksalsschläge und gestohlene Bilder gesprochen.
Caroline Mohnke — 07/05/22, 08:56 AM
Gualtiero Guslandi blickt auf ein spannendes Leben zurück. (Foto: Caroline Mohnke)
«Wir bleiben draussen, es ist wärmer als drinnen», sagt Gualtiero Guslandi vor seinem Atelier. Es ist die ehemalige Jugendherberge an der Sedelstrasse 24. Seit 1986 ist er in diesem Gebäude der Stadt Luzern eingemietet. «Im Winter muss ich sehr lange einheizen, bis eine wohlige Wärme entsteht im Atelier». Oft sei er mit Mütze und Schal am Arbeiten.
Das verwundert nicht. Das Gebäude stammt aus dem vorigen Jahrhundert. Lange dachte man, es handle sich dabei um einen Güterschuppen. Das Stadtarchiv belegt etwas anderes. Das Hauptgebäude diente als Absonderungshaus, in das arme Leute mit ansteckenden Krankheiten verlegt wurden. Das Nebengebäude war ein Desinfektionshaus, in dem infizierte Wäsche durch einen Zyklon gereinigt wurde.
Das ehemalige Desinfektionshaus ist heute Künstleratelier. (Foto: Caroline Mohnke)
Zwischen Leinöl und Firnis
Guslandi gewährt dann doch noch einen Blick in sein Schaffensreich. Zerdrückte Farbtuben auf dem Stubentisch und der Geruch von Leinöl und Firnis in der Luft. Kindheitserinnerungen. Guslandis Vater, ein Wochenendmaler, hauptberuflich Flugzeugmechaniker. Der Vater habe gemalt, die Mutter den Kindern Italienisch beigebracht. Beide Eltern waren aus Monza. «Mein Grossvater kannte ich nicht, er war Kunstgiesser und hat Bronzefiguren gefertigt», erzählt der 74-jährige. Er hat heute Geburtstag, wie er beiläufig erwähnt.
Guslandi fand schon früh Gefallen am künstlerischen Schaffen. «In der Schule gehörte Malen und Zeichnen zu meinem liebsten Zeitvertreib.» In der Stube voller Farben gab es kein TV. «In meiner Schulzeit habe ich unzählige Zeichnungen angefertigt und hegte den Wunsch, die Kunstgewerbeschule zu besuchen.» Sein Vater jedoch sah seinen Sohn in einem Brotberuf. Also versuchte sich Guslandi an der Aufnahmeprüfung für eine Maschinenzeichnerlehre bei Schindler – und hat bestanden.
Die Freude darüber hielt sich in Grenzen: «Nach einem Jahr wollte ich aufhören», sagt er und lacht. Doch sein Vater war dagegen. Stattdessen lernte er viel über Metallbau und Giesserei.
Kunst an den Nagel gehängt
So rückte der Traum vom Künstlerleben in den Hintergrund. Guslandi besuchte die Handelsschule und hielt sich mit Gelegenheitsarbeiten über Wasser. Dabei lernte er seine Frau kennen, eine Steinbildhauerin. Eine Beziehung, die auch den temporären Abschied von Luzern bedeutete. «Wir kauften im Wallis ein Haus und fühlten uns sofort heimisch. Gemalt habe ich zu dieser Zeit nicht, dafür ein Kinderbettchen gezimmert», erzählt er. Die werdenden Eltern waren ausser sich vor Freude. «Das Wallis wurde zu unserer Heimat, und dass wir bald zu dritt sein werden, rundete unser Glück ab.»
«Damals gab es noch keine psychologische Betreuung. Es war eine harte Prüfung für uns beide.»
Doch es kam alles anders. Das Kind kam auf die Welt und eine Woche später sagte der Arzt, dass etwas nicht stimme. «Es hatte Gelbsucht und das Down-Syndrom.» Nicht überlebensfähig. Mathias starb an Weihnachten 1971. Guslandis Ex-Frau spricht bis heute vom «Kind», er von Mathias. «Damals gab es noch keine psychologische Betreuung. Es war eine harte Prüfung für uns beide. In unserem Umfeld rieten uns einige, wir sollen nochmals von vorne beginnen, doch das konnten wir nicht.»
Vom Schüler zum Lehrer
Es war ein Schickssalschlag, der Guslandis Leben in eine neue Richtung treiben sollte. «Ich sagte mir: Jetzt mache ich, was ich wirklich will. Auch beruflich.» Die Zeit war reif für die Kunstgewerbeschule. Der Vorkurs besuchte er in Zürich. «Es gab grosse Unterschiede zwischen Luzern und Zürich, Aktzeichnen gab es in Zürich damals nur für Lehrpersonen.» Danach führte sein Weg an die Schule für Gestaltung nach Luzern. 1980 bildete er sich am Kantonalen Seminar Luzern weiter und besuchte den Vorkurs für den Lehramtskurs.
Wie ein Bild zu hängen hat, darüber entscheidet Guslandi immer wieder neu. (Foto: Caroline Mohnke)
Und plötzlich war Guslandi Lehrer, sogar mit eigener Schule. 1986 gründete er zusammen mit sieben Mitstreiter die Gestaltungsschule Farbmühle in Luzern. Deren Ziel war die Förderung individueller gestalterischer Fähigkeiten und die Vermittlung von fundiertem Fachwissen. «Die Motivation war beseelt von der Lust, dem Zeitgeist einen Körper zu verpassen. Die Zeit war überfällig für eine alternative Gestaltungsschule in der Innerschweiz.»
Diebstahl neben den Gräberhallen
Guslandi lehrte aber nicht nur, sondern malte auch selbst. Dabei spielte sich einst Merkwürdiges ab. Im Rothenburgerhaus ausserhalb der Gräberhallen der Hofkirche stellte Guslandi Bilder aus. Am zweitletzten Tag der Ausstellung passierte es: Der Hauswart war für zwei Stunden weg, die Bilder blieben unbeaufsichtigt.
Das hatte Konsequenzen. Drei grosse Aktzeichnungen auf Packpapier wurden im Treppenhaus der Galerie geklaut. Sie sind bis heute nicht wieder aufgetaucht. «Auch ein Aufruf in den Tageszeitungen brachte nichts.» Ähnliches hat sich auch im Kantonsspital Luzern abgespielt. Guslandi gab über 30 seiner Ölbilder an die Radio-Onkologie leihweise ab. Drei davon sollten nie wieder zu ihm zurückfinden.
Von der Vergangenheit eingeholt
In Guslandis verwinkeltem Atelier ist es inzwischen etwas wärmer geworden. Seine Malstube ist gleichzeitig eine Art Giftkammer. Denn er hat eine ausgeprägte Leidenschaft für Pigmente. Diese sind teilweise hochgiftig. Zum Beispiel Schweinfurter Grün. Dieses ist dermassen toxisch, dass es bis zur Mitte des 20. Jahrhunderts gar als Pflanzenschutzmittel benutzt wurde.
Zeitzeugen: Gipsköpfe von ehemaligen Kunstischülern. (Foto: Caroline Mohnke)
Nebst giftigen Pigmenten reihen sich unzählige Farbtuben und Pinsel aneinander, fein säuberlich verpackte Bildserien stehen auf dem Dachboden. In einem Holzregal liegen Gipsköpfe. «Das sind die Köpfe von ehemaligen Kunstischülern», erzählt Guslandi und zeigt auf die liegenden Zeitzeugen.
Die Vergangenheit holt ihn auch beim Malen immer wieder ein. Noch heute ist sein künstlerisches Schaffen von seinem so früh verstorbenen Sohn geprägt. Das hat seine Sichtweise stark beeinflusst. «Meine Bilder drehe ich immer wieder um. Von jeder Seite sieht ein Bild wieder anders aus. Es ist wie im Leben: Nur schon vor einer Stunde sah das Leben ganz anders aus.»