Lockdown-Blues und Bock auf ein gutes Buch? Wir haben unsere Regale nach passenden Empfehlungen durchforstet.
03/04/21, 11:16 AM
Wer kennt es nicht? Netflix durchgeschaut, den Biervorrat leergesoffen, festgestellt, dass die Wohnung mit Menschen geteilt wird, die man bei näherer Betrachtung nicht ausstehen kann und noch immer macht es einem die Pandemie schwer, sich all dem entziehen zu können.
Wieso also nicht einmal ein Buch lesen? Als kleine Starthilfe liefern wir euch hier umfassende Leseempfehlungen. Falls euch etwas interessiert und ihr über eine intakte Seele verfügt, holt ihr euch die Bücher in der Buchhandlung um die Ecke anstatt beim Grossisten aus dem Internet.
Béla Rothenbühler, Co-Geschäftsleiter:
George Herriman – Krazy Kat
Ein Meisterwerk des Surrealismus. Herriman zeigt in Krazy Kat eine irre Wüstenwelt, vor deren Kulisse er das grosse Missverständnis Liebe in unendlichen Variationen durchspielt. Katze, Maus, Ziegelsteine und immer wieder wunderschöne Monde — mehr braucht Herriman selten für seine erzählerischen Miniaturen. Ein sprachkritisches Sprachkunstwerk.
Osamu Tezuka – Kimba, der weisse Löwe
Tezukas Frühwerk ist der Bildungsroman eines weissen Löwen vom verwaisten Prinz bis zum König der Tiere. Die kolonialistischen Dünkel, wo Menschen vorkommen, sind äusserst schlecht gealtert, trotzdem hat Kimba utopisches Potential — der Dreibänder zeigt das friedliche Zusammenleben der Tiere, Kimba erfindet schon in den 50er-Jahren synthetisches Fleisch und ist in seinem Wesen, wie alle Werke Tezukas, eine Geschichte über Aufopferung und Freundschaft.
Hergé – Der Fall Bienlein
Selten wird Hergés rasante Erzählweise besser sichtbar als im Fall Bienlein — hier ist jedes Bild ein Ereignis, alles ist immer in Bewegung, und dabei wird das Abenteuer, eine rasende Entführungsgeschichte vor der Kulisse eines kalten Kriegs — nie flach, nie banal. Der Gesamtbogen ist elegant gezeichnet, auch die wunderbaren witzigen Momente bremsen den Erzählfluss niemals. Meine bescheidene Meinung: Der Fall Bienlein ist Hergés Meisterwerk.
Art Spiegelman – Maus
Pulitzer-Preisträger Spiegelman schafft es mit seinem Hauptwerk Maus, die Schrecken des Holocausts einerseits greifbar zu machen, durch die fortwährende Tiermetapher nimmt er ihnen aber einen Teil ihres Grauens. Es finden sich auch helle Töne in diesem biographischen Meisterwerk, was Maus noch menschlicher, noch berührender macht.
Lewis Trondheim – Herrn Hases haarsträubende Abenteuer
Herr Hase ist ist ein wunderbar sympathischer Antiheld, ein urbaner Yuppie ohne grössere Ambitionen ausser Möhren und Liebe. Sein dämonischer Autor Lewis Trondheim wirft den nichts ahnenden Nager aber immer wieder in bedrohlichste, haarsträubende Szenarien, gerne auch in der fernen Vergangenheit, in fantastischen Welten und einmal sogar innerhalb einer anderen Comicserie.
Jana Avanzini, Co-Redaktionsleiterin Kultur:
Virginia Woolf – Orlando
Ist es nicht wundervoll, wenn man sich einfach nur wundern kann. Und wenn ein Leben voller Abenteuer nie zu enden scheint. Und wenn man weder an eine Zeit noch an ein Geschlecht gebunden wäre. Ein sehr mutiges Buch.
Max Goldt – Ein Leben auf der Flucht vor der Koralle
Wenn dich die Menschen erst irritiert, dann kopfschüttelnd und schliesslich lachend anschauen, weil du beim Lesen ständig in Gelächter ausbrichst, dann könnte das Buch empfehlenswert sein.
Marlen Haushofer – Die Wand
Es war das perfekte Buch im Lockdown. Und immer, wenn ich im Wald bin, denke ich an die Protagonistin.
Martina Clavadetscher – Knochenlieder
Es scheint, als sei auch ihr neuster Wurf «Die Erfindung des Ungehorsams» mehr als lesenswert. Die Kritiker*innen jedenfalls überschlagen sich. Aber alle, die Knochenlieder noch nicht gelesen haben sollten das unbedingt noch tun. Die Sprache, die Verflechtung, die Ideen – schlicht beeindrucken.
Otfried Preussler – Die Kleine Hexe
Manchmal lohnt es sich, die alten Kinderbücher mal wieder auszugraben. Schöne Geschichten und die tollen Illustrationen. Ich fühlte mich danach so unbeschwert wie schon lange nicht mehr.
Martin Erdmann, Co-Redaktionsleiter Kultur:
Raymond Carver – Will You Please Be Quiet Please
Kurzgeschichten, die unter lebensbedrohlichem Alkoholmissbrauch ihres Verfassers entstanden sind. Davon ist jedoch nichts zu spüren. Carver beschreibt Szenen aus dem Leben amerikanischer Durchschnittsmenschen mit kühler Klarheit. Eine Huldigung an den Minimalismus.
Matias Faldbakken – The Cocka Hola Company
Der Auftakt von Faldbakkens Trilogie der Skandinavischen Misanthropie. Aus jedem Satz trieft abgrundtiefe Verachtung für die Gesellschaft. Jede Seite ist vollgepackt mit aufrichtiger Ablehnung des Menschen an sich. Eine Wohlfühloase für Leute, die sich die Welt manchmal in Trümmer wünschen.
Wayne Anthony – Class of 88
Ein Zeitzeugenbericht aus den späten 80er-Jahren als Acid House die Herzen von Englands Jugend eroberte. Geschichten von illegalen Raves in verlassenen Fabrikhallen, Ärger mit der Staatsmacht, Gefahren aus der Unterwelt und vielen, wirklich vielen verbotenen Substanzen.
Iwan Gontscharow – Oblomow
Ein Klassiker aus dem Russland des 19. Jahrhunderts. Er handelt von einem untröstlichen Titelhelden, der unfähig ist, sich aus den Fängen der Lethargie zu lösen und auf sinnlosen Pfaden einem einsamen Ende entgegentrottet. Erbaulich!
Richard Adams – Unten am Fluss
Das beste Buch, das die Kaninchen-Literatur je hervorgebracht hat. Vielleicht sogar das beste Buch aller Bücher mit animalischer Beteiligung. Ein grosses Abenteuer um eine Gruppe Wildkaninchen, die sich auf eine lange Reise begeben, um einer finsteren Prophezeiung zu entfliehen.
Heinrich Weingartner, Co-Geschäftsleiter:
Bret Easton Ellis – Lunar Park
Eine Abrechnung mit einem erfolgsverwöhnten, verfressenen und drogensüchtigen Selbst. Eine fiktionale Autobiographie, die in einem coolen Horrortrip à la Stephen King endet. Verständlicherweise: «Lunar Park» ist laut Ellis eine Hommage an Stephen King.
Robert Musil – Der Mann ohne Eigenschaften
Als Roman getarnte Philosophie. Es gibt wenig Gedanken, die hier nicht gedacht und sogleich wieder verworfen und neu gedacht werden. Diesen «Roman» am besten nicht wie einen Roman angehen, sondern wie eine philosophische Abhandlung. Inklusive Bleistiftnotizen etc.
Georg Büchner – Lenz
Eine der wenigen Schullektüren, die hängen geblieben sind. Büchner kann das Empfinden von Menschen wie wenig andere nachzeichnen und fühlbar machen. «Lenz» beschreibt einen Wahnsinnigen und hat mich auch ein wenig wahnsinnig gemacht. Wofür ich ihm danke.
Sten Nadolny – Die Entdeckung der Langsamkeit
Ein langsamer Roman für langsame Menschen in einer rasenden Zeit. Die Hauptfigur bringt uns bei, dass lange dauernde Entdeckungen am ehesten Bestand haben. Keine Angst, «Die Entdeckung der Langsamkeit» ist hoch spannend und überhaupt nicht langweilig.
Richard Rorty – Contingency, Irony and Solidarity
Richard Rorty beweist, dass Philosophie auch einfach sein kann. Nach der Lektüre dieses Buches denkt es sich leichter. Im Leben, in der Liebe und in der Literatur. Klingt fast ein bisschen mehr nach Seelsorge als nach Philosophie.
Ronnie Zumbühl, Redaktionsleiter Satire:
Ocean Vuong – Auf Erden sind wir kurz grandios
Der Erstlingsroman des US-amerikanischen Schriftstellers Ocean Vuong ist etwas vom Intimsten und Rohesten, das ich je gelesen habe. Es ist der Brief eines Sohnes an die vietnamesische Mutter, eine Analphabetin. Weil sie den Brief eh nie lesen wird, schreibt der queere Aussenseiter freimütig von der Schizophrenie seiner Grossmutter sowie seiner ersten Liebe zu einem amerikanischen Jungen.
Herbert Hindringer und Judith Sombray – Nähekurs
Dieses Buch mit 24 Gedichten ist eine Party für Synapsen. Sie machen überraschende Bekanntschaften, fallen um und verlieren sich. Für die meisten kommt nach dem Rausch die grosse Ernüchterung, aber einige bleiben in dieser eigenwillig schönen Welt zurück.
Simone Meier, Güzin Kar, Nadia Brügger – Hemingways sexy Beine
Schreiben Männer über Autorinnen, enthalten Texte oft sexistische Zuschreibungen. Statt Inhalt werden Äusserlichkeiten besprochen. Dieses Buch dreht den Spiess um: Es ist gefüllt mit Tweets, in denen Autoren domestiziert werden. Das klingt beispielsweise so: «Dem steifen, oft verkniffen wirkenden Thomas Mann raten wir, etwas häufiger zu lächeln.» Das ist lustig, macht Literaten ein bisschen herziger und rüttelt erst noch an deren kanonischen Statuen.
Alfred Jarry – König Ubu
Grotesk, absurd, vulgär. Die Uraufführung des Theaterstücks 1896 musste wegen Tumulten für einige Minuten unterbrochen werden. Surrealisten und Dadaisten feierten das Drama später ab. Heute gelesen, ist das Theater einfach sehr guter satirischer Nonsense – ich habe es mit Freude gelesen und werde es bald wieder mal tun.
Clemens J. Setz – Indigo
Clemens J. Setz ist ein literarischer Nerd und zieht einen in dieser Geschichte in die Welt der Indigo-Kinder, einer Gruppe, der Anhänger*innen esoterischer Ideen besondere Fähigkeiten zuschreiben. Warum ist das Buch jederzeit wiederlesen würde, ist in erster Linie aber nicht die Geschichte, sondern Setz’ Sprache. Er ist ein Meister der verqueren Vergleiche, die sich wie Mini-Geschichten lesen.
Ilias Papadopoulos, Membermensch:
Antonio Skármeta – Mit brennender Geduld
Ein Roman für alle Amateur-Poet*innen, Romantiker*innen, Nostalgiker*innen. Für verliebte und geliebte Menschen.
Luciano De Crescenzo – Also sprach Bellavista
Keeping up with the Kardashians: die Neapolitanische Version. Ideal für nicht-verkaterte Leser*innen. Lieblingszitat: «Vergessen wir aber nicht, dass es von Bern heisst, es sei doppelt so gross wie der Friedhofen von Wien, aber man habe dort nur halb so viel Spass.»
Ulrich Kadelbach – Schatten ohne Mann
Wieder mal eine Geschichte über den 2. Weltkrieg. Fokus: der Mikrokosmos Kreta. Hart und ehrlich. Inklusive Heldentaten für alle Marvel/DC-Fans. Deine nächste Reise nach Malia kannst du also absagen und dich bei mir melden.
Jorge Bucay – Letters to Claudia
Gibt ja nichts schöneres als von anderen über die Liebe belehrt zu werden. Dann noch von einem Baby-Boomer? Sweet. Leider nur auf Englisch, pardon.
Dirk Bey, Olaf Seidel – Der Sandwichmaker
Eines dieser Bücher, die dein Leben verändern werden.
Linda Schumacher, freie Mitarbeiterin:
Joël Dicker – Die Wahrheit über den Fall Harry Quebert
Ein unglaublich fesselndes Buch, das auf der ersten Seite Fahrt aufnimmt und es schafft, die Spannung bis zur letzten Seite aufrecht zu erhalten. Viele einzelne Geschichten, die sich im Verlaufe des Romans immer mehr verweben und schliesslich alle zur Klärung des Falls beitragen: Warum musste die 15-jährige Nola Kellergan sterben und wer hat sie umgebracht? Dieser Page-Turner ist ein Lesebefehl an alle, die gerne nächtelang durchlesen und miträtseln, wie der Fall wohl ausgehen mag.
Silvia Götschi – Bürgenstock
Ein süffiger Lokalkrimi, in dem der Privatdetektiv Max von Wirth herausfinden soll, ob der Tod von Roberto Lombardi tatsächlich ein Suizid war. Das Buch ist einfach zu lesen und trotzdem nie langweilig. Die gut recherchierten Schauplätze mischen sich mit der Fantasie der Autorin, was bei einheimischen Leser*innen zu einem gewissen Realitätsverlust führen kann. Die unterhaltsame Lektüre lege ich allen ans Herz, die in der Nähe des Bürgenstocks zuhause sind und schon immer mal Teil von rasanten Ermittlungen sein wollten.
Patrick Süskind – Das Parfum
Nicht mehr ganz neu und trotzdem nicht aus der Mode gekommen: der geniale Roman, der Jean-Baptiste Grenouilles Geschichte erzählt. Von Anfang an – erst ganz harmlos – bis zur Erkenntnis, welch schreckliches Ende die Geschichte nehmen wird. Die fürchterliche Vorahnung wird zusehends bestärkt, eine seltsame Verbindung zwischen Leser*in und Protagonist entsteht. Angsteinflössend und faszinierend zugleich!
J.R.R. Tolkien – Der Herr der Ringe
Spätestens seit der Filmtrilogie ist die Fantasy-Geschichte allen bekannt. Eine komplett neu erfundene Welt – märchenhaft und fantasiereich – die im Buch noch viel komplexer und detaillierter dargestellt wird. Beim Lesen taucht man in die Abenteuer von Mittelerde ein und kann sich richtiggehend verlieren darin, mitfiebern und hoffen, dass Frodo der Macht des Ringes widerstehen kann. Der vielschichtige Roman – in drei Bände untergliedert – schafft es, Fabelwesen und Kreaturen so genau zu beschreiben, dass man sich plötzlich vor seiner eigenen Fantasie zu fürchten beginnt.
Patricia Highsmith – Lösegeld für einen Hund
Ein verschwundener Pudel ist die Chance für den jungen Streifenpolizist Clarence, sich seiner Freundin zu beweisen. Nur leider ist Clarence der wohl unfähigste Polizist überhaupt. Als Aussenstehende verzweifelt man fast, dem Spektakel beiwohnen zu müssen. Insgeheim trägt man stets die Hoffnung, noch irgendwie ins Geschehen eingreifen zu können. Aber das Schicksal nimmt seinen Lauf.