Mann ärgere dich nicht
Viva la vulva! Auf Buttons, auf Taschen, auf Shirts und auf Jacken. Als Blume und Madonna, überall prangt es derzeit, das weibliche, äussere Genital. Doch leider ist damit die Zuneigung zur Vulva nicht automatisch gegeben.
Jana Avanzini — 09/19/21, 02:07 PM
Vorhang auf für das weibliche Genital. (Illustration: Line Rime)
Meine Liebe zu Dating-Shows im deutschen Qualitätsfernsehen wurde im Jahre 2021 auf ein neues Level gehoben. Schockverliebt in «Princess Charming», die erste lesbische Dating-Sendung nach Vorbild der Bachelor-Formate, genoss ich es, wie Frauen und non-binäre Personen hier über ihre Vulven sprachen, über ihre Formen, über Gerüche und Geschmäcker. «No shame in the fucking vulva game», hiess es da. Und tragischerweise musste ich 34 Jahre alt werden, um zu erfahren, dass auch andere Vulven nach Joghurt riechen, und dass es einen süperben Begriff für die Vulven gibt, deren innere Labien etwas mehr Freiheitsdrang verspüren – den «Outie».
«Auf welcher Silbe man Vagina betonte, war unklar, und deshalb liess man es bleiben.»
Ich war ein Teenie der 1990er Jahre. Ich wuchs noch mit dem Wort «Scheide» auf. Es ging dabei stets nur um ein Loch, in das man etwas reinstecken kann. Man sprach von «zwischen den Beinen» oder «dem da unten». Auf welcher Silbe man Vagina betonte, war unklar, und deshalb liess man es gleich ganz bleiben. Zeichnungen, Fotos – da sah alles aus wie bei Barbie. Bei Abbildungen war das höchste der Gefühle ein Schlitz. Geschlossene äussere Labien, alles unbehaart, alles hell und prall und kindlich. Etwas anderes war offenbar nicht normal, sowas wie eine Vulva gänzlich unbekannt.
Seither hat sich zum Glück einiges getan. Immer mehr Menschen wissen, dass das weibliche Genital aus Vulva und Vagina besteht. Immer mehr Menschen wissen, dass die Klitoris ein ziemlich grosses Organ mit Schwellkörper ist. Man kann öffentlich nach einem Tampon fragen. Und die Vulva liegt voll im Trend. In all ihren Variationen – in Literatur, Mode und Kunst. Es gibt Menstruations-Aktivistinnen und Pussy-Künstlerinnen. Viva la vulva! Der Spruch ist ja auch super – inhaltlich, phonetisch sowie ästhetisch. Doch er ist auch schnell daher gesagt. Um ihn wirklich zu fühlen, braucht es Arbeit.
Denn während Männer und Jungs ziemlich häufig unterschiedlichste Penisse baumeln sehen, sie ihren eigenen andauernd in der Hand zu haben scheinen, fehlt diese Präsenz bei Frauen zu oft. Da wird sich nicht in den Schritt gegriffen und schon gar nicht den Kolleginnen alles breitbeinig präsentiert. Selbst bei den Begriffen hängen wir im Leeren. Für den Penis jedoch gibt es haufenweise akzeptable Begriffe, er hat Platz in Gesprächen, weder die Konsistenz noch der Geschmack von Sperma, und wie man ihn beeinflussen kann (Ananas hiess es stets), sind besonders schambehaftet. Ganz im Gegensatz zum weiblichen Ausfluss – Hand hoch, wer die Begriffe kennt (Word offenbar nicht) – der Lubrikation, dem Zervix-Schleim und dem Squirting. Ganz im Gegensatz auch zum Geruch der weiblichen Genitalien – denn obwohl ich nie einen «Fisch-Geruch» wahrgenommen habe, lösten diese Sprüche stets Scham aus. Und die haufenweise Waschlotionen und Intimtüchlein für die Frau vermitteln auch nicht unbedingt das Bild, dass etwas anderes als Aloe-Vera- oder Rosenduft akzeptabel sei.
«Legt die Finger an die Lippen!»
Die weibliche Sexualität wurde in der westlichen Gesellschaft über Jahrhunderte verteufelt und unterdrückt. Sie war Bedrohung und musste deshalb ihrerseits mit Gewalt bedroht werden. Genehm war sie nur passiv. Aktiv und fordernd war sie dreckig und verdorben. Heilige oder Hure. Verletzlich sollten wir sein, uns erobern und überzeugen lassen. Abwartend und unschuldig, von der männlichen Begierde erst zum sexuellen Wesen gemacht. Um sich davon zu lösen braucht es – bereits erwähnt – Arbeit. Viele Gespräche, viel Handarbeit und einen handlichen Spiegel.
Wir müssen gute Worte finden und sie auch benutzen. Weg vom Schamhügel und den Schamlippen, weg von dem ganzen schrecklichen «Scham»-bereich. Wir müssen uns anschauen, anfassen – sexy oder einfach bloss ein bisschen rumspielen. Legt die Finger an die Lippen! Denn wenn wir es nicht tun, bleibt das «da unten» viel zu lange nur ein schwarzes Loch.
Jana Avanzini wurde schon auf dem Schulhausplatz mit dem Spitznamen «Avanze» bedacht. Sie ist Co-Redaktionsleiterin bei Kultz, doch in dieser Kolumne lässt sie sich alle zwei Wochen über die alltäglichen K(r)ämpfe einer Feministin aus. Einer Feministin in der Zentralschweiz, wo man(n) sich noch gerne über aufmüpfige Frauen und Genderwahnsinn ärgert.