Prime Time
Der Basler Regisseur Tim Fehlbaum brachte vor genau zehn Jahren mit seinem ersten Endzeitszenario «Hell» eindrucksvolle Bilder auf die Leinwand. Mit «Tides» legt er nun nach. Ein Gespräch über Visionen, Inspirationen und die Faszination für Science-Fiction.
Sarah Stutte — 09/14/21, 07:05 AM
Auch hinter den Kulissen ist die Endzeit spürbar. (Foto: Vega Film)
Warum wolltest du die Gezeiten in deinem Film ins Zentrum rücken?
Vor ein paar Jahren war ich zum ersten Mal in meinem Leben an der deutschen Nordsee und war sofort wahnsinnig beeindruckt von der Landschaft. Es war Dämmerung und kurz bevor die Flut wieder kam, sah alles so surreal aus, mit den Pfützen und Dünen. Das fand ich total faszinierend. In einem fast schon esoterischen Sinn konnte ich dabei beinahe die Konstellation der Planeten spüren, weil die Anziehungskraft des Mondes auf das Wasser wirkt. Mir ist es beim Filmemachen wichtig, in so viel echter Umgebung wie möglich zu drehen und auf Computereffekte weitgehend zu verzichten. Ich dachte mir also, hier müsste man gar nicht mehr viel machen. Nur noch jemanden in einem Raumanzug in diese Landschaft pflanzen und dann wäre dies das perfekte Setting für einen Science-Fiction-Film, der auf einem fremden Planeten spielt.
Die Erde als fremder Planet?
Nicht ganz. Obwohl das natürlich auch passen würde, weil sich in der Zwischenzeit so viel verändert hat. In der ersten Story-Idee wollten meine Co-Autorin Mariko Minoguchi und ich tatsächlich die Geschichte auf einem anderen Planeten spielen lassen. Doch als wir – im Zuge der Recherchen – das Deutsche Zentrum für Luft- und Raumfahrt in Köln besuchten und uns dort mit Wissenschaftlern unterhalten haben, hat uns das die Augen geöffnet.
Wofür?
Sie hielten es für höchst unwahrscheinlich, dass wir einen lebensfähigen Planeten in unserem Sonnensystem finden, der sich für uns als Habitat eignen würde. Das zeigte auf, wie einzigartig die Erde eigentlich ist und dass wir uns dessen zu selten bewusst sind. Deshalb fanden wir den Aspekt interessant, von einer Rückkehr zur Erde zu erzählen, nachdem das Leben hier gescheitert ist. Wir fanden, dass das Thema Ebbe und Flut perfekt dazu passt: Dem Kreislauf des Kommens und Gehens.
Der Basler Filmregisseur Tim Fehlbaum (Foto: zVg)
Siehst du so unsere Zukunft?
Wir müssen die Erde verlassen, weil wir sie zugrunde gerichtet haben und flüchten ins Exil Weltraumkolonie? Dass wir die Erde zugrunde richten, muss ich nicht bestätigen. Das ist wissenschaftlich belegt. Natürlich ist «Tides» immer noch ein Science-Fiction-Film, doch gerade das ist auch das Spannende an diesem Genre. In einem überhöhten Kontext kann man hier vielleicht Themen weiterdenken, welche die Gesellschaft aktuell beschäftigen. Ob die Menschheit jemals die Erde verlassen und auf einen anderen Planeten übersiedeln kann, weiss ich nicht. Von den Experten haben wir gegenteilige Einschätzungen gehört. Von daher hat unser Film schon eine fantastische Prämisse und soll kein realistisches Zukunftsszenario abbilden.
In einigen Kritiken hiess es, «Tides» sei ein bisschen «Waterworld» und ein wenig «Mad Max», aber nichts wirklich Neues. Waren das deine Referenzen?
Nein, absolut nicht. Es gibt klar andere Filme, die uns für «Tides» beeinflusst haben. Eine thematisch vermutlich viel weniger offensichtliche Inspiration war für uns beispielsweise Jonathan Glazers «Under the Skin» – einer meiner absoluten Lieblingsfilme. Denn im Grunde fühlt sich unsere Hauptfigur auch wie ein Alien auf der Erde. Die Vergleich mit den beiden anderen Filmen hat mich eher verwundert. Im Kevin Costner-Szenario ist alles komplett überflutet, bei uns geht es um das Wechselspiel der Gezeiten. Auch «Mad Max» fährt als Wüstendystopie mit Autos im Grunde eine ganz andere Linie. Wir haben klar versucht, unser eigenes Universum zu erschaffen. Die Szenenbildnerin hat beispielsweise alle Schwimmkörper im Dorf der «Muds» aus PET-Flaschen vom Recyclinghof gebaut, weil Plastik – tragischerweise – das einzige auf Salzwasser tragbare Material ist.
«Die Vorstellung, wie die Welt untergehen könnte, finde ich spannend.»
Tim Fehlbaum
Was gab es noch für Inspirationsquellen?
Am stärksten bewegt hat uns der Dokumentarfilm «Workingman's Death» des österreichischen Regisseurs Michael Glawogger. Er erzählt von den fünf extremsten Jobs der Welt in den verschiedensten Ländern. Der Film ist in fünf Episoden unterteilt und ein Kapitel berichtet von den Abwrackwerften am Strand von Gadani in Pakistan. Dort nehmen Arbeiter ohne Hilfe von Maschinen alte ausgemusterte Frachtschiffe auseinander. Für die Menschen, die dort arbeiten müssen, sind das richtig schlimme Arbeitsbedingungen, deshalb ist es schwierig, von einer visuellen Inspiration zu sprechen. Trotzdem haben diese Bilder der riesigen Schrottplätze an den Stränden bei uns Spuren hinterlassen. Vor allem für den Teil der Story, der in dem halb zerfallenen Tanker spielt.
Was fasziniert dich an Science-Fiction?
Die Vorstellung, wie die Welt untergehen könnte, finde ich spannend. Aber vor allem, in einem Science-Fiction-Film einen ganz eigenen visuellen Kosmos zu erschaffen. Diese Herausforderung fasziniert mich, eine gewisse Atmosphäre auf der audiovisuellen Ebene zu erzeugen, die sehr spezifisch für den jeweiligen Film ist.
Ist das der Grund, warum du in grossformatigen Bildern denkst?
Es ist der Grund, warum ich generell in Bildern denke. Bei «Tides» war der Ort und die Umgebung ausschlaggebend. Meinem Erstling «Hell» ging auch eine visuelle Idee voraus.
Für einen Science-Fiction Film hast du überraschend wenig Green Screen-Szenen verwendet ...
Das stimmt. Ich musste aus der Not eine Tugend machen. Für eine deutsch-schweizerische Co-Produktion hatten wir ein grosses Budget, aber für einen Science-Fiction-Film haben wir uns trotzdem immer noch im Low Budget-Bereich bewegt. Um wirklich gute computergenerierte Effekte zu machen, braucht es aber eine Stange Geld. Unser Ansatz war deshalb, über eine gewisse Haptik und Physis fast schon wie bei einem Dokumentarfilm zu operieren und unsere Hauptdarstellerin auf ihrer Reise zu begleiten. Die Elemente, die auch für die Story sehr wichtig sind, wie der Nebel, das Wasser, der Regen und das Meer, waren somit ständig spürbar. Wir konnten nicht alle Szenen im Wattenmeer drehen, das wäre logistisch zu kompliziert geworden, weil zweimal am Tag die Flut kommt. Deshalb haben wir zudem im Studio die Umgebung simuliert und anstatt eines Green Screens, ganz altmodisch mit Fotohintergründen gearbeitet, die von hinten beleuchtet wurden.
War das Set im Wattenmeer offen?
Ja. Uns war wichtig, dass die Crew und vor allem die Hauptdarstellerin ein Gefühl für die Umgebung bekommen. Morgens sind wir immer ganz früh mit der Kutsche oder dem Traktor dort rausgefahren – mit dem Auto ging das nicht. Wir waren wirklich mitten im Nirgendwo. Es geht sehr schnell, wenn die Flut kommt. Plötzlich ist sie da. Unser Wattführer hat uns zwar immer vorher gewarnt, doch wir wollten natürlich weiterdrehen. Dann kam das Wasser und wir mussten rasch alles zusammenraffen und rennen. Es waren wirklich absurde Drehtage.