Landei versus Stadthuhn
Auf dem Land sind Kulturangebote dünner gesät als in der Stadt. Dafür schläft einem bei den seltenen Performances das Gesicht nicht ein.
Christine Weber — 06/05/20, 12:42 PM
Erstmals seit ich hier wohne, gehe ich an eine Veranstaltung. Das ist vier Monate her und hat nichts mit Corona zu tun. Kein Konzert und kein Theater, dafür eine Performance: Die Viehschau steht vor der Tür, wortwörtlich: Fünf Minuten brauche ich, um auf den Platz zu gelangen, wo Kühe und Kälber und Stiere präsentiert werden. Kopf an Kopf, Hintern an Hintern, Euter an Euter stehen rund 200 Tiere in Reih und Glied. Sie brunzen und muhen und stampfen und riechen so, wie das Kühe tun: streng. Rundum versammelt sind viele Männer und wenige Frauen, die fachsimpeln und mit prüfendem Blick das Fleisch auf den Rippen mustern. Meins auch. Zwar trage ich Gummistiefel und Felljacke — aber als Einheimische durchgehen, ist unmöglich: Ich bin fremd.
Tapfer stapfe ich an Kuh- und anderen Blicken vorbei, rutsche auf einem Fladen aus und konzentriere mich, das innere und äussere Gleichgewicht nicht zu verlieren. Auf der Wiese steigt die Prämierung. Ein Mann schreit in kryptischem Obwaldner Dialekt in ein Megafon, zwei andere halten die jeweiligen Tiere in Schach, die in die Kränze der verschiedenen Kategorien gekommen sind. Vermutlich geht es um gut gemästet, schön gestriegelt und patent potent. Höhepunkt sind die prallsten Euter. Die Gewinnerin wird fotogen positioniert: Ein Mann lüpft der Kuh den Schwanz, ein Fotograf des Lokalblattes kriecht zwischen ihre Beine und drückt ab. Journalistische Karriere auf dem Land? Mich schaudert.
Unterdessen weiss ich, dass Kühe grossartige Performerinnen sind und einen Hauch von wildem Westen auf die Schweizer Landschaft bringen. Wenn sie erstmals im Frühling aus dem Stall ins Freie kommen, legen sie einen Pogo-Tanz hin, der jeden Punker in den Schatten stellt: Die tonnenschweren Tiere spurten und springen und kugeln leichtfüssig herum, sie balgen und kämpfen und randalieren wie Protagonistinnen in einem Actionfilm. Wenn es hochkommt, büxen sie mitten in der Nacht aus, reissen die Umzäunung nieder und galoppieren in der Herde brüllend dem Wald entgegen. Dann heisst es für alle verfügbaren Nachbarinnen und Nachbarn: Nichts wie hinterher! Wenn dann auch ich herbei eile, einen Stecken schwinge und mich vor Eifer in Grasbüscheln verheddere, weiss ich: Zwar bin ich fremd, aber trotzdem dabei. Punk verbindet eben, hüben wie drüben, in der Stadt und auf dem Land. Darum finde ich Kühe cool. Schade nur, dass sie Glocken tragen. Aber das ist eine andere Geschichte und wenn ich nicht fremd bleiben will, behalte ich sie besser für mich.
Meine Freundin aus Luzern sagt dazu: In der Stadt sind auch jede Menge Kühe unterwegs. Und Klunker um den Hals tragen sie ebenfalls.
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