Prime Time
«Été 85» von François Ozon beginnt vielversprechend, aber driftet mit zunehmender Laufzeit in die Bedeutungslosigkeit ab. Statt echten Emotionen gibt's zu viel französische Tragik mit falschem Pathos.
Sarah Stutte — 05/28/21, 10:24 AM
Hübsches 80er-Jahre-Setting, aber nichts dahinter. Ozon war auch schon besser.
«Été 85» beginnt vielversprechend. Ein sensibler 16-jähriger Knabe mit goldenem Haar und «Engelsgesicht» namens Alexis erzählt davon, wie er den draufgängerischen David kennengelernt hat, der am Ende seiner Geschichte tot sein wird. Schon hat er unsere ungeteilte Aufmerksamkeit, denn wir wollen schliesslich wissen, was genau passiert ist. Erstmal erfahren wir aber in der Rückblende, dass Alexis Segelausflug bei Gewitter ins Auge ging und David ihm als Retter in der Not zur Hilfe eilte.
Alsbald sind die beiden unzertrennlich und werden schliesslich ein Paar – das geht allerdings ein wenig zu schnell, ohne grosse Leidenschaft und innigem Gefühl der jungen Männer zueinander. Etwas, das beispielsweise im thematisch ähnlichen «Call Me by Your Name» in fast jeder Einstellung spürbar war. Auch Alexis und David selbst sind irgendwie nicht zu greifen. Angedeutete Verletzungen, die den Figuren mehr Tiefe verleihen könnten – wie der Tod von Davids Vater – , verlieren sich im Nichts. Am originellsten ist da noch Valeria Bruni Tedeschi als Davids Mutter, die ziemlich einen an der Klatsche zu haben scheint.
Aus diesem Grund wirkt die Handlung unmotiviert und zieht sich wie Kaugummi. Besonders zäh ist das letzte Drittel, weil Regisseur François Ozon hier eine Tragik zelebriert, für die dem Zuschauer schlicht und einfach die nötigen Emotionen fehlen, um wirklich davon berührt zu werden. Aber nein, es ist nicht alles kalt wie Stein, denn das 80er-Jahre-Setting ist hübsch nostalgisch, genauso wie das Sommerfeeling, als man noch ohne Maske an den Strand und ins Kino konnte.
François Ozon hat schon weit bessere Filme gedreht.
Schade, man hätte Ozon gegönnt, dass seine Begeisterung für diesen Stoff auch für uns erlebbar wird. Immerhin schrieb er das Drehbuch bereits vor 35 Jahren, nachdem er als 17-Jähriger die Vorlage, den Jugendroman «Dance on My Grave» des britischen Autors Aidan Chambers, verschlungen hatte. Dann verstaubte es in seiner Schublade. Womöglich ist es manchmal besser, die Dinge einfach ruhen zu lassen.
François Ozon hat schon weit bessere Filme gedreht. Nur zu gerne erinnere ich mich an «Sous le sable» und «Swimming Pool», beide mit einer herausragenden Charlotte Rampling in der Hauptrolle. Oder an den so lebensklugen wie humorvollen «8 Femmes» mit seinem fantastischen Frauencast oder zuletzt den überaus wichtigen «Grâce à Dieu» über den institutionellen Kindesmissbrauch in der katholischen Kirche.
«Été 85», ab jetzt im Kino Bourbaki in Luzern.
Regie: François Ozon, mit: Félix Lefebvre, Benjamin Voisin, Philippine Velge.
Prime Time ist das Kultz-Format für Film und Fernsehen. Jeden Freitag schreiben Sarah Stutte und Heinrich Weingartner über die neuesten Blockbuster, Arthouse-Streifen und gehypten Serien. |