Landei versus Stadthuhn
Es empfiehlt sich nicht, in benachbarte Kuhställe zu schauen – das bringt nur gefährliche Gedanken. Möglicherweise liegt das aber nicht am Stall, sondern an der schrägsten Weihnachtszeit ever.
Christine Weber — 12/22/20, 02:10 PM
Der kleine Stall ist uralt, längst nicht mehr von Geisslein und Hühnern belebt und von oben bis unten mit Sachen vollgestopft. Beim Aufräumen fanden sich Ölkanister, Altmetall und Autoreifen genauso wie Holzrechen, Truhen und rostige Äxte. Sogar Baby-Fledermäuse hatten Quartier bezogen und ein tausendfacher Knäuel von Marienkäfern schien Glück zu verheissen – später stellte sich heraus, dass es sich um die invasive Gattung der Muttergotteskäfer aus Asien handelt. Das ist zwar eine andere Geschichte, aber die gepunkteten Glücksbringer passen zum heiligen Thema: Man kann sich nie ganz sicher sein, und/oder sich sogar arg täuschen, was den Glauben und das damit einhergehende Glück angeht.
Zu Dutzenden fanden sich zudem Holzkonstruktionen, die auseinandergeklappt eine dreidimensionale Skulptur bilden. Diese sogenannten «Heinzen» brauchte man früher zum Trocknen des Grases. Die urtümlichen und doch designten Objekte haben – zumindest für urbane Geschmäcker – ein charmantes Potenzial, unterdessen stehen sie bei mir sowohl als Kleiderständer wie als Klettergerüst für Pflanzen herum. Wenn sich Nachbarn im Vorübergehen nicht über die «Heinzen-Burg» mokiert hätten, wäre das gesamte Grundstück damit überstellt (zugegebenermassen tatsächlich als Tarnung). Um niemanden zu verärgern, liess ich davon ab und beharrte einzig darauf, einen solchen Heinzen während der Adventszeit im offenen Stallfenster und von einer Lichterkette umschlungen, zu platzieren. Von Weitem sieht das aus wie ein Weihnachtsbaum und von Nahe schaut es eh niemand an.
Auf dem Lande empfiehlt es sich nämlich nicht, die Ställe von Nahe anzuschauen, sonst kommt man auf komische Gedanken. Darum sei das hier nur eine Randbemerkung: Es gibt – natürlich nicht nur in Obwalden, sondern überall in Landwirtschaftsgebieten – unglaublich grosse und schicke Ställe. Bei genauerem Hinsehen entdeckt man teils mit Verwunderung, dass dort gar keine Kühe drin sind. Schon klar: Das Bauern hat sich nicht mehr gelohnt, vermutlich wurde auf den letzten Drücker noch eine subventionierte Scheune gebaut und das dient jetzt als Lager für Autos oder andere Sachen. Einem Stadthuhn fallen da natürlich gewisse Parallelen auf: Auch in der Kultur gibt es grosse und subventionierte Häuser und Institutionen, die ihren Zweck nur halbherzig erfüllen und kleine Kulturorte, die zwar enorm engagiert sind, sich aber ebenso enorm abstrampeln müssen, um ihre «Kühe» artgerecht hegen und pflegen zu können. Tiefer in die Ku(h)lturställe will ich jetzt nicht eintauchen, der Mist steht immerhin vor meinen Türen.
Stattdessen geht es noch kurz zum Heiligen Stall von Bethlehem, beziehungsweise der diesjährigen Weihnachten, die ja allerorts etwas anders gefeiert werden musste. Mit etwas Galgenhumor hat es auch positive Seiten, wenn langjährige Rituale gezwungenermassen aufgebrochen werden. Mein Jahr zum Beispiel wurde mit dem schrägsten Weihnachtsfest abgeschlossen, das meine Sippe je erlebt hat: Wir versammelten uns in der Aussengarage, die meine Eltern liebevoll zu dekorieren versucht hatten. Hier ein Kerzlein auf einem Betonpfeiler, da ein Tannenzweig auf einem Autodach. Dazwischen Kisten mit Schinkengipfeli und Schoggimüsli drauf, und drum herum die ganze Familie mit Masken und dick eingepackt, weil ein scharfer Wind zwischen den Autoreifen hindurchfegte. Stille Nacht, heilige Nacht. Im Grunde genommen ist das ehrlicher als der jährlich zelebrierte Geborgenheits-Mythos im Allgemeinen und jenem des Kuhstalls im Speziellen: die Garage ist der Stall, das Auto der Esel. Amen.
Meine Freundin aus Luzern sagt dazu: Dass die Ställe auf dem Land voll sind, merken wir daran, dass eure Esel in der Stadt parken!
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