Prime Time
Zehn Männer im Kino und die Schreiberin als einzige Frau mitten unter ihnen. Das sagt schon eine Menge über die Stossrichtung vom Wikinger-Epos «The Northman» aus.
Sarah Stutte — 04/24/22, 12:17 PM
«The Northman»: eine archaische Schlachtplatte mit und für harte Kerle. (Foto: Universal Pictures)
Zu Beginn von Robert Eggers' «The Northman» taucht die Kamera in die Dunkelheit ein, als wäre sie plötzlich von der Erde verschluckt worden. Wir schreiben das Jahr 895 nach Christus auf einer kalten Insel im Nordatlantik und folgen einem dürren jungen Wikingerprinzen mit Namen Amleth und seinem verwundeten Vater, König Aurvandil, wie sie in eine vom Feuer erleuchtete Höhle hinabsteigen. Dort wird der königliche Jüngling durch einen schlammigen Ritus zum Mann erkoren. Inmitten von Knurren, Heulen und Schweben sagt Aurvandil seinen eigenen bevorstehenden Untergang voraus und lässt Amleth schwören, ihn zu rächen – ein Schwur, der mit Blut besiegelt wird und in tripartigen Lebensbaum-Visionen inklusiver toter Lichtgestalten mündet.
Aurvandils fatalistische Voraussage wird sich bald als richtig erweisen: Nach seiner Rückkehr von fernen Schlachtfeldern wird der König von seinem Halbbruder Fjölnir brutal erschlagen. Amleth, der den Verrat seines Onkels miterlebt hat, entkommt nur knapp dem Tod, indem er aufs offene Meer hinaus rudert und dabei das Mantra wiederholt, dass er zurückkehre, um seinen Vater zu rächen, seine Mutter zu retten und Fjölnir zu töten. Jahrzehnte später will er in voller altnordischer Berserker-Manier sein Schicksal endlich in die Hand nehmen, nachdem eine gruselige Hexe mit Weizenkopfschmuck und ohne Augen (gespielt von der Sängerin Björk, die fast nicht zu erkennen ist) ihm dieses vorhersagt.
Der Hänfling hat sich nun in einen baumstamm-mässigen Kerl verwandelt, der zuvor ein wenig das Plündern und Morden «geübt» hat. In der Zwischenzeit wurde der verhasste Onkel jedoch aus Aurvandils ehemaligen Königreich vertrieben und hat sich mit Amleths Mutter Gudrún, die er zur Frau genommen hat, seinem ältesten Sohn und dem gemeinsamen in Island niedergelassen. Zusammen mit seiner Auserguckten, der slawischen Erdzauberin Olga gelangt Amleth auf Fjölnirs Bauernhof – sie als echte Sklavin, er als Pseudo-Knecht – und plant seinen erbarmungslosen Rachefeldzug, geleitet von den göttlichen Zeichen, die ihm den richtigen Zeitpunkt weisen.
Wer in der Literatur, in Legenden und Mythen ein wenig bewandelt ist, dem wird Robert Eggers zweistündige Wikinger-Saga handlungstechnisch vielleicht bekannt vorkommen: Die Legende von Prinz Amleth war die direkte Inspiration für «Hamlet». Obwohl der von Alexander Skarsgård buchstäblich verkörperte Krieger auch aus einem breiten, filmischen Pantheon von Rachsüchtigen stammt, das Conan den Barbaren, Maximus aus «Gladiator» und Hugh Glass aus «The Revenant» miteinschliesst. «The Northman» ist deshalb ein Hexengebräu aus all diesen Ingredienzien: altnordischer Mythologie, Hollywood-Pomp und ursprünglich Shakespeare'schem Rache-Epos.
Doch um der relativ geradlinigen Geschichte folgen zu können, ist kein grosser Dramatik-Workshop notwendig. Man kann sich auch einfach wegrauschen lassen in Eggers blutig-halluzinogenen Wahnsinn samt Gedärm und Verderb – beziehungsweise gibt es eigentlich gar keine Alternative. Der Film suggeriert, dass diese Gewalt der Lauf der Welt ist. Die Abgestumpftheit, mit der diese Gräueltaten begangen werden, überträgt sich nach und nach auch auf uns. Faszinierender als rollende Köpfe sind hingegen die spirituellen und archaisch rituellen Anklänge des Films. Interessant inszeniert, eröffnen sie uns eine fremde Welt, in der im Einklang mit der Natur gelebt, gebrüllt und ums Feuer getanzt wurde.
Die Geisterwelt – das Herz der isländischen Mythen, die den Lebensnerv dieser Geschichte bilden – ist hier von grösster Bedeutung. Eggers macht keinen Unterschied zwischen Fantasie und Realität. «The Northman» behandelt mit Runen-Kapiteln, bedrohlichen Raben, nackten kämpfenden Männern im Lavastrom und behelmten Walküren die Wikinger-Mythologie als ihre eigene lebendige, atmende, schillernde Wirklichkeit. Deshalb hat Eggers – ein Verfechter akribisch recherchierter Authentizität – sich auch Unterstützung geholt und das Drehbuch zusammen mit dem isländischen Dichter Sjón verfasst. Dieser textete in der Vergangenheit nicht nur Lieder für Björk, sondern arbeitete zuletzt auch am Skript für Valdimar Jóhannssons abgefahrenes Mystery-Drama «Lamb» mit, in dem nordische Sagen ebenfalls eine nicht ganz unwesentliche Rolle spielen.
Alle brabbeln irgendwie unverständliches Zeug, dass nie auch nur eine Spur lieblich tönt.
Auch an den Darstellerleistungen gibt es nicht viel zu meckern. Skarsgård zeigt Amleth nicht als makellosen Held, sondern als gebrochenen Mann, der im Grunde immer schon näher am Tod als am Leben war. Anya Taylor-Joy, die nach «The Witch» wieder mit Eggers zusammenarbeitet, der nur kurz zu sehende Ethan Hawke und eine teuflisch-gefühllose Nicole Kidman agieren ebenfalls glaubwürdig. Alle brabbeln irgendwie unverständliches Zeug, dass nie auch nur eine Spur lieblich tönt. Um nicht vom Strudel der Düsternis weggerissen zu werden, gibts wenigstens einmal einen unfreiwilligen Lacher in Form von Willem Defoe als Kopf, der noch aus dem Totenreich die Fäden zieht.
«The Northman» ist unbestreitbar wuchtig und mutet manchmal an wie eine Mischung aus Eggers vorherigen Meisterwerken «The Lighthouse» und «The Witch». Mühelos wechselt er hier zwischen kräftigen, in Schwarz-weiss getauchten Bildern und einem gedämpften fiebrigen Feuerton hin und her. Die fliessenden, aufwändig choreografierten langen Einstellungen, verleihen dem Film eine bedächtige Intensität. Selbst die Zurschaustellung mehrerer an eine Holzhütte genagelter Leichen, die in bestimmter Weise drapiert wurden, hat hier etwas beängstigend Kunstvolles.